Verbrenner-Ausstieg: EU-Kommissar Breton fürchtet um die Autoindustrie

Nach dem Beschluss der EU, ab 2035 nur mehr CO₂-freie Autos zuzulassen, äußert EU-Kommissar Breton Bedenken wegen der Transformationsrisiken für die Branche.

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Thierry Breton im April 2022 beim Besuch des gemeinsamen Forschungszentrums für den europäischen Fahrzeugmarkt im italienischen Ispra.

(Bild: EU-Kommission)

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Von
  • Florian Pillau
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Eine Woche nachdem die EU beschlossen hat, ab 2035 nur mehr CO₂-freie Autos zuzulassen, schlägt EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton ziemlich laut Alarm. Zwar betont Breton, den Prozess konstruktiv begleiten zu wollen, führt jedoch zugleich so gut wie alle Argumente auf, die je gegen die Einführung von Elektroautos vorgebracht wurden.

Breton warnt vor einer "gigantischen Verwerfung", die das Gesetz auf eine der Kernindustrien der EU haben könne. Er fürchtet, die Umstellung auf Elektroautos könnte etwa 600.000 von rund 13 Millionen Arbeitsplätzen kosten. Die Umstellung werde sich so stark auf die Autoindustrie und ihre Zulieferbranche auswirken, dass sich die EU ein Scheitern nicht leisten könne. Sollten sich Risiken für die Beschäftigung oder die Erschwinglichkeit der Autos zeigen, müsse die EU ihr Ausstiegsdatum "ohne Tabus" überdenken.

In einem heute in der Zeitung Les Echos erschienenen Interview sagt der Industriekommissar: "Ich respektiere, wenn einige sich entscheiden, auf ein 100 Prozent elektrisches Angebot hinzuarbeiten, aber ich ermutige die Hersteller auch, weiterhin Autos mit Verbrennungsmotor zu produzieren, hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen und eine Exportmacht zu bleiben".

Der Nachrichtenagentur Agence France Presse (AFP) sagte Breton am Freitag: "Ich fordere das gesamte automobile Ökosystem auf, einerseits den Übergang zur Elektromobilität sicherzustellen, um für 2035 bereit zu sein, andererseits aber weiterhin Autos mit Verbrennungsmotoren und Hybridantrieb in Länder zu exportieren, die solche Fahrzeuge noch für viele Jahre oder Jahrzehnte brauchen werden".

Europaparlament und EU-Staaten haben sich am 27. Oktober geeinigt, EU-weit ab 2035 keine Autos mit Otto- oder Dieselmotor mehr neu zuzulassen. Bretons Bedenken werden in der Autobranche geteilt. Europas zweitgrößter Autohersteller Stellantis etwa warnt vor einem Zusammenbruch des Automarkts, sollte die Industrie die Kosten für Elektrofahrzeuge nicht senken können. Stellantis-Chef Carlos Tavares sagte: "Ich mache mir keine Sorgen um Stellantis, ich mache mir Sorgen um die Mittelschicht, die sich keine Autos für 30.000 Euro leisten kann."

"Um all diese Elektroautos zu produzieren, benötigen wir bis 2030 15-mal mehr Lithium, viermal mehr Kobalt, viermal mehr Graphit, dreimal mehr Nickel", sagte Breton gegenüber dem Magazin Politico. Skeptisch zeigt sich der Kommissar auch beim Thema Infrastruktur: "Bis 2030 wollen wir 30 Millionen Elektrofahrzeuge auf Europas Straßen haben. Das heißt, wir brauchen rund 7 Millionen Ladestationen. Aber heute haben wir nur 350.000, davon 70 Prozent in nur drei Ländern – Frankreich, Deutschland und den Niederlanden".

Und dann führt Breton noch das Partikel-Problem ins Feld: "Elektrofahrzeuge sind aufgrund der Batterien etwa 40 Prozent schwerer als herkömmliche. Deshalb stoßen sie viel mehr Partikel von Bremsen und Reifen aus als Autos mit Verbrenner." Breton fügte hinzu, dass schätzungsweise 70.000 Menschen jedes Jahr vorzeitig an diesen Partikeln sterben.

Trotz ihrer alarmierend klingenden Äußerungen dürften Breton und Tavares, aber auch die anderen Konzernlenker relativ entspannt bleiben, denn die Einigung der EU kam nicht zustande ohne eine Ausstiegsklausel. Sie erlaubt ab 2026 nach einer Überprüfung, die der Frist von 2035 zu verschieben oder die Bedingungen zu entschärfen. Breton kündigte eine Arbeitsgruppe mit den Autoherstellern an, die sich in den nächsten vier Jahren regelmäßig treffen soll, um die Entwicklung im Auge zu behalten.

(fpi)