Vom Fahren zum Gefahrenwerden. China: Autonomes Fahren durch Planwirtschaft
Experimentierfreudige Startups, staatliche Infrastrukturförderung und eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung machen autonome Flotten in China zum Erfolgsrezept.
Chinesische Startups ziehen derzeit, was die Produktreife, die User-Experience und den Umfang der Robo-Taxi-Testläufe angeht, mit den USA gleich. Dabei gehen sie aggressiver vor als die Konkurrenz, meint Bill Russo, Gründer und CEO des Beratungsunternehmens Automobility: "Unternehmen in China sind viel eher bereit, den experimentellen Ansatz zur Lösung von Problemen in einer Live-Umgebung zu wählen, nicht in einer kontrollierten Umgebung."
Seit 2019 haben chinesische Unternehmen, darunter Baidu, DiDi und AutoX, ihre Flotten selbstfahrender Fahrzeuge auf chinesischen StraĂźen mehr als verdoppelt.
Dynamische Startup-Landschaft
Yuhon Huang, Senior Fellow am Carnegie Asia Program, hält ein wirtschaftliches Trial-and-Error-Verfahren für generell charakteristisch für die Art und Weise, wie China seine Wirtschaft reformiert. Er spricht von der "schrittweisen experimentellen Einführung funktionsfähiger Übergangsinstitutionen" und bedient sich dabei einer Terminologie, die stark nach agiler Software-Entwicklung klingt.
China hat eine rasante Entwicklung bei der Schaffung digitaler Plattformen hingelegt und gleichzeitig die nötigen Infrastrukturen und Rahmenbedingungen dafür geschaffen. Zugleich ist das Smartphone nirgendwo auf der Welt so tief im Alltag verwurzelt wie in China. Das Ergebnis: technologisch führende Anwendungen, mächtige Internetkonzerne, enorme Nutzerzahlen.
Chinas Verkehrsrevolution
Wesentlich fĂĽr dieses schnelle Aufholen ist die breite staatliche UnterstĂĽtzung. Der Staat schafft Infrastrukturen und Rahmenbedingungen, von denen Startups profitieren, die autonome Flotten-Modelle ausprobieren. Besonderes Augenmerk wird auf den 5G-Ausbau fĂĽr die HochgeschwindigkeitsĂĽbertragung von Daten zwischen Autos und Verkehrssystemen gelegt.
Autonomes Fahren, die Auswirkungen auf den Personentransport mit Robotaxis, people movern, autonomen Bussen und die notwendigen Techniken und Regularien beschäftigen uns in einer zehnteiligen Serie, deren einzelne Artikel bis zum 14. Mai werktags erscheinen.
- Teil 1: Fahrerloser Passagiertransport – es geht los!
Im Verkehrsausschuss des Bundestages geht es am Montag, den 3. Mai, um autonome Flotten, woanders gehören Robo-Taxis fast schon zum Alltag. Der Start der Serie zum Thema.
- Teil 2: 2008: Das Projekt "Chauffeur" geht an den Start
Seit nunmehr 14 versucht Google aus der Selbstfahrtechnologie ein funktionierendes Geschäftsmodell zu machen, wir zeichnen die Entwicklung nach.
- Teil 3: Pandemie-Effekt: Robotaxis nehmen an Fahrt auf
Technisch scheint ihr Betrieb annähernd gelöst zu sein, aber wie sieht es mit der Wirtschaftlichkeit einer fahrerlosen Flotte aus? Ein Überblick.
- Teil 4: USA – Eldorado für Testbetriebe mit Robotaxis
In einigen Bundesstaaten laufen Testbetriebe, Kalifornien hat gar den kommerziellen Betrieb reguliert. Von Joe Biden erhofft sich die Branche den Durchbruch.
- Teil 5: Robo-Taxis – wer macht das Rennen in den USA?
Zwei Dutzend Unternehmen testen autonome Flotten, in Kalifornien wird das Rennen vermutlich entschieden. Wir geben einen Ăśberblick ĂĽber das Bewerberfeld.
