Deutsche Autokonzerne investieren in den US-Südstaaten

Detroit spielt trotz der Werke von Ford und GM eine immer kleinere Rolle. Die europäischen Autokonzerne haben in den US-Südstaaten eine zweite Heimat gefunden.

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Deutsche Autokonzerne haben in den vergangenen 30 Jahren riesige Produktionsanlagen im Süden der USA aufgebaut.

(Bild: BMW)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Stefan Grundhoff
Inhaltsverzeichnis

Einst war die Sache glasklar: Die gigantische US-Autoindustrie hatte ihren Sitz im US-Bundesstaat Michigan, genauer gesagt in Detroit. Doch die glanzvollen Zeiten sind vorbei. Gerade die europäischen Hersteller haben ihre Werke in den Südstaaten errichtet. Mercedes, BMW und Volkswagen betreiben im Süden der USA riesige Produktionsanlagen. Für diese Standortentscheidung gab es gute Gründe, denn ihnen wurde dort gewissermaßen der rote Teppich ausgerollt. Im Gegenzug flossen Milliarden an Investitionen in diese Gebiete. In den kommenden Jahren dürften etliche hinzukommen, denn der Wandel bei der Fahrenergie erfordert einen gewaltigen Umbau.

Seit 25 Jahren fertigt Mercedes in den Tuscaloosa/Alabama seine ebenso ertragreichen wie volumenstarken SUV-Modelle GLE, GLS und bald auch den elektrischen EQS als SUV. Wenn Mercedes-Entwicklungsvorstand Markus Schäfer über seine Zeit im Werk Alabama spricht, sieht man seine Augen strahlen. "Es war hier eine sehr schöne und spannende Zeit", sagt Schäfer. Viele Kontakte seien geblieben und er komme immer sehr gerne zurück. "Die Freundlichkeit der Menschen ist einzigartig." Auch Mercedes-CEO Ola Källenius erlebte nach eigenen Aussagen in den Südstaaten schöne Daimler-Jahre. Ähnlich sieht es bei vielen BMW-Topmanagern aus. Der Aufsichtsratsvorsitzende Norbert Reithofer war vor seiner Zeit als BMW-CEO einige Jahre in den amerikanischen Südstaaten und gab sich bei Terminen deutlich entspannter als sonst.

600 Kilometer nordöstlich von Tuscaloosa in Spartanburg/South Carolina liegt seit vielen Jahren das größte BMW-Werk der Welt. Hier werden seit fast drei Jahrzehnten die SUV produziert. Gestartet war die Fertigung Anfang der 1990er-Jahre mit einem weißen BMW 318i der Baureihe E36, es folgte der Roadster Z3. 2021 liefen in Spartanburg mehr als 430.000 Fahrzeuge der Modelle X3/X4, X5/X6 und X7 vom Band. Damit werden hier mehr Autos als in jedem anderen BMW-Werk gefertigt. Ende 2022 soll das neue Topmodell des XM hinzukommen.

Rund vier Stunden westlich von Spartanburg hat Volkswagen als dritter deutscher Großkonzern seine Produktion hochgezogen. Anfangs wurde Chattanooga im Bundesstaat Tennessee von einigen Wolfsburgern als Abschiebelager gesehen, doch spätestens seitdem die Fertigung auf Elektromodelle umschwenkt und das erfolgreiche Atlas-SUV dort gebaut wird, steigt das Werk im Ansehen vieler. Der US-Passat ist Vergangenheit, jetzt warten alle auf die elektrischen ID-Modelle. Losgehen soll es mit dem ID.4, weitere Modelle sollen folgen. Möglich wäre der VW ID.Buzz oder sogar Elektroautos anderer Konzernmarken auf dem modularen Elektrobaukasten.

"Dies ist ein großer Moment für das Unternehmen", so Scott Keogh, CEO von Volkswagen Group of America, "die Erweiterung der lokalen Produktion legt die Grundlagen für nachhaltiges Wachstum in den USA. Elektroautos sind die Zukunft der Mobilität und Volkswagen wird sie für Millionen Menschen bauen." Durch die Investition von 800 Millionen Dollar sollen in Chattanooga 1000 Arbeitsplätze entstehen und für die Elektrofamilie wird die Fertigung um 52.400 m2 erweitert. Zusätzlich soll eine Montage für Batteriesysteme errichtet werden.

Doch weshalb sind die amerikanischen Südstaaten so beliebt bei den deutschen Autoherstellern? Natürlich geht es erst einmal ums Geld. Alle drei Standorte haben seinerzeit viele Hebel in Bewegung gesetzt, dass sich die europäischen Marken mit ihren neuen Fertigungsstätten hier niederlassen. Die Erschließungskosten waren minimal, die Steuervergünstigungen groß. Nicht zu unterschätzen ist außerdem, dass in den Südstaaten die Gewerkschaften deutlich flexibler sind als in Michigan oder in Deutschland. Von vielem, was in hierzulande an Rechten für Arbeitnehmer ganz normal ist, können Arbeiter in den Südstaaten nur träumen.

Mercedes hat seit den 1990er-Jahren in Tuscaloosa mehr als sieben Milliarden US-Dollar investiert.

(Bild: Mercedes)

Spektakulär war die Geschichte rund um den VW-Standort in Chattanooga. Als am 16. Mai 2008 eine Gesandtschaft von Volkswagen die ehemalige Eisenbahnerstadt besuchte, sah es alles andere als rosig aus. Ein paar grüne Hügel auf dem Gelände eines alten Munitionslagers, zwei Bahnlinien und zwei Autobahnkreuze waren den Produktionsverantwortlichen aus Wolfsburg unter der Leitung von VW-Vorstand Dr. Jochem Heizmann einfach zu wenig. Man zog unverrichteter Dinge ab. Es schien so, als würde Chattanooga ihren Charme aus längst vergangenen Montanzeiten nie ablegen können. Doch eine Niederlage bei der Standortentscheidung wollte der Gouverneur von Tennessee, Phil Bredesen, nicht hinnehmen. Schließlich ging es um 2000 Arbeitsplätze, ein neues Werk und ein Investitionsvolumen von mindestens einer Milliarde Dollar. Den Finanzfluss wollte man nicht zu den Konkurrenten Huntsville oder Battlecreek abwandern sehen.

