Gewerkschaften: Die Tech-Branche organisiert sich

Im letzten Jahr gründete sich in der Tech-Branche eine Rekordzahl von Gewerkschaften als Teil einer globalen Bewegung. Firmen wie Microsoft reagieren darauf.

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(Bild: Technology Review)

Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Jane Lytvynenko
Inhaltsverzeichnis

Für die Tech-Giganten hat sich etwas geändert. Sie haben zwar nach wie vor einen enormen Einfluss auf unser tägliches Leben, aber eine wachsende Bewegung hat begonnen, diese Macht zu begrenzen. Dahinter stehen vor allem die Beschäftigten selbst. Sie wollen die Art und Weise verändern, wie diese Unternehmen ihre Geschäfte tätigen, ihre Mitarbeiter behandeln und ihre Rolle als "Weltbürger" ausfüllen. Vor allem im vergangenen Jahr hat diese Bewegung eine nie dagewesene Dynamik entwickelt.

Die Sorge über den Einfluss der Tech-Konzerne ist natürlich nicht neu. Was sich aber geändert hat: Die Arbeitnehmer melden sich verstärkt zu Wort und fordern, dass ihre Arbeitgeber stärker für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden. Dazu schreiben sie öffentliche Briefe, protestieren, reichen Klagen ein oder organisieren sich gewerkschaftlich.

Dieser Text stammt aus: Technology Review 4/2022

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Technology Review 4/2022 im heise shop

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In diesem Kontext hat nun Microsoft-Präsident Brad Smith kürzlich im Firmen-Blog einige Grundsätze veröffentlicht, in denen das Unternehmen das Recht seiner Mitarbeiter anerkennt, sich zu organisieren, und sich verpflichtet, konstruktiv mit denjenigen zusammenzuarbeiten, die dies tun. Zwar betonte Smith, dass sich Mitarbeiter niemal organisieren müssten, da es Mechanismen für das Feedback der Mitarbeiter gebe. Aber man erkenne an, dass es Zeiten geben könne, in denen einige Mitarbeiter in einigen Ländern eine Gewerkschaft gründen oder ihr beitreten möchten. Die Veröffentlichung der Grundsätze kommt in Folge auf eine Gewerkschaftsabstimmung in der vergangenen Woche durch das Qualitätssicherungs-Team der Activision-Blizzard-Tochter Raven Software, dem Hersteller von Call of Duty. Microsoft benötigt die behördliche Genehmigung für die Übernahme von Activision Blizzard für 68,7 Milliarden Dollar.

Das Thema der Gewerkschaften beschäftigt die Tech-Branche schon lange. Ein entscheidendes Datum dafür war der 5. Oktober 2021: Die Whistleblowerin Frances Haugen hatte eine Reihe vernichtender Enthüllungen über Facebook veröffentlicht. "Facebook hat sich konsequent dafür entschieden, seine Gewinne über die öffentliche Sicherheit zu stellen", sagte sie.

Einen Tag später stellte Ifeoma Ozoma mit mehreren Kollegen das "Tech Worker Handbook" online. Ozoma war selbst Whistleblowerin. Zusammen mit ihrer Kollegin Aerica Shimizu Banks hatte sie 2020 rassistische und sexistische Diskriminierung im Unternehmen Pinterest angeprangert. Dadurch wurde sie zur Inspiration für zahlreiche andere. "Seit ich an die Öffentlichkeit gegangen bin, haben mich viele um Rat gefragt", sagt sie. Sie beriet Hunderte von Einzelpersonen, aber dies sei "nicht skalierbar" gewesen. Also fasste sie ihre Erfahrungen in einem Online-Handbuch zusammen. Es wurde allein am ersten Tag 30.000 Mal aufgerufen.

Das Handbuch erklärt potenziellen Whistleblowern, wie sie mit Medien umgehen, welche Rechte sie haben, wie sie sich gegen eine Unternehmensüberwachung schützen können oder wie sie eine Doxxing-Kampagne überstehen – also die Veröffentlichung privater Details wie die Wohnadresse. "Bereitsein ist Macht", heißt es auf der Webseite. "Der Einzelne sollte sich nicht auf Flüsternetzwerke verlassen müssen, um zu seinem Recht zu kommen." Die Website erhielt überschwängliches Lob von Aktivisten, Forschern und Whistleblowern.

Nur einen Tag später konnte Ozoma einen weiteren Sieg verbuchen: Am 7. Oktober unterzeichnete der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom das Gesetz Silenced No More. Es schützt Arbeitnehmer, die Diskriminierung und Belästigung öffentlich machen, auch wenn sie eine der branchenüblichen Geheimhaltungsvereinbarungen (NDA) unterzeichnet haben. An diesem Gesetz hatte Ozoma mitgewirkt und ihre Erfahrungen dabei einfließen lassen. Es trat am 1. Januar 2022 in Kraft. "Vierzig Millionen Menschen sind eine verdammt große Sache", sagt sie mit Verweis auf die Einwohnerzahl Kaliforniens. "Und selbst wenn es dabei bleiben würde, wäre es immer noch eine verdammt große Sache."