Fahrbericht Kawasaki ZX-10R SE

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Die straffe Gabel hilft zwar auf der Bremse, macht das Fahrzeug aber sehr träge in Schräglage, wo es sich dann tendenziell weite Linien sucht. Beim Beschleunigen pumpt dann das Federbein leicht. Ich erinnere mich an keine solche Unausgewogenheit in keinem Kawa-empfohlenen Setting des Standard-Fahrwerks. Fairerweise dazu: Wir können hier keinen direkten Vergleich ziehen, weil es unterschiedliche Rennstrecken waren. Auf jeden Fall hatten Kawas Testfahrer ein angepasstes Setting für Almeria in petto, das sie uns im manuellen Modus einstellten: etwas weniger Dämpfung vorn, fast an den Anschlag gedämpft hinten. Das funktionierte deutlich harmonischer. Denn der merkwürdig niedrige, weit hinten liegende Sitz der Zehner hilft alleine schon in der Bremszone, weil du dich mehr am Tank abstützt als mit den Armen am Lenker.

Mehr 2018, bitte

Damit sind wir aber am Kernproblem des teuren Showa-Systems angelangt: Es versteckt sich so sehr, dass es das ganze Potenzial der elektronischen Dämpfung verschenkt. Denn wenn ich sowieso einstellen muss, gibt es keinen Vorteil gegenüber dem Schraubendreher, im Gegenteil. Man könnte ein solches System heute so bauen, dass der Fahrer bequem mit dem Smartphone über eine sichere Bluetooth-Verbindung Settings eingibt. Diese Settings muss er sich auch nicht selber ausdenken, sondern die könnte ein Expertensystem auf Kawas Servern ihm empfehlen, nach Übermittlung der Messwerte einiger Runden auf der zu fahrenden Strecke.

Das Expertensystem könnte ihn auch klassisch nach Problemen fragen ("pumpende Hinterhand"), auf die es Lösungen gleich als Settings schickt. Auch BMWs GPS-gesteuerte Dämpfungssteuerung für schwierige Ecken (in der Racing-Software) fehlt. Man könnte so viel machen. Real gibt es nicht einmal mehrere Slots für eigene manuelle Einstellungen. Der Kunde muss also jedes Setting für jede Strecke wie bisher separat notieren und umständlich am Lenker fummelnd einstellen. Für 5300 Euro Aufpreis und 2 kg Zusatzgewicht erwarte ich mehr ... ich weiß nicht, 2018?

Zum semiaktiven Fahrwerk erhält die SE noch ein anderes Dekor, die massenzentrierteren Schmiedefelgen der RR und den sehr guten Autoblipper der RR, mit dem der Quickshifter auch ohne Kuppung herunterschaltet. Die Schwächen des Motors, die merkwürdige Ergonomie, sie bleiben uns wahrscheinlich erhalten, bis Kawasaki zum Anlass Euro 5 um 2020 herum ihr Superbike-Konzept komplett neu aufrollen müsste. Ich als alter Kawa-Freund hoffe auf einen Moment wie im Jahr 2009, als die kleine Schwester ZX-6R in allen Punkten im Jahr 2009 ankam.

Die ZX-10R SE kann ich zwischenzeitlich nicht empfehlen. Wer sich auf der aktuellen Zehner wohlfühlt, sollte die RR kaufen und auf Rennstrecke umbauen: andere Auspuffanlage, anderer Sitz, und du musst keine BMW fürchten. Und den Schraubendreher auch nicht: An Rennstrecken stehen lebende Expertensysteme herum, die Renntrainingsbuchern kostenlos bei ihren Einstellungen helfen. Dann hast du ein tolles Motorrad, das allerdings nicht mehr auf öffentliche Straßen darf. (cgl)