Missing Link: Zur Gewalt in Computerspielen 20 Jahre nach der Amoktat von Erfurt

Seite 4: Bessere Technik, bessere Medienkompetenz

Inhaltsverzeichnis

(Bild: USK)

"Zwar sind Darstellungen in den vergangenen Jahren auch aufgrund der sich verbessernden Technik realistischer geworden, gleichzeitig wachsen Kinder- und Jugendliche heute auch in veränderten Medienwelten auf, was entsprechend berücksichtigt werden muss", erläutert die USK.

Das Bundesjugendministerium ergänzt gegenüber heise online, "dass Kinder und Jugendliche ein deutlich höheres Maß an Medienkompetenz besitzen, welches bei der Beurteilung von Inhalten auch berücksichtigt werden muss". So beobachte das Jugendministerium bei der Altersfreigabe eine Weiterentwicklung der Bewertungsmaßstäbe. "Dabei ist auch ein entsprechender Wandel bei der Beurteilung von Gewaltinhalten feststellbar, der unter anderem auf gesellschaftliche beziehungsweise kulturelle Veränderungen in der diesbezüglichen Sensibilität sowie Gewöhnungseffekten zurückgeführt wird."

So "sind – neben dem Schutz von Kindern und Jugendlichen vor beeinträchtigenden Medien – die Aspekte der Befähigung und der Teilhabe die Grundpfeiler für einen modernen Jugendmedienschutz", erläutert Stefan Linz, Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) gegenüber heise online. Dort werden jährlich fast 12.000 filmische Inhalte vom Spielfilm bis zum Trailer, von der Serie bis zum Making-of auf Antrag geprüft und mit dem bekannten FSK-Label 0, ab 6, ab 12, ab 16 und ab 18 freigegeben.

Insgesamt gehe es darum, "Kinder und Jugendliche vor Inhalten zu schützen, die ihre Entwicklung oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit beeinträchtigen oder gefährden können", erläutert das Bundesjugendministerium. Digitale Medien gehörten zum Alltag von Kindern und Jugendlichen. Neben den vielfachen Chancen, die die Medien böten, würden sie auch Risiken für ein gutes Aufwachsen bergen. "Hierzu gehört unter anderem die Konfrontation mit Inhalten, die Gewalt beinhalten. Gewalt hat unterschiedliche Formen: Verletzungen, Tötungen und Zerstörungen durch Krieg oder Folter gehören dazu. Aber auch wüste Beschimpfungen, Beleidigungen oder Streitereien."

Der befürchtete direkte Wirkungszusammenhang zwischen gewalthaltigen Spielen und realen Gewalthandlungen habe bis heute wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden können, erläutert die USK. "Im Gegenteil, neueste Studien wie zum Beispiel vom Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) von 2018 kommen zu dem Ergebnis, dass Gewalt in Videospielen keinen Einfluss auf aggressives Verhalten hat." In der Tat kam das UKE nach einem Experiment mit 90 Erwachsenen zu dem Ergebnis, "dass das Spielen von Gewaltspielen am Computer das Aggressionsverhalten der Spieler nicht nachhaltig oder langfristig beeinflusst".

"Auch wenn es zum Teil zu divergierenden Ergebnissen in der Forschung zur Wirkung von medialer Gewalt kommt, so lässt das Gesamtbild über den Forschungsstand die begründete Annahme zu, dass gewalthaltige Medieninhalte kurz- und langfristige negative Auswirkungen haben können," erläutert BzKJ-Direktor Sebastian Gutknecht gegenüber heise online. Personen, die gewalthaltige Inhalte konsumieren, zeigten aggressivere Kognitionen, Emotionen und Verhaltensweisen als diejenigen mit keiner oder geringer Rezeption. "Je nach Kontextualisierung und Darstellung von Gewalt in Filmen und Spielen kann diese dann insbesondere bezüglich gefährdungsgeneigter Jugendlicher zur Annahme beispielsweise einer verrohenden Wirkung und zur Indizierung führen", sagte Gutknecht.

Dabei betont der BzKJ-Direktor, dass es in der Forschung zu der Frage, welchen Effekt gewalthaltige Medieninhalte haben können, nicht um die medial häufig kontrovers andiskutierte Frage gehe, ob der Mediengewaltkonsum allein Rezipierende zu Gewalttätern und Gewalttäterinnen werden lässt. "Die Kernfrage ist vielmehr, ob der Konsum von Mediengewalt ein Risikofaktor ist, der zu aggressiven Reaktionen auf kognitiver, emotionaler und der Verhaltensebene führen kann und dies neben oder im Zusammenhang mit anderen Risikofaktoren, wie sie beim gefährdungsgeneigten Kind und Jugendlichen vorliegen können." Diese stellen den Ausgangspunkt für die Gefährdungseinschätzung im Rahmen einer Indizierungsentscheidung dar.

Bei Filmen und bei Spielen wird laut BzKJ auch berücksichtigt, ob die gewaltausübende Figur eine immanente Identifikations- und Vorbildfunktion haben kann, Empathie tragend ist, ob es distanzschaffende Momente in der Darstellung gibt, wie hoch die Gewaltexposition ist und ob es sich um fiktionale, realitätsferne Gewalt oder um realitätsnahe Taten in alltäglichen Lebensräumen, also natürliche Gewaltdarstellung mit alltäglich verfügbaren Gegenständen handele, sodass eine Übertragung der Szenarien in die eigene Lebensrealität leicht vorstellbar sei.

Aktuelle Reviews und Metaanalysen zeigten laut BzKJ, dass Nutzende von medialen Gewaltinhalten über verschiedene Studiendesgins hinweg häufiger aggressives, seltener prosoziales Verhalten sowie eine reduzierte Empathie zeigten, sie berichteten auch häufiger von allgemeinen aggressiven Einstellungen. Darüber hinaus unterstützten Langzeitstudien die Sozialisationshypothese: gewalttätige Inhalte im Laufe der Zeit prognostizieren Aggressivität. "Ebenfalls befürwortet wird die Wirkannahme dadurch, dass im internationalen Vergleich ähnliche Befunde mit vergleichbaren Wirkrichtungen und Effektstärken auftreten: Je mehr Mediengewalt konsumiert wird, desto mehr aggressives Verhalten besteht, auch bei jugendlichen Studienteilnehmenden", erläutert die BzKJ.

Mit Gewaltdarstellungen hat es die BzKJ in ihrer Prüfpraxis laut ihrem Direktor Gutknecht aber nur wenig zu tun, eher mit Inhalten aus den Bereichen Rassenhass, Diskriminierung und Nationalsozialismus. Nur sehr wenige bei der FSK und USK zur Kennzeichnung vorgelegte Filme und Spiele erhielten kein Alterskennzeichen. "Wenn sich die Selbstkontrolle nicht sicher ist, ob eine jugendgefährdende Wirkung angenommen werden kann, kann das Medium bei uns zu einer Zweifelsfallprüfung vorgelegt werden", sagte Gutknecht. Die meisten Überprüfungen von Filmen und Computerspielen seien gegenwärtig Listenstreichungsanträge, in denen auf Antrag der Rechteinhaberinnen und Rechteinhaber darüber entschieden wird, ob bereits indizierte Titel aus der Liste gestrichen werden können oder nicht. Dies müsse dann unter Beachtung der Erkenntnisse der Wirkungsforschung geschehen.