Kommentar: Stadt, Land, Stuss II

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Aber da kommen Menschen schon alleine drauf, weil gemeinsam Fahren einfach billiger ist. Wir fuhren damals mindestens zu dritt, manchmal zu viert im Opel Kadett zur weiterführenden Schule. Sonst hätten wir eine mehrfache Menge an Mobilitätskosten gezahlt. Die Mobilitäts-Verfügbarkeit erhöhte sich außerdem durch die Fahrzeug-Redundanz, was bei jugendtypisch alten Schrottkisten ein nicht zu unterschätzender Faktor war. Kurz: Ich glaube nicht, dass die Politik den Deutschen hier viel Neues erzählen kann.

Schlachtet das Goldene Kalb!

Eine Welt ohne motorisierte Individualmobilität ist einfach denkbar, denn wir kennen so eine Welt schon: Es war unsere Welt bis ins 19. Jahrhundert. Ich denke, es herrscht Konsens darüber, dass wir so eine Welt nicht wirklich wollen. Wir fürchten vielleicht, dass wir sie bekommen, doch wir wollen eine moderne Welt.

Ich halte es für möglich, dass die Menschheit sich eine moderne Welt erhält und gleichzeitig ihren Lebensraum erhält und ausbaut. Ich halte es sogar für möglich, dass diese Welt mehr Lebensfreude für den Einzelnen enthält. Aber das geht nur, wenn wir über alle menschlichen Habitate reden, von New York bis zu den brachgelegten Feldern im Senegal. Wer nur über Städtelösungen spricht, hat noch nicht einmal das halbe Problem benannt.

Problem: Religion

Das Problem liegt nämlich gar nicht am Auto an sich. Das Problem liegt darin, dass vor allem wir Deutschen aus dem Auto eine Religion gemacht haben, der sich alle andere Mobilität unterzuordnen hat: von breiten Schneisen vernarbte Innenstädte sprechen bis heute von den Zukunftsvisionen der Dreißigerjahre, von der autogerechten Stadt. Man fahre zu Arbeit, Einkaufen, Schlafen in die entsprechenden Funktionsblocks!

Die Stadtplaner damals wussten nicht, was wir heute erkannt haben: Der autogerechten Stadtplanung fiel ein Teil der menschengerechten Stadt zum Opfer. Deshalb fällt jetzt auch der Backlash so arg aus: „Ganz weg mit dem Auto!“ Wenn wir jedoch zu einer gesunden Mischung kommen, mit mehr Öffis auch auf dem Land, gerade für die Heerscharen an vom-Land-in-die-Stadt-Pendler, mit autofreien Innenstädten und Kreislaufwirtschafts-Autos, dann lebt es sich nicht nur nachhaltiger, sondern auch für alle entspannter – vor allem für den vom Verkehrskollaps am meisten Betroffenen: den Autofahrer selbst. (cgl)