Chinesische Internet-Zensur vor Olympia: Nicht aufgehoben, aber gelockert
Nach Protesten hat China die Internet-Zensur im Pressezentrum trotz gegenteiliger Zusagen nicht eingestellt, aber einzelne gesperrte Seiten freigegeben. Die unzensierte Belieferung des Olympia-Dorfs mit ausländischen Zeitungen ist nicht möglich.
Nach internationalen Protesten hat China die Internet-Zensur in Pekings olympischem Pressezentrum trotz gegenteiliger Zusagen nicht aufgehoben, sondern nur gelockert. Plötzlich zugänglich waren unter anderem die chinesischen Webseiten der britischen BBC und des Internet-Lexikons Wikipedia. Viele andere Webseiten blieben jedoch für die Olympia-Berichterstatter gesperrt. Außerhalb des Medienzentrums waren viele Internetseiten ohnehin weiter gesperrt. Ein Sprecher des olympischen Organisationskomitees BOCOG sagte laut dpa, China "garantiere" den Zugang zum Internet. "Die Berichterstattung chinesischer und ausländischer Reporter über das Internet ist ungehindert."
Gegenüber Reuters hatte auch IOC-Vizepräsidentin Gunilla Lindberg erklärt, das BOCOG habe zugestimmt, alle Beschränkungen aufzuheben. Die Zusage entpuppte sich nach Recherchen von dpa schnell als unwahr. Denn nach wie vor nicht zugänglich sind die Webseiten der Tibet-Aktivisten Freetibet, der uigurischen Unabhängigkeitsbewegung und der Menschenrechtsorganisation Human Rights in China. Teilweise zugänglich war das Angebot von Amnesty International – nicht jedoch die dort laufende Debatte über Menschenrechte in China. "Die chinesische Regierung reguliert das Internet gemäß seiner Gesetze und Vorschriften", sagte der BOCOG-Sprecher. Im Sprachgebrauch der Pekinger Behörden bedeutet das, dass "illegale" Webseiten gesperrt werden. Tibetische und uigurische Aktivisten betreiben nach offizieller Sicht die Spaltung Chinas – was nach chinesischem Recht verboten ist.
IOC-Präsident Jacques Rogge hatte zuletzt vor zwei Wochen zugesichert, dass die internationale Presse freien Zugang zum Netz haben werde. In den vergangenen Tagen gab es dazu widersprüchliche Angaben von IOC-Funktionären. Zunächst scheinen ranghohe IOC-Funktionäre in Peking der Zensur zugestimmt zu haben, um dann aber wieder auf eine Lockerung zu dringen.
Die Zensur, mit der Journalisten und Sportler während der Olympischen Sommerspiele in China konfrontiert werden, beschränkt sich aber nicht auf das Internet. Auch die gedruckte Presse von Einschränkungen direkt betroffen, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). So sei es bislang nicht möglich, das "Deutsche Haus", das unter anderem Sportlern, Sport-Funktionären und Journalisten im Olympischen Dorf zur Verfügung steht, mit deutschen Zeitungen zu beliefern. Verhandlungen des FAZ-Verlags über eine direkte, freie und zügige Belieferung des Olympischen Dorfes seien in den vergangenen Monaten gescheitert. Die chinesische Zensur brauche mindestens drei Tage , Publikationen zu sichten, bevor sie freigegeben werden könnten, wurde laut FAZ als einer der Gründe angegeben. Laut der Tageszeitung Die Welt war bereits vor einiger Zeit das Vorhaben des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) gescheitert, aktuelle überregionale Tageszeitungen aus Deutschland auszuleegen.
Bundestagspräsident Norbert Lammert hat in einem Schreiben an den Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Thomas Bach, gegen die Maßnahmen protestiert. Er müsse ihm seine "Fassungslosigkeit" angesichts des "offensichtlich handfesten Ansinnens der chinesischen Behörden" mitteilen. Dass die chinesische Führung ihrem eigenen Volk elementare Grundrechte vorenthalte, zähle wohl zu den "von unserer Seite her nicht zu ändernden, beschämenden Schattenseiten der Spiele". Aber dass die chinesische Zensur versuche, "den Informationsfluss deutscher Teilnehmer und ihrer Gäste zu kontrollieren", sei völlig inakzeptabel.
Angesichts der Internet-Zensur in China hat auch der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) bei der Olympia- Berichterstattung zu einem offensiven Umgang mit den Einschränkungen aufgerufen. "Leser, Hörer und Zuschauer müssen umfassend über die äußerst fragwürdigen Umstände aufgeklärt werden", sagte BDZV- Präsident Helmut Heinen gegenüber dpa. "Die Zeitungen werden mit Sicherheit die geplante Tätigkeit ihrer Korrespondenten neu überdenken", einen Medienboykott lehne er aber ab. "Missstände müssen offengelegt und öffentlich gemacht werden", sagte Heinen.
Es sei eine "Willkürtat", wenn im Pressezentrum der Olympischen Spiele der Zugang zu Internetseiten etwa der Deutschen Welle, der BBC oder von Menschenrechtsorganisationen wie Reporter ohne Grenzen und Amnesty International gesperrt wird. "Wir appellieren an das Internationale Olympische Komitee und vor allem an die Verantwortlichen auf chinesischer Seite, eine unbehinderte Berichterstattung zu garantieren", sagte Heinen. "Wenn jetzt die Arbeit unserer eigenen Korrespondenten am Austragungsort der Olympischen Spiele eingeschränkt wird, dann ist dies eine neue Dimension von Zensur, gegen die wir uns mit unseren Mitteln zur Wehr setzen müssen", betonte der BDZV-Präsident. Ein hervorragendes Beispiel habe die ARD gegeben, die ihr Büro in Gaza geschlossen hatte, weil ihr Kameramann von der palästinensischen Hamas verhaftet und für Tage gefangen gesetzt wurde.
Die Verantwortlichen für die Spiele müssten jetzt alles daran setzen, dass eine freie Berichterstattung zu Olympia noch möglich werde. Die Leser erwarteten, dass die Zeitungen über ein so großes Sportereignis umfassend berichten. Die Pressefreiheit sei dabei das höhere Gut, betonte Heinen.
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(jk)