Missing Link: Zur Gewalt in Computerspielen 20 Jahre nach der Amoktat von Erfurt

Seite 7: Der Tathergang

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Abbildung aus dem Untersuchungsbericht der Kommission Gutenberg Gymnasium. Steinhäuser deponierte zunächst Munition in einer Toilette des Gymnasiums, dann erschoss er die ersten beiden Menschen.

(Bild: Freistaat Thüringen)

Nachdem Robert Steinhäuser von etwa 9 bis 10 Uhr "Quake" gespielt hat, verlässt er das Elternhaus und macht sich auf zum Gutenberg-Gymnasium. Dort legt er in einer Toilette im Erdgeschoss ein Munitionsdepot an. Gegen 11 Uhr gibt Robert Steinhäuser im Sekretariat drei tödliche Schüsse ab, der erste Schuss traf die stellvertretende Schuldirektorin, zwei weitere die Sekretärin. Steinhäuser eilt den Treppenaufgang eine Etage höher und tötet auf dem Flur mit drei Schüssen einen Lehrer, der gerade eine Tür aufschließen will. Steinhäuser wendet sich nach rechts und geht in einen Klassenraum, dessen Tür offensteht. Dort kommt ihm ein Lehrer entgegen, auf den Steinhäuser zweimal abfeuert und ihn tötet. Steinhäuser geht wieder auf den Flur und tötet mit vier Schüssen einen Physiklehrer.

Steinhäuser eilt weiter über die Treppe ins 2. Obergeschoss. "Er schaut in die Räume rechts im Gang, zunächst in das leere Zimmer 206, dann in Raum 205. […] Hier sind bereits Kinder aus der 7. Klasse, die in der fünften Stunde Französischunterricht haben sollen", heißt es im Untersuchungsbericht. "Darunter sind aber auch einige andere aus der 9. Klasse, die aus dem 1. Obergeschoss nach den Schüssen auf die Physiklehrer hochgerannt waren und sich verstecken wollten."

Steinhäuser zieht weiter den Flur im 2. Obergeschoss entlang. Hinter der Tür zum Nordflur schießt er fünfmal auf eine Lehrerin. Er geht weiter in Raum 11, dort steht eine Lehrerin hinter einem aufgeklappten Teil der Tafel. Steinhäuser klappt die Tafel zu und schießt fünfmal auf sie, vor den Kindern der Klasse 8 b.

Im 3. Obergeschoss öffnet Steinhäuser die Tür zu Raum 307. Dort spricht eine Lehrerin gerade mit einigen Schülern. Steinhäuser durchquert die Klasse und schießt achtmal auf sie, sechs Kugeln töten die Lehrerin, zweimal trifft er daneben. Steinhäuser entnimmt das leere Magazin, das 31 Patronen fasst, lässt es zu Boden fallen und steckt ein neues Magazin in die Waffe. "Dieses neue Magazin wird im weiteren Verlauf eine Spur von Hülsen hinterlassen, die den Weg markieren, den der Täter weiter nimmt", heißt es in dem Bericht.

Zurück auf dem Flur geht Steinhäuser in das Durchgangszimmer 304, in dem eine Referendarin die Klasse 5 b unterrichtet. Steinhäuser schießt im Vorbeigehen viermal auf sie, dann verlässt er den Raum. Gleichzeitig öffnet eine Lehrerin vor ihm die Tür zu Raum 303, in dem sie die Biologieklausuren für die Abiturprüfung beaufsichtigt. Steinhäuser zielt aus nächster Entfernung direkt auf die Stirn zwischen ihre Augen und drückt einmal ab.

Steinhäuser geht weiter zu Raum 301, in dem Klasse 10 b in Biologie unterrichtet wird. Dort stößt er einen Jungen beiseite und schießt viermal auf den auf ihn zukommenden Lehrer. Die Schüler, die daneben stehen, werden mit Blut bespritzt. Eine Referendarin, die aus dem 4. Stock zurückgekehrt ist, verbarrikadiert sich mit Schülern in einem Vorbereitungsraum. Steinhäuser verlässt die Etage über die Treppe nach unten.

