Kaufhaus mit Anschluss

Die Mauer zwischen realer und virtueller Welt fällt. Der Supermarkt um die Ecke bekommt eine neue virtuelle Benutzeroberfläche.

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Lesezeit: 19 Min.
Von
  • Robert Buderi
Inhaltsverzeichnis

Besucht man die repräsentative Hauptfiliale der REI-Outdoorhandelskette in Seattle, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus: Rund um das Geschäft, das so groß ist wie ein ganzer Häuserblock, verläuft eine Mountainbike- Teststrecke, und ein kleiner Bach säumt einen Wanderpfad. Ein Wasserfall rauscht. Das alles will überhaupt nicht ins Stadtbild passen. Hinter dem Portal erhebt sich erst mal eine 20 Meter hohe Felswand. Verteilt auf zwei Verkaufsetagen findet man hier alles, was man zum Leben draußen braucht: Rucksäcke, Wanderstiefel, Kajaks, Zelte, Jacken, Kochgeschirr. Man fühlt sich jünger, kraftvoller und irgendwie verwegen, allein schon, wenn man diesen Laden betritt.

Irgendwo zwischen Schlafsäcken und Wintersocken wandeln ein Mann und eine Frau, die bald heiraten werden, durch die Gänge. Sie haben ein Gerät, groß wie ein Mobiltelefon, in den Händen und zeigen damit auf Dinge, die ihnen gefallen. Das Maschinchen ist ein Lesegerät: Man drückt auf einen Knopf, und ein Laserstrahl liest den Strichcode des Produkts, auf das er gerichtet wird. Wenn das Lesegerät mit einer speziellen Kasse gekoppelt wird, überträgt es seine Daten direkt auf den digitalen Wunschzettel des Paares im REI-Onlineshop. Eric Thorson, Verkaufsmanager des Geschäfts, lächelt, wenn er die Paare sieht: "Wir haben einen Scanner pro Paar. Das sorgt schon mal für Spannungen, wenn sie hoch will zur Bekleidung und er lieber die Eisbeile im Untergeschoss anschauen möchte. Statt sich über ein Hochzeitsgeschenk Gedanken zu machen, begeben sie sich auf ein großes Einkaufsabenteuer."

Der Hand-Scanner kann 300 Dinge speichern, sagt Thorson. "Aber ich habe schon erlebt, dass wir Scanner nach Leeren des Speichers gleich wieder herausgeben sollten." Es mag verrückt klingen, aber die Menschen, die hier durch die Gänge streifen, Warendaten herunterladen und in den Onlineshop füttern, erleben heute schon die Zukunft des elektronischen Handels: reales Kaufhaus mit digitaler Bedienoberfläche. Andere Händler bieten ihren Kunden ähnliche Scanner, doch bei ihnen müssen die Daten der Wunschliste noch manuell gepflegt werden. Bei REI werden die Listen automatisch aktualisiert, sobald ein Scanner einen neuen Wunsch erfasst oder ein Gegenstand von der Liste gestrichen wird, weil er per Post, Telefon oder über das Internet bestellt oder in einer der 77 Filialen gekauft wurde –- jede Niederlassung, ob online oder real, weiß sofort Bescheid. Man kann online einkaufen, aber die Ware selbst in einem Geschäft abholen. Überall gibt es dasselbe Angebot, jeder Gegenstand, der im Netz angeboten wird, kann offline gekauft werden -– und umgekehrt. Im Geschäftsjargon firmiert dieses allumfassende Handelsmodell als "Multichanneling". Damit ist die Verschmelzung von realen Ladengeschäften mit digitalen Dienstleistungen und klassischem Kataloggeschäft per Post- oder Telefonbestellung gemeint –- so wie die Digerati es schon zu Beginn des Internetbooms in den 1990er Jahren prophezeit hatten.