- Teil 6: Wie Kalifornien, nur größer: Robotaxis in China
Der potenziell größte Markt für autonome Flotten kann sich in punkto Technologie, Testbetriebe und Kapitalausstattung der beteiligten Firmen sehen lassen.
- Teil 7: China: Autonomes Fahren durch Planwirtschaft
Experimentierfreudige Startups, staatliche Infrastrukturförderung und eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung machen autonome Flotten in China zum Erfolgsrezept.
- Teil 8: Automatische Shuttles – der europäische Weg?
Robotaxi-Testläufe finden sich in Europa keine, dafür immer mehr autonome Shuttles, die als Teil des öffentlichen Verkehrs zaghafte Fahrversuche unternehmen…
- Teil 9: GrĂĽne Welle fĂĽr Robotaxis auch in Deutschland?
Dieser Tage debattiert der Bundestag einen Gesetzesvorschlag aus dem Verkehrsministerium, der Robotaxis auch bei uns den Weg ebnen könnte.
- Teil 10: Fahrerloser Transport als Teil der Verkehrswende
Robo-Taxis, people mover und autonome Shuttles – können autonome Flotten einen Beitrag zur Verkehrswende leisten?
Eine Reihe von Beobachtern sieht außerordentlich günstige Voraussetzungen für die Entwicklung selbstfahrender Autos in China. Neben der Größe des potenziellen Marktes wird auf den Willen und die Durchgriffsfähigkeit staatlicher Stellen hingewiesen. Yuan Yang, China-Technologiekorrespondentin der Financial Times, betont den spezifischen experimentellen Laissez-Faire-Ansatz, den die chinesische Regierung an den Tag legt: "Bei kundenorientierten Technologien, die keine offensichtliche politische Implikation oder mit Inhalten zu tun haben, ist die chinesische Regierung sehr entspannt, lässt Unternehmer Innovationen ausprobieren, schaut danach erst hin und reguliert gegebenenfalls."
Autonomes Fahren "made in China"
"Made in China 2025" heißt der strategische Plan Chinas, den Premierminister Li Keqiang und sein Kabinett im Mai 2015 beschlossen haben, in dem Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) im Zentrum stehen. Ein staatlich orchestriertes Programm der "informatisierten Industrialisierung" nennt Shao Binhong vom Institute of World Economics and Politics (IWEP) das Vorgehen. In den Innovationsbereichen Robotik, künstliche Intelligenz und Elektromobilität strebt China die globale Führung an.
Im Mai 2020 erklärte der chinesische Verkehrsminister Li Xiaopeng, das autonome Fahren werde neue Geschäftsmodelle für die Verkehrsbranche einleiten, die verkehrsbedingten Emissionen verringern und die Effizienz des Pendelns steigern. Er betonte, das chinesische Verkehrsministerium unterstütze das autonome Fahren als wesentlichen Bestandteil beim Aufbau eines landesweiten intelligenten Verkehrssystems, und ermutigte Städte und Unternehmen, Pilotprogramme wie Robotaxis und V2X-Systeme (Vehicle-to-Everything) einzuführen.
Auch im gerade verabschiedeten 14. Fünfjahresplan der Volksrepublik, der die langfristigen Ziele des Landes bis 2035 umreißt, wird das Autonome Fahren ausdrücklich erwähnt.
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Bis 2025 soll die Hälfte aller neu zugelassenen Fahrzeuge mit Automatisierungstechnologien ausgestattet sein, berichtet die Nachrichtenagentur Nikkei Asia. Auch auf lokaler Ebene verstehen sich die Verwaltungen als "Enabler": In Shanghai hat die lokale Regierung eine 30-Meilen-Zone eingerichtet, in der Unternehmen die neuesten Funktionen ihrer selbstfahrenden Autos testen können. Max Parasol, in Australien ansässiger Experte für Chinas KI-Politik, ist überzeugt, dass solche staatlichen Vorgaben entscheidend sein könnten, das Wettrennen ums autonome Fahren zu gewinnen.