Missing Link: Der Herr der Routen – vom funktionierenden Netz und den Grundlagen

Seite 4: Gleich mehrere Wiegen des de-Internet

Inhaltsverzeichnis

(Bild: Carlos Amarillo/Shutterstock.com)

Der Start des Internet…..

Rüdiger Volk: Wirklich losgegangen ist der Service zum Jahreswechsel 89. Mir ist die Koinzidenz immer unheimlich bewusst, dass mit dem Fall der Berliner Mauer auf einmal auch das globale öffentliche Internet angefangen hat loszumarschieren. Im Dezember 89 haben wir für die UniDo die Angebote für den globalen Internetservice raus geschickt. Wir hatten nicht viele Kunden, und die mussten sich für ihren Verkehr eine 19.2 Kilobit-Leitung teilen.

Wer hat den nun die Nase vorn gehabt, UniDo oder Karlsruhe? Das DFN nicht, richtig?

Rüdiger Volk: Das DFN keinesfalls. Die ehemaligen Kollegen aus Karlsruhe, rund um Professor Zorn, haben eine sehr viel heftigere Begabung, öffentlich auf sich hinzuweisen. Meine Dortmunder Kollegen beklagen manchmal, dass wir und ich da zu wenig getan haben. Meine Sichtweise wäre die, wir haben aus verschiedenen Kondensationskernen heraus eine Community aufgebaut, die das Internet aufgebaut hat und die das übrigens auch vom DFN verlangt hat.
Davon abgesehen, die IP-Verbindungen, die rund um Dortmund über unsere Cisco Router aufgebaut worden sind, habe ich natürlich viel deutlicher gesehen als das, was rund um Karlsruhe passiert ist. Mit einem gewissen Bias würde ich also sagen, das UniDo Netz war prägender . Man darf aber auch Stuttgart mit dem dortigen Supercomputing Center nicht vergessen. In Bezug auf Comunity und Capacity Building in BaWü waren Stuttgart und dort Paul Christ und Jochen Brüning mindestens so wichtig wie die Freunde um Professor Zorn.

Du hast selbst in der Zeit ein paar zentrale Funktionen übernommen...

Rüdiger Volk: Ich hatte die Verwaltung des Domainnamenraums delegiert bekommen. Ich hatte IP-Adressraum besorgt, den ich verteilen konnte, ich hatte auch die Kundenbeziehungen vom EuNet und zentrale Aufgaben beim NRW Netz. Ich war praktisch der lokale Postel. Naja, das passt nicht ganz. Entscheidend war jenseits von Namen und Nummern, einen Nutzungsmodus dafür zu haben, wie man das X.25 Netz tatsächlich vernünftig als IP Netz verwenden konnte. Was muss ich an Adressvergabe veranstalten und welche Begleitinformation werden gebraucht, damit alle Teilnehmer ihren Router Anschluss vernünftig konfigurieren konnten. Darum habe ich mich gekümmert.
Für die Gesamtheit dieser Aufgaben habe ich dann den Namen DE-NIC eingeführt. Damit hatten wir in Dortmund sicher die Nase vorn, mit einem Beitrag für Strukturierung und Koordination die ersten Jahre des Internet-Betriebs in Deutschland. Dabei stellten sich dann im Lauf der Zeit auch Fragen der Finanzierung und Organisation zur Sicherstellung der erforderliche Koordination, administrativen Funktionen und deren technischen Umsetzug – vertrauenswürdig im Sinne der Nutzer und Community. Mit DE-NIC haben wir unter erheblichen Anfechtungen den Weg offengehalten, der für Deutschland dann letztlich mit der Genossenschaftsgründung DENIC eine Lösung gefunden hat.

Vom TCP/IP Pionier, DE-NIC-Urvater und eigener deutscher IP-Adressvergabestelle zu dem, der Internet für den Monopolisten macht, war das nicht ein ziemlicher Kulturschock?

