Im existenzängstlichen Medienmarkt wird zu wenig versucht

Klartext: Versuch macht kluch

Der Fachmagazinmarkt geht den Bach herunter, allerdings so langsam, dass nur wenige es wirklich wahrnehmen. Was die Zukunft sein könnte, wissen wir schlicht nicht. Wir müssten Dinge ausprobieren

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 85 Kommentare lesen
Klartext 6 Bilder
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Jedes Quartal schickt Kollege Maik (Motorradmagazin MO) unter Kollegen die aktuellen Zahlen der IVW herum, und jedes Mal sind sie etwas kleiner als beim letzten Mal. Es sind keine dramatischen Klippen in diesen Kurven der IVW, die stets die Verbreitung von Medienobjekten misst. Es gibt keine tiefen, abrupten Löcher, in die die Fachmagazine geraten sind, und vielleicht ist gerade das am gefährlichsten. Wir kennen alle die Parabel vom Frosch. Fällt er in zu heißes Wasser, springt er sofort heraus. Aber liegt er in Wasser, das ganz langsam immer heißer wird, kocht sein Leben aus, ohne dass er je den einen Anlassschwellenwert gehabt hätte, den Sprung ins Ungewisse zu tun.

Wenn ich mich mit Fachmagazin-Kollegen unterhalte, herrscht noch immer der Gedanke vor, dass man nur mit den bekannten Mechanismen das perfekte Heft machen müsse, dann kämen die Leser schon. Dieser Gedanke liegt nahe und gar nicht mal falsch. Er dreht und angelt nur eben um den Definitionskontext des Adjektivs „perfekt“ oder seine genauso gemeinten Synonyme (“richtig gut“), genauso wie um die Bedeutung des Substantivs „Heft“. Ich halte wenig vom Thema „Männer mit gut geölten Bärten dilettieren bedeutungsschwanger mit der Flex um ihre alten Kackstühle herum“, aber ich halte viel davon, wie Rolf Henniges eben dieses Thema im Heft „Fuel“ aufbereitet: tolle Fotos, offen-modernes Layout, gekonnt abgestimmte Themenmischung, gedruckt auf gutem Papier.

Im Kontext Bartölbedeutungsschwangerer passt das Medium Papier, weil diese Zielgruppe ja auch aus dem Manufaktum-Katalog Bakelit-Telefone und -Lichtschalter kauft. Je älter eine Technik ist, umso mehr wird sie geliebt, solange die allgemeine Bequemlichkeit nicht darunter leidet. Vinylplatten. Geil. Werden alle drei Monate mal aufgelegt, um im Kratzen der Nadel in Jugenderinnerungen zu schwelgen. Im Alltag läuft aber Spotify. Holzöfen. Geil – solange zusätzlich die Zentralheizung beliebigen Brennstoffs im Keller fast wartungsfrei vor sich hinbrummelt. Selbst das Retromotorrad, der in Metall gefrorene Batzen Siebzigerjahre-Selbstverwirklichung, heilt zwar die Seele, muss aber nicht wirklich als Transportmittel funktionieren. Das tut irgendein Furz-Vierzylinder-Vierrad. In dieser Gefühlswelt tut die Fuel genau das, was Rolf will: Sie betankt die Seele mit Treibstoff oder profaner: Sie schmiert emotionalen Schmalz zum Interessengebiet Motorrad in die Momente, in denen der Leser Muße dazu hat.

Digital first, Bedenkenförster

Die Fuel verkauft sich erfreulicherweise gut genug, dass der Verlag sie regelmäßig herausbringt. Andere Print-Beispiele laufen sogar extrem gut: Die Bilder-Zeitschrift „Landlust“ explodierte auflagentechnisch vor einigen Jahren und begründete das ganze Genre „Landlust-Kopien“. Von solchen Geschichten lässt sich ein Heftemacher gern faszinieren. Einmal eine Auto-Landlust an den Start bringen! Das wär‘s. Ausgesorgt. Wir müssen dabei aber schnell feststellen, dass lokale Anekdoten gegenteiliger Entwicklungen wie Fuel oder Landlust nichts daran ändern, dass der Hauptmarkt in seiner Gesamtheit weiterhin schrumpft. Leser starren immer weniger auf Papier und immer mehr auf Bildschirme. Das geht seit Jahrzehnten so, ohne dass die etablierten Verlage etwas daraus machen konnten.

Das Wegbröckeln der Leser wäre nicht so schlimm, wenn es nicht im Gleichschritt einherginge mit einem Webröckeln der eigentlichen Kundschaft: der Werbetreibenden. In gewissem Maße orientiert sich das Eine am Anderen: Leserquantität und -qualität bestimmen die Werbenachfrage. Darüber hinaus erlebt die Werbeindustrie jedoch parallel zu den Medien ihre eigene Krise, für den Endverbraucher wohl am besten sichtbar darin, dass mühsam aufgepäppelte Markennamen in peinlichsten Influencer-Kampagnen verfeuert werden. Unmoderiert werden die Marken in extremo so wertlos werden, dass sie von ganz unten wieder neu heraufgepäppelt werden müssen. Dann rummst das Geldschott sofort in die Vollschließung. Man könnte also als Verlag auf den Influenza-Zug aufspringen, würde aber mittelfristig gesehen damit einfach nur mit auf diesen Abgrund zufahren.