Klartext zur Mercedes S-Klasse: Nur das Beste, oder was?

Seite 2: Klartext zur Mercedes S-Klasse: Es ist nicht alles schlecht, aber ...

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Dieses Lenkrad jedenfalls ist billiger Mist, aber nicht Premium. Ich kann mir für 5000 Euro Nobel-Felgen ordern, aber das gute alte Lenkrad mit echten Schaltern (also mechanischen Tastern und Walzen) des Vorgängers kriege ich nicht. Das wäre ein Premium-Angebot, wo ich viel lieber einen Tausender versenken würde als in hässlich gestepptes Nappaleder. Andererseits kann ich das ja auch positiv sehen: Wenn ich sowieso demnächst auf die E-Klasse umsteige, werde ich schon mal präkonditioniert. Immerhin besteht ein Hauch Hoffnung: Gerüchten zufolge ist bereits ein neues Lenkrad fertig entwickelt, für dessen Einsatz nur noch das Go der Mercedes-Obrigkeit fehlt. Ob das dann vielleicht gar ohne die beiden fitzeligen Touchflächen des Vorgänger-Lenkrads kommt? Und ob man es wohl nachgerüstet bekommen kann?

Der Blinkerhebel hat, vielleicht aus Verzweiflung der Entwickler über das anbefohlene Lenkrad, an seinem Ende eine geriffelte, metallisch wirkende Walze zum Einstellen der Scheibenwischermodi bekommen. Aber gut gemeint ist eben nicht gut: Andauernd bleibt man beim Blinken an der schönen Rändelwalze hängen und verdreht die Scheibenwischereinstellungen. Ja, genau, quasi unvermeidbar mit Handschuhen, aber auch ohne passiert es immer wieder.

Die Aktivierung der Sitzheizung braucht mitunter mehrfach den Hinweis, mit der Arbeit beginnen zu dürfen.

(Bild: Detlef Grell)

An die Fake-Schalter zur Sitzeinstellung in den Türen hab ich mich gewöhnt, denn die befummelt man ja auch nicht ständig. Schade ist es um die Vorgänger trotzdem. Ähnlich geht es mir mit den Einstellern für die Sitzheizung. Hier klappt zwar auch nicht alles beim ersten Druck, aber sei es drum. Wenn man vor dem Anklappen der Spiegel schon den Rückwärtsgang eingelegt hat, dann braucht es ein paar Sekunden – Spiegel auf Bordsteinkante, hat jemand heimlich eine Anhängerkupplung installiert, an der womöglich ein Hänger hängt? Nee, alles ok. Doof nur, dass man natürlich dem Touch-Dingens unterstellt, dass es mal wieder nicht reagiert und noch mal drückt. Woraufhin die Spiegel dann erst recht nicht mehr anklappen.

Sie wundern sich, dass ich nichts zum großen Touch-Panel schreibe? Erstaunlicherweise komme ich damit klar. Ein Traum ist es dennoch nicht. Hier geht natürlich mit Handschuhen auch nichts. Da kann man sich immerhin rausreden, dass das auf einem iPad ja auch nicht geht. Im Auto allerdings halte ich das für wichtiger. Moderne Panels können auch Druck registrieren. Dass ich am Valentinstag beim ersten Motorstart mit Rosenblättern auf dem Display überschüttet wurde, reißt das nur bedingt raus.

Was ist mit Sprachbedienung? Die kann schon viel, etwa die Massage-Sitze einschalten oder das Ambientelicht ändern. Aber mal eben weniger Bass einstellen ist mir nicht gelungen. Lustig auch, wenn das Einloggen zu Fahrtbeginn mal klappt und ich mit "Hallo Detlef Grell" begrüßt werde. Anfangs hab ich – ein Reflex halt – mit "Hallo, Mercedes" zurückgegrüßt. Wenn man dann aber nicht wirklich eine Bestellung aufgibt, wird erst mal das gesamte Menü verlesen. Bei neutralem "Hallo Auto" erfährt man, dass sich die Zentralverriegelung nicht per Sprache steuern lässt.

Soll ich antworten? Besser nicht ...

(Bild: Detlef Grell)

Den Vogel schoss aber ein Ausweichversuch mit "Hallo BMW" ab: Während ich ausstieg, um das Garagentor zu schließen, wunderte ich mich schon über einige Tutut-Geräusche. Als ich mich dann ans Lenkrad setzte, war ich mit einer Ex-Kollegin verbunden – ohne eine Bestätigungsabfrage. War nett, aber schon schräg. Angeblich ist die Spracherkennung im Zuge von MBUX viel besser geworden; aber wenn ich Ziele in der Umgebung per Sprache eingebe, lande ich schon mal im Ausland. Meine Frau lacht sich jedes Mal schlapp.

Das System darf mich per Gesicht (Oh je, Mütze! Oh je, kameraverdeckende Lenkradstellung!), per Fingerabdruck (Oh je, Handschuhe) und angeblich auch per Stimme erkennen (Oh je, hat noch nie funktioniert). Wozu dann überhaupt das Ganze, wenn man nur einen Chauffeur hat? Da ich am Panoramadach nicht vorbeikam, durfte ich auch den Intelligent Interieur Assistant für 644 Euro ordern. Der kann angeblich Körpersprache interpretieren und hilft wohl beim Lichtschalter finden und warnt besonders intensiv vor Radfahrern beim Aussteigen. Seine größte Intelligenz beweist er in meinem Fahrzeug aber dadurch, dass er sich unregelmäßig, aber viel zu oft mit "kann grade nicht" abmeldet. Das Peinliche daran: Ich hab noch gar keinen Unterschied zwischen aktiv und abgemeldet bemerkt. Hier kann man also ganz unbedenklich 640 Euro sparen.

Die dazu gehörende Fehlermeldung ist übrigens typisch für gedankenlose Programmierer: Statt mir zu sagen, wie ich das Problem abstelle (welche Kamera ist verdeckt? Was soll ich tun?), verweist sie auf das Handbuch. Im Handbuch steht aber auch erst mal nur, was der Assi angeblich kann, und eine Liste von möglichen Problemen, die ihn von der Arbeit abhalten könnten. Aber kein Hinweis, was im aktuellen Fall denn nun gerade das Abschalten verursacht und wie ich das Problem beheben könnte.

Die Projektoren sind nicht wirklich erkennbar, aber das Licht variiert nicht nur beim Fernlicht, um den Gegenverkehr nicht zu blenden, sondern sorgt auch generell für gut angepasstes, helles Licht.

(Bild: Detlef Grell)

Trotz alledem: Es ist ein tolles Auto, das gut federt, schön leise fährt, mächtig beschleunigt und weniger verbraucht als mein 1200er-Käfer in den 1970ern. Die Hinterachslenkung ist schlicht genial. Das Digital Light, im Grunde ein Video-Projektor, ist genau das Licht, was nicht nur jemand, der schon Seniorenteller bestellen darf, sich von Herzen wünscht. Der Fairness halber sei auch gesagt: Verglichen mit der kargen Interieur-Anmut (nicht Armut, die natürlich auch) eines Tesla S wirkt die S-Klasse innen doch schon sehr hochwertig. Also kein Fehlkauf, aber eindeutig Tourette-fördernd.

(gr)