Intels Abkehr von den Gigahertz

Im Juni will der Chipgigant Intel ein neues Bezeichnungsschema für seine Prozessoren einführen und damit den Prozessortakt als Verkaufsargument ausmustern.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 579 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.

Im Juni will der Chipgigant Intel ein neues Bezeichnungsschema für seine Prozessoren einführen und damit den Prozessortakt als Verkaufsargument ausmustern. Die nun offiziell von dem Chipkonzern veröffentlichte Begründung lautet, dass Intel in den letzten Jahren der PC-Plattform ständig Verbesserungen angedeihen lassen habe, die weit über "traditionelle" Taktfrequenzen hinaus gingen. Das klingt gut, aber scheint das Intel-Marketing der letzten Jahre zu verleugnen: Denn genau dieser Tradition rannte die Intel-Werbung lange hinterher. Intel profitierte vor allem beim Billigprozessor Celeron von der Taktfixierung, denn der Celeron läuft mit seinem kleinen L2-Cache deutlich langsamer als seine hohen Taktraten vermuten lassen.

So sprach Intel beispielsweise von "echten Gigahertz", was Hauptgegner AMD ärgern sollte. Denn dieser hatte schon vor Jahren erkannt, dass sich die echte Taktzahl kaum als Maß für die Verarbeitungsgeschwindigkeit eignet, worauf der Athlon XP und Athlon 64 eine geschwindigkeitsbezogene Maßzahl bekamen, das anfangs umstrittene, später aber als praxisnah akzeptierte Quantispeed-Rating. Mit dem Mobilprozessor Pentium M stand Intel vor dem gleichen Problem, weil diese CPUs gerade im Vergleich zum Prestigeprozessor Pentium 4 mit einem deutlich niedrigeren Takt auskamen. Gerüchteweise sollen sogar die schlechten Absatzzahlen des Pentium M der Hauptgrund für die neuen Bezeichnungen gewesen sein.

Herausgekommen ist bei Intel nun eine dreistellige Nummer, deren erste Ziffer zur groben Klassifizierung dient. Zur 700er-Oberklasse gehören der Pentium M mit Dothan-Kern und der Pentium 4 Extreme Edition. Zur 500er-Mittelklasse zählt Intel die Mobil- und Desktop-Version vom Pentium 4, die 300er-Unterklasse bilden der Celeron M (Banias/Dothan-Kern mit abgespecktem L2-Cache) und der Celeron D (Prescott-Kern mit abgespecktem L2-Cache).

Bei den letzten beiden Ziffern bedeutet ein höherer Wert innerhalb eines Prozessorkerns einen höheren Takt oder zusätzliche Features wie Hyperthreading oder zukünftige Techniken wie 64-Bit-Erweiterungen, LaGrande oder Vanderpool. Eine genaue Aufschlüsselung der Nummern will Intel wohl liefern.

Weitere Details verrät Intel offiziell bislang nicht, sondern verweist auf "bevorstehende Informationen". Doch die Tabelle auf PC Watch lässt befürchten, dass die neuen Nummern den hauptsächlichen Nachteil der Taktraten-Bezeichnung beibehalten. Während die Taktrate bei gleichbleibenden technischen Daten durchaus als Geschwindigkeitskennzahl funktioniert, erlaubt sie keinen Vergleich zwischen verschiedenen Prozessorarchitekturen.

Genau diese Vergleichbarkeit scheinen aber auch die neuen Zahlen nicht herzugeben: So bekommt beispielsweise ein Pentium 4 mit 2,8 GHz eine 520, ein Celeron mit gleichem Takt die 335. Als dreistellige Zahl wäre der Vorsprung des Pentium 4 von fast 200 Punkten oder rund 55 Prozent ungerechtfertig hoch, doch auch eine Beschränkung auf die letzten beiden Ziffern funktioniert nicht: Denn demnach wäre der Celeron D schneller als der Pentium 4, während in der Praxis der Pentium 4 bei allen Anwendungen mindestens genauso schnell arbeitet wie der Celeron, oft sogar schneller. Selbst als relativer Vergleich eignen sich die Zahlen nicht: So dürfte ein Pentium M 715 (mit 1,5 GHz) in vielen Anwendungen schneller sein als ein Celeron M 340, aber meist langsamer als ein Celeron D 340.

Wie gut die hinteren beiden Ziffern wirklich funktionieren, lässt sich aber mit letzter Sicherheit erst beim Erscheinen der so benannten Prozessoren beurteilen, weil es sich teilweise um neue Kerne handelt. Beispielsweise warten der Pentium M mit Dothan-Kern oder der Celeron M mit Banias-Kern mit veränderten Cachegrößen auf. Die aktuellen Prozessoren will Intel wohl nicht umbenennen.

Mit der Abkehr von der Taktrate geht Intel einen Schritt in die richtige Richtung, denn sie taugte höchstens innerhalb einer Prozessorfamilie als Vergleichskriterium, versagt aber beim Vergleich unterschiedlicher Architekturen. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass sich Intels neue Nummer ebenfalls nicht als plattformübergreifender Geschwindigkeitsvergleich eignet. Inzwischen jedoch verwässert auch Konkurrent AMD das etablierte Quantispeed-Rating, denn es kommt nur noch für den Athlon XP und den Athlon 64 zum Einsatz. Der Athlon 64 FX und der Opteron tragen hingegen andere Nummern (FX-51, FX-53, Opteron 1xx, 2xx, 8xx), die wie bei Intel einen Geschwindigkeitsvergleich nur innerhalb einer Familie erlauben.

AMD spottete über Intels neue Bezeichnungen, weil sie einerseits willkürlich sei statt auf Benchmarks zu beruhen, und weil andererseits nach der Übernahme der 64-Bit-Befehle Intel eine weitere Idee von AMD abzugucken scheine. In Wirklichkeit hat Intel bei der Abkehr von der Taktzahl aber nicht AMDs Hinkehr zu einem objektiven Geschwindigkeitsvergleich übernommen, sondern AMDs Idee, für jede Baureihe ein anderes, untereinander nicht vergleichbares Bezeichnungsschema zu wählen.

Einen wirklichen Vorwurf kann man beiden Herstellern daraus allerdings nicht machen, denn die Leistungsfähigkeit eines Prozessors lässt sich nicht in einer einzelnen Zahl ausdrücken. Schon die Reduzierung der reinen Geschwindigkeit auf eine Zahl gelingt nicht objektiv; AMDs Quantispeed versteckt die Subjektivität beispielsweise in der Auswahl der Benchmarks. Mittlerweile unterscheiden sich die Architekturen der Prozessoren immer mehr voneinander. Die Unterschiede bei Speichertechniken, Cache-Größen, Chipsatz-Anbindung, interner Architektur und ähnliches wirken sich auf verschiedene Anwendungen so inhomogen aus, dass sich kaum allgemeine Aussagen treffen lassen. Zudem lassen Intels und AMDs Bezeichnungen einige für den Kunden wichtige Aspekte wie den Stromhunger oder die benötigte Plattform gänzlich unberücksichtigt.

Insgesamt bleibt den Kunden nur die Einsicht, dass Prozessoren inzwischen so komplexe Produkte geworden sind, dass ihre gesamten Eigenschaften sich nicht in eine Zahl pressen lassen. Eine Einsicht, die in anderen Bereichen völlig selbstverständlich ist, schließlich existiert nichts 20 Einheiten Großes, das zwischen einem Volvo S40 und S60 oder Siemens S35 und S55 läge. (jow)