Missing Link: Verkehrswende – ÖPNV, wir müssen reden!

Seite 2: Problem 3: Mangelnde Flexibilität im Vergleich zum Auto

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"Auto ist schneller, bequemer, schluckt alle Einkäufe, wartet direkt in meiner Einfahrt auf mich, fährt wann und wohin ich will, auch wenn ich spontan umentscheide." (Kommentar im Heise-Forum)

Mit der derzeitigen Struktur des ÖV ist somit der Wunsch nach unabhängigen und spontanen Reisen von A nach B, mit Zwischenstopps bei C, D und E, für Menschen außerhalb der Metropolen nicht denkbar. Damit bleiben Bedürfnisse nach Unabhängigkeit, Flexibilität aber auch Komfort mit den herkömmlichen, öffentlichen Transportmitteln auf der Strecke.

Dass nach wie vor nicht versucht wird, den Menschen die ÖV-Fahrten so komfortabel wie möglich zu machen, zeigt sich auch in der mangelnden Digitalisierung im ÖV. Trotz einiger Leuchtturmprojekte gibt es keine flächendeckende und einheitliche Digitalisierungsstrategie, die helfen könnte, die Nutzerfreundlichkeit im ÖV zu erhöhen.

Kaum zu glauben, wird die vergleichsweise simple Idee einer App, mit der ÖV-Nutzende einfach einsteigen können, ohne vorher am Fahrkartenautomaten ein Ticket ziehen zu müssen, nicht nur längst von Expert:innen als profitabel für Kund:innen und den ÖPNV selbst diskutiert. Auch im Heise-Forum wird die nach wie vor altertümliche Fahrkartenmethode im ÖPNV kritisiert und als Verschlossenheit gegenüber den Bedürfnissen der Nutzenden empfunden.

"Die Entlastung, sich nicht durch mehrere Verkehrsverbünde durchhangeln zu müssen und sich ggf. sein Ticket zusammen zu puzzeln ist schon enorm." (Kommentar im Heise-Forum)

Wesentlich für den Beitrag zur Verkehrswende sei das Schließen von "Mobilitätslücken", erläutert die Pressestelle des VDV (Dachverband der Verkehrsunternehmen) in seiner Antwort auf unsere Anfrage. Und weiter: "Erst, wenn das Angebot wirklich zuverlässig da ist, mit einem guten Takt oder mit einem On-demand Angebot, steigen die Leute dauerhaft um."

Da stellt sich doch die Frage, was in den ca. einhundertfünfzig Jahren, seit die ersten Nahverkehrslinien ihren Betrieb aufnahmen, passiert ist. Sollte ein zuverlässiges, gut getaktetes Angebot ohne Lücken und an die Nachfrage angepasst nicht eine Selbstverständlichkeit sein?

Auch beim Thema Fahrgästerückgang durch Corona wiegelt der VDV ab. Das sei alles nicht so schlimm: In dem Maße, indem die Einschränkungen durch die Politik zurückgenommen werden, kehren die Fahrgäste zurück, so ist der Verband überzeugt. Dass es für eine gelingende Verkehrswende nicht ausreicht, nur diejenigen in den ÖPNV (zurück) zu holen, die diesen ohnehin bereits nutz(t)en, wird offensichtlich ignoriert.

Wir haben die ÖPNV-Aktivisten von "Einfach einsteigen" gefragt, was aus ihrer Sicht passieren muss. Sie nennen drei Hauptpunkte aus ihrer Sicht für einen attraktiven öffentlichen Verkehr: "Netzausbau, Taktverdichtung und Preisreduktion". Damit bleiben sie recht eng am bestehenden Paradigma aus Netzen, Takten, Fahrzeugen – da steckt kein Systemwechsel drin. Sie plädieren aber für einen Kulturwandel.

"Was wir bei uns propagieren ist das "Einfach Einsteigen Gefühl". Öffis fahren muss zu einer Selbstverständlichkeit werden, über die ich gar nicht mehr bewusst nachdenke. Der Komfort der Fahrzeuge muss ein angenehmes Reisegefühl vermitteln und Fahrscheine sollten gar keine Rolle mehr spielen."

Die Gewerkschaft der Beschäftigten in den Nahverkehrsbetrieben Verdi betont auf Nachfrage, dass die Politik die Rolle des ÖV als zentrales Element zum Klimaschutz nach wie vor nicht ernst nehme. In die Kritik an der Politik reiht sich auch "Einfach Einsteigen" ein. So sei "an vielem nicht "der ÖPNV", sondern die an der Macht befindlichen politischen Entscheidungsträger*innen Schuld".

Und auch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) betont, dass der ÖPNV das Rückgrat der Verkehrswende sein könnte, letztendlich Bund und Länder aber darüber entschieden, ob er es tatsächlich ist oder wird. Der geforderte politische Wille muss sich dann aber auch im Finanziellen widerspiegeln.

Der Bundesrechnungshof kritisierte kürzlich, dass der Bund den Löwenanteil der ÖPNV-Finanzierung schultere, während die Länder mehrere Milliarden an Regionalisierungsmitteln nicht ausgegeben hätten. Die Finanzierung sei zudem völlig intransparent, die Mittel flößen, ohne dass deren Einsatz auch erfolge, so der Bundesrechnungshof in seiner Stellungnahmen, in der er ein bundesweites ÖPNV-Finanzierungsgesetz anregte.

Aber liegt es wirklich nur an "den Politikern" und daran, dass diese nicht genug Geld locker machen?