Honda Deauville: Die preiswerte Prostituierte

Seite 2: Das große Geheimnis

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Selbstverständlich wurden häufig Heizgriffe montiert. Es gab überdies schon damals in Hondas Werkszubehör Stoff-Windabweiser für oben (Hände) und unten (Füße), die an der Verkleidung befestigt wurden (Artikelnummern 08P70 MBL 800 und 801 im Zubehör). Der einfache Kardanantrieb läuft ohne außerplanmäßige Wartung. Das Fahrwerk ist so weich, dass die Deauville im Schnitt wahrscheinlich mehr Schlechtwegstrecken sieht als eine Reiseenduro.

Honda Deauville NT650V aus dem Jahr 2003.

(Bild: Wikipedia Gnuckx)

Der Wetterschutz funktioniert einfach. Der tuckerige Dreiventiler-V-Motor schlürft stets sehr sparsam am im Verhältnis dazu großzügigen Tank. Sie fährt zum Strecke machen ermüdungsarm über 180 km/h Autobahn, mit optimistischen Tacho-Anzeigen von teilweise der großen 2 vorne.

Das alles erklärt jedoch nicht, warum jemand eine Deauville kauft. Wer aufwandsarme, praktische, wintertaugliche und günstige Mobilität mit zweimal verdauter Gestaltung sucht, der findet die ja auch in einem Kia Picanto, einem Kymco Xciting oder einer Busfahrkarte. Nein. Es gibt einen anderen Grund, diese Honda zu fahren. Es ist ihr großes Geheimnis: Deauville fahren macht richtig Spaß, oder besser: Es macht viel mehr Spaß, als ihre ganzen Alltags- und Tourentugenden vermuten lassen. Das ist das, was die Lästerer mit ihrem "Dullville" oder deutsch "Doofville" nicht wissen oder nicht weitergeben. Woher kommt die Fahrfreude?

Nach meinen eigenen Erfahrungen nach zu urteilen: Es ist eine Mischung verschiedener Eigenschaften. Das Leistungs-Gewicht-Verhältnis von 66 PS auf 254 kg erlaubt dir, den Eimer so richtig auszuwringen, wie du es zuletzt mit der Fahrschul-500er tatest. Das spielerische Handling macht dich mutig. Das unliebbare Äußere macht dich vielleicht gar experimentierfreudig. Lieber den Burnout auf der Doofville probieren als auf der neuen Ducati. Die Schräglagenfreiheit entspricht der eines Naked Bikes. Das weiche Fahrwerk dämpft trotzdem irgendwie genug. Und der Lenker im Verhältnis zum Lenkkopfwinkel passt gerade so, dass sich Handlichkeit und Stabilität die Waage halten.

Wenn man diesen Fahrspaß in Verbindung mit ihrer Tauglichkeit für jeden Tag, jede Strecke, jede Distanz kombiniert, versteht man vielleicht schon hier im Text, warum die Deauville eine kleine, aber sehr eingeschworene Fangemeinde behalten konnte. Wer einfach nur ganz, ganz viel, ganz, ganz weit Motorrad fahren will, findet hier seinen besten Kumpel. Ich erinnere mich an meine Erstbegegnung mit der Deauville. Wir testeten sie an einem recht anstrengenden Tag im Vergleich zu einer Guzzi, die fuhr wie Helmut Kohl zu laufen pflegte und einer BMW, deren Nonsens-Maschine von Bremskraft-Verstärker ständig Probleme machte.

Als mich Kollege Guido abends bat, doch mal Motorräder zu tauschen zwecks Fahreindrücken, gab ich ihm die Deauville schlicht nicht. Ich vertröstete ihn auf den nächsten Tag, denn ich wollte mich mit letzter Konzentration in die Herberge retten, essen, duschen, schlafen. Bleibe er mir fort mit Moto Guzzis und BMWs Ideen vom Zweiradbau! Nur noch nach Hause oder wenigstens ins Bett! Jeder Langstrecken-Tourenfahrer weiß, was dann für Motorradtugenden zählen. Die Deauville hat sie alle.