Rüdiger Volk: Den Kulturschock haben wir abgemindert. Die Telekom hatte mich gefragt, wo sie die neue Sonderstelle Internet einrichten solle, von der aus ich meine Aktivitäten für das Unternehmen starten sollte, in Darmstadt oder woanders. Und ich habe gesagt, nee, Darmstadt liegt mir nicht so, Münster ist mir lieber. Auf die Art und Weise ist da Distanz geblieben. Für den Start ist das auch nicht schlecht gewesen. Die Nachteile haben erst sehr viel später zugeschlagen.
Als ich zum Gespräch in der Generaldirektion der am 1.1.95 frisch als AG instantiierten Deutschen Telekom eingeladen wurde, waren die unmittelbar Internet bezogenen Aktivitäten zu erklecklichen Teilen schon Vergangenheit. Der Netzbetrieb war schon ein paar Jahre vorher als EUnet/DE ausgegründet worden. Zuletzt hatte ich mehr DE-NIC Verwaltung gemacht, aber die wanderte dann von der UniDo nach Karlsruhe ab. Und ich hatte...

nichts mehr zu tun, das Internet war fertig….

Rüdiger Volk: Ich bin in Dortmund gefragt worden, ob ich wissenschaftlich weiterarbeiten will. Zugleich hatte ich mir schon Gedanken über die Deregulierung des Telekommunikationsmarktes gemacht. Die Internetveranstaltung war absehbar das, was zukunftsorientiert war und die ehemaligen Staatsmonopolisten hatten alle keine Aktien da drin und würden im Laufe der Deregulierung in diesen sich bereits entwickelnden Markt eintreten. Die spannende Frage war, wie das funktionieren würde. Als ich die Einladung zum Jobinterview bekommen habe, war mir schnell klar, dass ich da der externe Experte für den Aufbau dieses ganz neuen Zweiges sein kann. Ich habe da gesessen und überlegt, wenn ich jetzt nein sage, frage ich mich die nächsten 40 Jahre vielleicht, Mann, was hab ich da verpasst.

Also kein Kulturschock?

Rüdiger Volk: Den Kollegen, die mich damals fragten, ob ich denn nun auf die dunkle Seite gewechselt sei, habe ich gesagt, die dunkle Seite heißt Microsoft. Natürlich hat es in den folgenden Jahren immer wieder Situationen gegeben, in denen man mir bedeutet hat, jau Volk, Sie verstehen nicht richtig, wie hier gearbeitet und organisiert werden muss. Ich habe habe mit der Zeit gelernt, dass effizientes Arbeiten in einem Unternehmen mit 180.000 Kollegen anders organisiert werden muss als in einer kleineren Organisation. Dass es dabei auch Dinge gibt, die auf Traditionen beruhen und die nicht so hilfreich sind, war meine Erwartung, und diese Einschätzung finde ich bis heute bestätigt.

Kannst du beschreiben, wie du der Telekom IP nahegebracht hast?

Rüdiger Volk: Ich glaube, das Verständnis, was da zu tun ist, musste sich über längere Zeit entwickeln. Ich gehörte zu einer kleinen Truppe, die mit dem Auftrag los geschickt wurde, sich um Internet zu kümmern. Die war in der Abteilung von Erik Danke angesiedelt, und das bedeutete, dass man das Projekt zunächst mit einer BTX Brille betrachtete. Bei BTX wurden die Endgeräte relativ dumm gehalten und das Netz hat Dienste produziert. Das ist so ziemlich das genaue Gegenteil des Internet Paradigmas. Die Vorstellung war also erst mal, dass man etwas tun musste, um die BTX Dienste anzureichern. Die Idee, dass es sinnvoll wäre, sich als globaler Tier one IP Carrier zu positionieren, geschweige denn, dass ein IP Netz die Basis für alles sein sollte, das hat einige Zeit gebraucht.