Missing Link: Der Herr der Routen – vom funktionierenden Netz und den Grundlagen

Seite 2: Die deutsche Version der Protokollkriege

Inhaltsverzeichnis

(Bild: asharkyu/Shutterstock.com)

Der ISO/OSI-Standard?

Rüdiger Volk: ISO/OSI ist ja noch keine Definition für ein interoperables Netz, schon weil sich die reizvolle Frage stellt, was ist denn dabei der unterste Layer. In Europa war diese unterste Schicht X.25 und die Vorstellung war, dass man damit eigentlich gar keine Transportebene mehr braucht, weil X.25 ja schon so unglaublich zuverlässig ist.
Es gab auch in der UniDo Sponsoring seitens des DFN. Unser Fachbereich hatte eine sogenannte X.25 Untervermittlung und einen X.25 Zugang an das öffentliche Netz.

TCP/IP und X.25 lebten also nebeneinander?

Rüdiger Volk: Mein damaliger Direktor, Dr. Peter, war anders als das bei anderen Rechenzentren war, direkt in der Abteilung aufgehängt. Das IRB Rechenzentrum war also nicht unter der Fuchtel von irgendeinem Lehrstuhlinhaber mit speziellen Forschungsinteressen. Für den Fachbereich war das eine gute Sache, weil zentral, neutral und zum Nutzen des gesamten Fachbereichs was Ordentliches geliefert wurde. Zu den damals geleisteten Vorarbeiten gehörte auch eine Diplomarbeit, die C für BS 2000 verfügbar gemacht hat. Der Mainframe mit BS2000 Betriebssystem war das dicke Eisen, mit dem man in der Internet Steinzeit Rechenzentren begründet hat. Zugleich hat mein Büronachbar ein vom DFN gesponsertes Projekt, das OSI Transport auf einem Siemens Rechner zu Laufen bringen sollte.

Lasst hundert Blumen blühen…

Rüdiger Volk: Interessant war natürlich, was funktioniert hat. Wir haben Sachen gemacht, die unmittelbar und pragmatisch eingesetzt werden konnten, ob das nun UUCP für die Weitstreckenkommunikation war oder TCP/IP in unserem lokalen Netz. Die Kleinigkeit, dass wir für Kunden Rechnungen geschrieben haben, ist natürlich ein wunderschönes Indiz dafür, dass da etwas funktioniert hat. Denn wer würde sonst die Rechnung bezahlen.
Das war der Punkt, an dem ich persönlich die Politik damals nicht verstanden habe. Einerseits war da etwas, was sofort einsetzbar war. Andererseits förderte man ein politisch korrektes Networking mit dem DFN. Der DFN Verein hatte jahrelang kein Netz und auch weitgehend keine Produkte, verwies aber immer darauf, wir machen das alles richtig, und damit das alles richtig gemacht wird, können wir im Augenblick nichts unterstützen, was praktisch funktioniert. Denn damit würden wir Abhängigkeiten schaffen und die Leute müssten nachträglich migrieren. Dieser Konflikt hat sich wirklich lange hingezogen, im Endeffekt bis nach 90.

Erst dann bekam das DFN ein eigenes IP-Netz….

Rüdiger Volk: Naja, es war die Community, die das IP-Netz implementiert und dem DFN abverlangt hat, dies über das ab 90 breitgestellte X.25-Netz "WIN" des DFN zuzulassen. Aber die Philosophie des Sonderwegs hat mindestens noch bis 91 fortgewirkt. Damals habe ich bei einem offiziellen Arbeitskreis Meeting des DFN nachgefragt, wie sie darauf reagieren wollen, dass eine Woche zuvor das britische Forschungsnetz beschlossen hatte, dass beim nächsten Entwicklungsschritt ihrer Netzinfrastruktur IP das bislang eingesetzte X.25 Protokoll ablösen soll. Auf meine Frage an die DFN Vertreter, ob sie diesen Schritt auch in Betracht ziehen könnten, bekam ich zur Antwort: Nein, wir werden IP überspringen und direkt von X.25 auf ATM (Asynchronous Transfer Mode, d. Red.) gehen.

Gab es denn für die Alternativen Chancen, doch noch durchzustarten, mit etwas mehr Zeit….

Rüdiger Volk: Ich glaube nicht wirklich. Einar Stefferud (ARPA Pionier, d. Red.) hat mal den reizvollen Auspruch getan 'OSI is a wonderful dream and the Internet is living it‘. Bei den OSI Definition haben wirtschaftliche und politische Einflüsse in die Designs hineingewirkt. Der Effekt war, dass man Protokolle mit Haufenweise Optionen definiert hat, damit man alle, die irgendwelche Wünsche hatten, befriedigen konnte. Dann hat man aber irgendwelche Gremien gebraucht, um Profile zu definieren, von denen man angenommen hat, dass sie interoperieren würden.

Und das hat einfach nicht so gut funktionert?

Rüdiger Volk: Ich will gar nicht behaupten, dass in der ISO konstruktive Beiträge überhaupt nicht gezählt haben. Aber bei der ISO oder CCiTT (Commité Consultatif Internationale Télégrafique et Téléfonique, d. Red.) oder heute der ITU (Interrnationale Fernmeldeunion, d. Red.) wird die Frage, wie funktional ist eine Idee, was bringt sie praktisch, mindestens durch politische Kräfteverhältnisse abgeschmeckt.
Ich habe die politischen Prozesse damals nicht genau verfolgt. Aber es war klarerweise eine Zeit, in der die Telekommunikationsmonopolisten noch sehr starke Positionen hatten. Bevor die Deregulierung des Marktes einsetzte, bewegten sich Aktivitäten wie das EUnet bei der UniDo in einer juristischen Grauzone.