Honda Deauville: Die preiswerte Prostituierte

Seite 3: Heirate deinen besten Kumpel

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Sie ist der diametrale Gegenentwurf zu einer prestigeträchtigen Diva. Für eine Nacht wünschen sich Viele vielleicht ein Model als Partner. Wenn man jedoch jeden Tag mit so jemand leben müsste, würde es schnell nerven, dass man nirgendwo ohne zehn Stunden Vorbereitung hingehen kann und dass ein Abendessen ohne rechtsdrehend handgeschniepelten, aufs Gramm abgewogenen Chiasamenschleim geradeheraus undenkbar wird. Um den Kumpeltyp dagegen beneidet dich kaum jemand, dafür kannst du mit ihm ohne Aufriss alles machen inklusive auf der Couch Pommes essen. Eine Deauville kaufen endet daher häufig mit einer Langzeitbeziehung zu diesem Fahrzeug.

Experten lasen zwischen den Zeilen bereits heraus, welche Generation Deauville ich gefahren sein muss: NT 700 V (3. Generation), verkauft ab 2006. Vorher gab es lange keine Änderungen, und die Änderungen zur 700er blieben überschaubar: etwas mehr Leistung und Drehmoment aus einem Hubraum-Plus, Durchreiche zwischen den Koffern, Gestaltung und Technik auf den nötigen Mindeststand des Jahres 2006 gebracht. Das bedeutete damals vor allem: eine Euro-3-taugliche Einspritzanlage und Motorsteuerung. Konzeptionell blieb sie ganz die Alte.

Honda NT 700 V Deauville im letzten Update (neue Farben) von 2010. Schon in Hondas Werksfotos im vollen Ornat mit Topcase und Tankrucksack.

(Bild: Honda)

2012 hörte Honda auf, die Deauville zu produzieren. Zu gering die Nachfrage der Vielfahrer, die sie zu schätzen lernten. Im Herbst 2012 stand wie abgesprochen auf der Motorradmesse Eicma in Mailand die BMW F 800 GT, der Nachfolger der ST, und kurz flammte der Gedanke in mir auf: Ja, das könnte ein Ersatz-Kraftrad für die Deauville-Kundschaft werden! Die GT kam BMW-typisch mit viel Touren-Zubehör, sie hatte BMWs letzten Riemenantrieb mit Einarmschwinge (war also vergleichbar pflegeleicht), es gab ein okay integriertes Koffersystem (natürlich ohne Durchreiche), der Motor lief mager und sparsam.

Aber, aber, aber: Auf dem Prüfstand häufig über 90 PS freuten Zu-zweit-Fahrer, doch schon damals begann BMWs Anbiederung an die Laut!-Fraktion: Ausgerechnet das neue Reisemotorrad lärmte ziemlich knackig und war obendrein wohl kaum hässlich genug für ein Tourenkrad. Dazu kam eine Sitzposition, die erst bei eher schnellerer Fahrweise überzeugte, deutliche Lastwechselreaktionen wollten beachtet werden, ein zu straffer Lenkungsdämpfer störte in der Stadt, und ohne sie im direkten Vergleich gefahren zu sein: Wahrscheinlich war die GT auch weniger handlich als die Deauville.

Die Zeitschrift Motorrad beschrieb die kleine BMW gar als "ein wenig steif um die Hüfte". Ich gab sie damals Kollege Tobi zum Testen, der die GT knapp zusammenfasste: "Clemens, desch' nix." BMW zuliebe unterließ ich den Testartikel mit diesem knappen, vernichtenden Ergebnis und verwurstete das Krad stattdessen in einem dümmlichen Video. Die GT dümpelte im BMW-Programm mit, bis sie 2018 still daraus verschwand.

Die Deauville lockt daher heute mit all ihren alten Tugenden als Gebrauchte. Viele Kollegen suchen heimlich eine für die Wintersaison. Mein eigener Mausfinger juckt bereits – jedes Mal, wenn ich wieder Salzfraß an der Duke entdecke. Der Deauville werden nie Arien geschrieben werden, doch ihren einzigartigen Platz in den Annalen der Motorradgeschichte hat sie sicher. Sie ist keine Diva, sie ist nicht schön, sie ist mehr wie die preiswerte Prostituierte des Titels: Sie macht alles, sie macht alles gut, kostet wenig und stellt keine Ansprüche. Alle, die sehr viel fahren, finden in ihr eine unscheinbare Quelle des Glücks.

(cgl)