Im 2. Obergeschoss zurückgekehrt sieht Steinhäuser im Chemieraum 201 eine Lehrerin, die vor ihm in Richtung einer Durchgangstür zum benachbarten Raum flieht. Vom Flur aus schießt er zweimal auf sie, noch einmal von der Eingangstür aus und schließlich noch zweimal an der Durchgangstür auf die inzwischen gestürzte Frau, steigt über sie hinweg in den Nachbarraum, dreht sich um und gibt noch einen Schuss auf die Lehrerin ab.

Steinhäuser wechselt erneut das Magazin. "Nachdem der Täter bei seinem vorherigen 'Durchgang" in diesem Bereich im Zimmer 208 die Lehrerin wahrscheinlich nicht gesehen hat, hat diese das Klassenzimmer von innen verschlossen. Nicht alle Schüler der Klasse 8 c haben den Täter oder eines seiner Opfer draußen im Flur gesehen, nicht allen ist die Gefahr in ihrem ganzen Ausmaß präsent. R.M. will eine Zigarette rauchen gehen und steht an der Tür. Er murrt, weil ihn die Lehrerin nicht hinauslässt", schildert der Bericht. "Da rüttelt es von außen an der verschlossenen Tür, die Klinke wird gedrückt. Im nächsten Moment wird die Tür von außen 8 Mal durchschossen." Diese Schussserie tötet den 15-jährigen R.M. und eine 14-jährige Mitschülerin.

Steinhäuser verlässt das 2. Obergeschoss über die Treppe nach unten zurück ins Erdgeschoss und auf den Schulhof. Dort verfolgt er eine Lehrerin, die sich um die Evakuierung der Schüler gekümmert hatte. Steinhäuser trifft sie mit fünf Schüssen, einer davon ein Kopfdurchschuss aus nächster Nähe. Während dieses Mordes trifft der erste Funkstreifenwagen der Polizei ein, Steinhäuser wechselt ein letztes Mal das Magazin, aus diesem gibt er auf dem Schulhof noch vier Schüsse ab.

Steinhäuser bemerkt einen Polizisten, der Schüler in seiner Nähe dazu bewegen will, in das Gebäude zurückzukehren. Er schießt dreimal in seine Richtung, der Polizist gibt einen Schuss ab, mit dem er Steinhäuser verfehlt. Steinhäuser geht in das Gebäude zurück und tötet einen anderen Polizeibeamten, der inzwischen in einem zweiten Streifenwagen eingetroffen ist, mit vier Schüssen. Danach geht Steinhäuser in das 1. Obergeschoss. Dort trifft er einen Auszubildenden, nimmt erstmals seine Sturmmaske ab und sagt, er sei mal von der Schule verwiesen worden.

Wieder im 2. Obergeschoss angekommen trifft Steinhäuser auf einen weiteren Lehrer, auf den er seine Waffe richtet. Nach einer Zeit des Augenkontakts zwischen ihnen sagt Steinhäuser: "Herr H., für heute reicht's." Steinhäuser legt seine Waffe auf ein Regal, der Lehrer bittet ihn zu einem Gespräch in Raum 111, macht dafür die Tür weit auf, stößt ihn hinein, schließt die Tür und verriegelt sie.

Zu diesem Zeitpunkt war der "Killer-Akku" des Robert Steinhäuser bereits ins Stottern geraten, heißt es in dem Untersuchungsbericht, vielleicht auch schon leer. Nachdem Steinhäuser den Polizisten ermordet hatte und wieder durch das Haus gezogen war, habe er kein weiteres, seiner ursprünglichen "Lehrer-Programmierung" entsprechendes Opfer mehr wahrgenommen.

"Das nun bestehende Szenario stimmte nicht mehr mit den bei den Egoshooter-Spielen am Computer eingeübten Tötungsfrequenzen überein. […] Der virtuell antrainierte und vorher noch real ausgeübte Tötungsrhythmus war aus dem Takt geraten", heißt es in dem Bericht. Angesichts der anrückenden Polizei kehrte er nicht zu dem Munitionsdepot zurück, das er vor seinen Mordtaten in einer Toilette im Erdgeschoss angelegt hatte. "Er befand sich auf dem Rückzug in die Lebensrealität des sich verletzt fühlenden Menschen Robert Steinhäuser." Der "Killer-Akku" reichte nur noch für ihn selbst.

(anw)