Aus Amerika für Amerika: Der Atlas wird im Werk Chattanooga im Bundesstaat Tennessee hergestellt.

(Bild: Volkswagen)

Am Tag nach dem Ortstermin wurde damit angefangen, eine Fläche von über fünf Millionen Quadratmetern abzuholzen, damit man sich das Gewerbegebiet besser vorstellen konnte, erinnert sich Thilo Brockhaus, seinerzeit Bauleiter des VW-Werkes. Und das ohne jeden Auftrag. Einen Tag später rollten Dutzende von Baggern und schweres Baugerät an. Die hügelige Landschaft im Südosten von Chattanooga wurde abgeholzt und binnen kürzester Zeit geglättet. Nach zwei Monaten war alles bereit für die nächste Besichtigung.

Damit Volkswagen sich in der Zwischenzeit nicht anderweitig mit einem der Konkurrenzstandorte einigte, schickten die Verantwortlichen von Stadt und County mehrfach in der Woche Zustandsberichte und Luftfotos nach Wolfsburg. Die spektakuläre Aktion verfehlte ihr Ziel nicht. Am 15. Juli 2008 vermeldete die Zeitung Chattanooga Times Free Press, dass Volkswagen sich zugunsten der Cho-Cho-Stadt entschieden hatte. Die ganze Region feierte und Bürgermeister Ron Littlefield konnte Wiederwahl als gesichert betrachten.

Längst sind die drei Standorte Chattanooga, Spartanburg und Tuscaloosa im Produktionsverbund der Marken ebenso wie in der amerikanischen Autoindustrie feste Größen. BMW ist seit Jahren mit seiner Fertigung sogar der größte Autoexporteur der USA. Jetzt geht es darum, die Werke fit für die kommenden Jahrzehnte zu machen. Alle Produktionsstätten stellen sukzessive auf Elektrofahrzeuge um. Seit 1992 hat BMW fast zwölf Milliarden US-Dollar in South Carolina investiert.

Früher war vieles leichter: Der BMW, der in Spartanburg gebaut wurde, war ein 318i.

(Bild: BMW)

Das Werk verfügt über eine Produktionskapazität von bis zu 450.000 Fahrzeugen und beschäftigt fast 12.000 Mitarbeiter, die im Zweischichtbetrieb an sechs Tagen in der Woche jeweils zehn Stunden arbeiten. Dr. Robert Engelhorn wurde aus München nach Spartanburg beordert, um das Volumenwerk nach Vorbild der bayrischen Stammstätte in eine flexible Elektrofertigung umzuwandeln. "Wichtig ist für uns die Flexibilität", sagt Engelhorn. "Um flexibel zu sein, müssen wir auf einer Linie Verbrenner, Plug-in-Hybride und Elektromodelle fertigen können."

Auch Mercedes baut seine Fertigung in Alabama aktuell wieder einmal aus. Bevor das EQS-SUV im Herbst zu den Kunden rollt, wurde in Bibb County eine neue Batteriefertigung eröffnet, aus sich insbesondere der elektrische SUV und weitere folgende Modelle bedienen soll. Das bedeutet 600 weitere Arbeitsplätze für die bestehenden 4500 im benachbarten Tuscaloosa. Der EQS SUV ist das erste rein elektrisch angetriebene Fahrzeug aus dem Mercedes-Südstaatenwerk und das neue Batteriewerk in Bibb County ist das erste seiner Art im Bundesstaat Alabama. Hatte das ehemalige ML-Werk vor 25 Jahren eine Startkapazität von 65.000 Fahrzeugen, wo wurden im vergangenen Jahr 260.000 Autos der Modellreihen GLE, GLE Coupé, GLS und GLS Maybach produziert. Auf der gleichen Fertigungslinie kommt nach dem Sommer der elektrisch angetriebene Mercedes EQS SUV hinzu.

Die M-Klasse wurde ab 1997 in Tuscaloosa gebaut. Über die Fertigungsqualität gab es gerade in den ersten Jahren bei Amerikanern und Europäern sehr unterschiedlichen Vorstellungen.

(Bild: Mercedes)

Seit den 1990er-Jahren hat der ehemalige Daimler-Konzern in Alabama mehr als sieben Milliarden US-Dollar investiert. Seit 1997 sind vier Millionen Fahrzeuge im Werk in Tuscaloosa vom Band gerollt. Von den zuletzt rund 260.000 produzierten SUVs gingen zwei Drittel der Jahresproduktion in den Export. "Mit dem Produktionsstart der wegweisenden M-Klasse vor 25 Jahren hat Mercedes-Benz geholfen, unseren Staat an die Spitze der Automobilproduktion zu bringen", sagt Alabamas Gouverneurin Kay Ivey. "Mit dem neuen Batteriewerk hilft Alabama Mercedes dabei, seine Produktion von zukunftsweisenden Elektrofahrzeugen zu beschleunigen. Wir sind stolz darauf, Mercedes als Partner zu haben, und freuen uns auf die Zukunft, die wir gemeinsam in Alabama aufbauen." Mit dem neuen Werk wird Bibb County Teil des globalen Mercedes-Benz Batterieproduktionsnetzwerks, das Fabriken auf drei Kontinenten umfasst.

(mfz)