Missing Link: Zur Gewalt in Computerspielen 20 Jahre nach der Amoktat von Erfurt

Seite 2: Inhibitionstheorie und Simulationstheorie

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Quake, Screenshot aus der Remastered Version.

(Bild: Bethesda)

Zwei Jahre lang hatten fünf Juristen den Tathergang und die Hintergründe für den Untersuchungsbericht beleuchtet und auch Experten zurate gezogen. Dem damaligen Wissensstand der Medienwirkungsforschung nach glaubten "die Anhänger der Inhibitionstheorie an eine Hemmung, Anhänger der Simulationstheorie an eine Förderung der Aggressionsbereitschaft und die Anhänger der Habitualisierungstheorie gehen davon aus, dass derartige Spiele jedenfalls einen Abstumpfungseffekt bewirken". Die Kommission meinte, dass Letzteres kaum zu bestreiten sein dürfte.

Viel früher, einen Tag nach dem Amoklauf, standen aber schon Erkenntnisse parat, zum Beispiel aus dem Mund des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Der damalige Kanzlerkandidat von CSU und CDU meinte, die Gesellschaft brauche dringend eine Diskussion über Akzeptanz und Nachfrage von Gewalt und größere Intoleranz gegenüber deren Verherrlichung und sprach sich für ein Verbot von Gewaltdarstellungen aus. Auch Beck war damals als Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder schnell rege und sprach sich für ein regelmäßig tagendes Forum gegen Gewalt in den Medien aus.

In Deutschland stand 2002 eine Bundestagswahl an, und so gerieten manche Politiker aneinander. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) warf Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) Untätigkeit vor, weil sie eine Initiative aus dem Bundesrat zum Verbot von Gewalt-Videos und -Spielen nicht aufgegriffen habe. Bergmanns Parteikollege Bundesinnenminister Otto Schily warf daraufhin Beckstein vor, mit dem Amoklauf Wahlkampf betreiben zu wollen.

Seinerzeit war am meisten die Rede von "Counter-Strike", obwohl Steinhäuser das Spiel – wenn überhaupt – höchstens am Rande wahrgenommen hatte. Die Untersuchungskommission meinte "ausdrücklich klarstellen" zu müssen, "dass Robert Steinhäuser nicht mit einem Freund namens Steffen die Nächte durch Counter-Strike gespielt hat und Counter-Strike auch kein Dauerbrenner von Robert Steinhäuser gewesen" sei.

Am 26. April 2002 hatte Steinhäuser vielmehr von etwa 9 bis 10 Uhr morgens in seinem Zimmer "Quake" gespielt, "bei dem der Spieler den Ablauf aus der Ich-Perspektive sieht und mit einer virtuellen Waffe in der Hand auf alles schießt, was sich bewegt", wie es in dem Untersuchungsbericht heißt. EDV-Spezialisten des Thüringer Landeskriminalamts hatten es rekonstruiert. Möglicherweise hatte sich Steinhäuser so auf seine Taten eingestimmt, im Untersuchungsbericht werden Parallelen zwischen Ego-Shootern und dem Tathergang gezogen.

"Counter-Strike" aber war seinerzeit schon populär. Um es auf "LAN-Partys" zu spielen, schleppten junge Leute in Scharen ihre Desktop-Computer in Turnhallen. Drei Tage nach dem Amoklauf wurde denn die LAN-Party "Das Große Beben 5" in Erfurt abgesagt, dort sollte ein Counter-Strike-Turnier abgehalten werden. Auch sieben Jahre später, nachdem in Winnenden durch einen Amoklauf 16 Menschen starben, wurden LAN-Partys oder E-Sport-Events, wie sie dann hießen, abgesagt.

Aber die Ansicht, dass Egoshooter wie "Counter-Strike" Gewalttaten wie die von Erfurt und Winnenden fördern, die Täter trainieren, womöglich diese gar erst provozieren, wurde nicht einhellig geteilt. Knapp drei Wochen nach dem Amoklauf in Erfurt meinten Mitglieder der Jungen Union, die selbst eine LAN-Party auch mit "Counter-Strike" plante, solche Spiele könnten für die Vorfälle in Erfurt nicht verantwortlich gemacht werden. "Die Gründe hierfür liegen tiefer und sind im sozialen und familiären Umfeld zu suchen", hieß es seinerzeit.

Der Hirnforscher Manfred Spitzer, der generell skeptisch gegenüber moderner Informationstechnik ist und den Begriff der "digitalen Demenz" geprägt hat, meint, "Killerspiele" zu spielen, stumpfe gegenüber realer Gewalt in der mitmenschlichen Umgebung ab, die eigene Gewaltbereitschaft nehme zu. Nach dem Amoklauf von Emsdetten im November 2006 forderte Spitzer für Gewaltmedien eine Extra-Steuer oder ein Verbot.

Für Befürworter von Spielen wie "Counter-Strike" steht die soziale Komponente im Vordergrund. Die Notwendigkeit, zusammen und koordiniert zu handeln, fördere den Teamgeist.