Kommentar: Stärkt endlich den ÖPNV

Seite 2: Komfort und Sicherheit

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Nachholbedarf gibt es auch bei der Preistransparenz. Wer als Besucher eine fremde Großstadt mithilfe der öffentlichen Verkehrsmittel erkunden will, hat sich vielfach etwas vorgenommen. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Diskussionen es zwischen Kontrolleuren und Ortsunkundigen gibt, die mit einem falschen Ticket erwischt werden. Die Chance dafür ist vielerorts viel zu groß, eine Entschlackung dringend geboten.

Neidvoll dürfte manch ein Fahrgast auf die Preise in Wien schauen. Dort kostet ein - selbstverständlich subventioniertes - Jahresticket 365 Euro. Ein solcher Preis lässt sich nur mit einem Steuerzuschuss umsetzen. Doch eine Verkehrswende ist nicht zum Nulltarif zu haben.

(Bild: Oliver Lang / Deutsche Bahn AG)

Alles schreit aktuell nach Digitalisierung. Ein Beispiel, wo es in der Umsetzung hakt, findet sich gewissermaßen direkt vor meiner Tür. Es ist nirgendwo ersichtlich, was die komplette Fahrt von Soyen in die Nähe meiner Arbeitsstelle in Haar kosten soll – nicht über die Webseite der Bahn, nicht über die der Münchener Verkehrsgesellschaft und auch nicht über die dort empfohlene App. Wissen Sie warum? Weil zwei Verkehrsverbünde seit vielen Jahren darüber diskutieren, wie man das gestalten könnte. Die Auflösung gibt es dann am Automaten, wenn er denn funktioniert – die Bahn hat schließlich mehr als die vier angedeuteten, natürlichen Feinde.

Ein jeder Gast zahlt für die Fahrt mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln, doch nicht jeder bekommt das Gleiche geboten. Zu Stoßzeiten sind die Züge und Busse mitunter gerammelt gefüllt, ein Sitzplatz für jeden nicht machbar. Nun mag es eine sehr isolierte Sicht der Dinge sein, weil ich einerseits in einem Alter bin, in dem ich nicht mehr gern stundenlang stehe, andererseits mir aber (noch) niemand seinen Sitzplatz anbieten wird. Doch die Verkehrsbetriebe könnten hier langfristig durchaus Entlastungen schaffen: Taktverdichtung und längere Nahverkehrszüge – den Betreibern fallen sicher noch mehr kluge Sachen ein, um komfortorientierte Menschen von einem Umstieg aus dem Auto zu überzeugen.

Es wäre in einem hohen Maße unfair, der Bahn und den Verkehrsbetrieben vorzuwerfen, sie würden nichts für die Sicherheit tun. Dennoch bleibt in dieser Hinsicht noch viel zu tun.

(Bild: Volker Emersleben / Deutsche Bahn AG)

Bahnhöfe und ihre direkte Umgebung haben oftmals einen mäßigen bis schlechten Ruf, was die Sicherheit vor Ort anbelangt. Bevor jemand dieses Argument vom Tisch fegt, sollte er sich gedanklich aus den Stoßzeiten des Berufsverkehrs herausbewegen. Wenn wir die viel zitierte Krankenschwester im Schichtdienst davon überzeugen wollen, morgens um 4 Uhr mit dem ÖPNV zur Arbeit zu pendeln, können wir die möglichen Bedenken hinsichtlich ihrer Unversehrtheit aber nicht einfach ausblenden. Manchmal reicht so ein Aspekt, um den Nahverkehr gedanklich zu verbannen – und wer würde es ihr verdenken?

Es mag in einer bestimmten politischen Denkrichtung populär sein, dem Auto einfach die innerstädtische Grundlage zu entziehen. Potenziell verantwortungsvoll kann das aber nur sein, wenn man sich auch um die Folgen einer solchen Politik kümmert. Wer meint, er könne aus dem komplexen Gebilde "Verkehr in Großstädten" den Baustein "Auto" einfach folgenlos rausschneiden, in der Hoffnung, aus allen Autofahrern werden dann Fußgänger oder Radfahrer, wird sich möglicherweise wundern, wie heftig der Protest auf seine Naivität werden wird.

Wer das Auto als Verkehrsträger in der Stadt weniger bedeutsam machen möchte, muss sich überlegen, wie dessen Transportleistung verteilt werden kann. Die Hauptlast dessen kommt auf den Öffentlichen Nahverkehr zu.

(Bild: Christian Bedeschinski / Deutsch Bahn AG)

Der Weg in autoärmere Großstädte führt meines Erachtens nur über einen attraktiveren Nahverkehr. Das freilich kostet Geld und unter Umständen auch Zeit und Engagement vor Ort. Dafür braucht es dann den Willen, sich nicht nur im Jubel einer lautstarken Minderheit von autohassenden Extremisten zu sonnen, sondern auch jene zu überzeugen, die mit den Folgen einer Verkehrswende tatsächlich jeden Tag leben müssen. Es mag nicht immer angenehm sein, sich solchen Debatten zu stellen. Ich glaube aber, es könnte sich langfristig lohnen.

(mfz)