Missing Link: Der Herr der Routen – vom funktionierenden Netz und den Grundlagen

Seite 5: Peering Wars statt Protocol Wars

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(Bild: agsandrew / Shutterstock.com)

Ist die Telekom ein Tier one?

Rüdiger Volk: Die Antwort hängt von der Definition ab. Ich neige dazu zu behaupten, wenn man die strikteste Definition verwendet, gibt so gut wie keinen Tier One Carrier. Ich definiere es so: Wer eine Tier One Routing Policy fährt, ist ein Tier One Carrier. Das trifft auf die Telekom auf jeden Fall zu.
Ob ein Netz eine Tier One Policy fährt, kann auch von außen einigermaßen zuverlässig überprüft und beurteilt werden. Die strikteren Definitionen sind alle so, dass man dazu interne, also nicht in den offenen Routing Tabellen sichtbare, Policies oder auch Geldflüsse kennen muss. Die sind geheim.

Gab es Momente, wo dir die Unterschiede zwischen Internet und Telekom Philosophie zu unüberwindbar erschienen? Wolltest du mal hinschmeißen?

Rüdiger Volk: Nein. Dass es unterschiedliche Philosophien geben würde, war meine Startannahme. Bis heute beschleicht mich regelmäßig der Verdacht, wenn ich Aktivitäten bei einzelnen Telcos oder deren Vorschläge bei der IETF anschaue, dass nach wie vor Leute unterwegs sind, deren Grundorientierung nicht zum Internetparadigma passt. Die Tatsache, dass gut funktioniert hat, was wir ausgehend von der Truppe in Münster definiert und in den Betrieb gebracht haben, hat sicherlich dabei geholfen, Angriffe abzuwehren, manche Dinge völlig falsch zu machen.
In einer Startphase haben wir mit der kleine Truppe aus Münster heraus ziemlich alles gemacht. Bei Installation und Betrieb Vorort haben wir natürlich die Unterstützung der Organisation gebraucht, genauso wie für das 24-7 NOC (Network Operation Center, d. Red.). Allerdings haben wir in der ersten Phase alle Router durch Münster geschleust. Dort wurden sie auf der Basis unserer Datenbank für das Netz durch konfiguriert. Für die Kollegen, die das dann Vorort installiert haben, war es wohl durchaus etwas überraschend, dass die Geräte verkabelt und angeschaltet wurden und dann lief das Netz.

Das galt aber für große Firmenrouter….

Rüdiger Volk: (Lacht) Nein, nein. Man muss ja erst mal den eigenen Backbone bauen. Es waren die Router in den diversen Telekom Standorten in der Republik, mit denen das Internet aufgespannt wurde. In der frühen Phase haben wir natürlich über die BTX Schiene auch das bedient, was man Residential Customers nennt. Architekturell kann man eine wunderschön saubere Schnittstelle machen zwischen dem IP Backbone und den Routern, die dann für diese Services die Daten handhaben. Insofern gab es da eine Schnittstelle für die Definition der Technik gegenüber den alten Fernmeldetechnikzentrum-Referaten (lacht) und dem existierenden Betrieb der alten BTX-Zentrale in Ulm.

Welche Rolle spielt dann heute noch der Münster Standort?

Rüdiger Volk: Ich weiß nicht, was sich in den letzten neun Monaten abgespielt hat, und im übrigen hat es eh schon beginnend im letzten Jahr tiefer greifende Reorganisationen gegeben, als ich der gesamten Zeit vorher gesehen habe. Die Kernaufgaben, die Architektur des Backbones zu designen und die Vorgaben bezüglich von Protokollen und Parametrisierung zu machen, sowie die Konfiguration, die sind immer da gewesen. Am Anfang haben wir selbstverständlich auch alles, was die Telekom an DNS gebraucht hat, selbst produziert. Mit der Verbreitung des Wissens in der Organisation wurde das im Lauf der Zeit lokal gemacht. Bis heute geblieben ist, meines Wissens die Verantwortung darüber, wie das IP Netz im Kern des Netzes funktioniert. Ich selbst habe mich im letzten Jahrzehnt dann im wesentlichen um die Außenbeziehungen, um die BGP Policies und die Verbesserung der Sicherheit des globalen Routing gekümmert.

Also Peerings mit anderen, und Transit…

Rüdiger Volk: Nein, nein. Ich war nur für die Technik verantwortlich. In den frühen Jahren war es so, Randy Bush ruft mich an und sagt, lass uns heraus finden, wie wir am besten peeren. Also die Techniker haben so was untereinander ausgemacht. Das hat sich im Lauf der Zeit heftig geändert. Es gibt spezielle Menschen für diese Verhandlungen heute und für die Definition der Strategie, wie man sich positionieren will. Dieses Thema ist nicht nur technisch und ist längst in ganz andere Bereiche der Organisation abgewandert. Da werden auch andere Kompetenzen gebraucht, es schadet allerdings nichts, wenn auch dort ein solides Verständnis vorhanden ist, was denn technisch geht und sinnvoll ist.

Hälst du denn die Strategie für richtig, zu sagen, wir gehen nicht an den Decix, wir peeren nicht mit Hinz und Kunz…

Rüdiger Volk: Die Frage ist weniger, ob man mit Hinz und Kunz an einem spezifischen Exchange Point peert, sondern ob man den Wünschen von Hinz und Kunz "settlement free-"Verbindungen aufbaut (dabei werden die Kosten gegeneinander aufgehoben, d.Red.). Man vermeidet eventuell lästige Diskussionen, wenn man an den Stellen, wo die Verbindungen gewünscht werden, nicht auftritt. Die andere Frage ist für mich, über welche Bandbreiten verhandeln wir denn eigentlich.
Die Kollegen vom Decix machen immer Publicity damit, dass der größte Teil des deutschen Verkehrs bei ihnen vorbei geht. Das stimmt natürlich nicht. Der größte Teil des Verkehrs läuft nämlich zwischen den Top Tier Netzen und, heutzutage, den Top Tier Content Providern oder Content Distributers. Mit Bandbreiten, die man niemals in einem "settlement free"-peering veranstalten würde. Für eine NGO kann man sich schon mal auf eine Exchange Plattform aufschalten, aber eben nicht mit großen Kapazitäten.