Elektronische Gesundheitskarte wird zum Forschungsprojekt

Die medizinische Selbstverwaltung hat heute die Forderung aus dem Bundesgesundheitsministerium abgelehnt, ihre Pläne zur elektronischen Gesundheitskarte noch einmal abzuändern.

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Von
  • Detlef Borchers

Die medizinische Selbstverwaltung, also die Vertreter der Krankenkassen, Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Krankenhäuser und privater Krankenversicherungen haben heute die Forderung aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMGS) abgelehnt, ihre Pläne zur elektronischen Gesundheitskarte noch einmal abzuändern. Die neuen Pläne der Selbstverwaltung wurden vor einer Woche vorgestellt und stießen in der Behörde prompt auf Ablehnung, weil die Speicherung von elektronischen Rezepten auf der Gesundheitskarte selbst keine zentrale Rolle mehr spielte. Stattdessen favorisierte die Selbstverwaltung eine Speicherung der Rezepte auf Servern, daneben das herkömmliche Papierrezept.

Von den papierlosen Rezepten erhoffen sich jedoch die Planer im Gesundheitsministerium einiges: Neben deutlichen Einsparungen im Gesundheitswesen soll die Karte die qualifizierte digitale Signatur gesellschaftsfähig machen. Diese digitale Signatur wurde von den Datenschützern gefordert und ist in Paragraph 291a des Sozialgesetzbuches zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung zwingend vorgeschrieben. Dort heißt es in Abschnitt 5, dass Ärzte und Apotheker nur mit ihrem Heilberufsausweis, der über eine qualifizierte elektronische Signatur verfügt, auf die Gesundheitskarte zugreifen dürfen. Auch die Versicherten können auf die Daten zugreifen, müssen dafür jedoch eine entsprechend unterschriftsreife Gesundheitskarte besitzen oder eine eigene Signaturkarte mit einer qualifizierten elektronischen Signatur einsetzen.

Zur Unterstützung dieser Position erschien am vergangenen Freitag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Artikel unter dem Titel "Mit der Gesundheitskarte zu Ebay". Er pries die Vorzüge der digitalen Signatur auf der Gesundheitskarte, die sicheres Einkaufen auf eBay und in den Online-Shops des Internet ermögliche. Der Preis für die Signaturgesundheitskarte wurde mit 2 Euro, die Jahresgebühr mit 50 Cent angegeben. Die Kosten für die einzelne Signatur wurden im Artikel nicht genannt, doch könnten sie in der Größenordnung des Dumping-Angebots liegen, mit dem in Österreich die digitale Signatur populär gemacht wird: Dort kostet die elektronische Unterschrift 1 Euro, für Vielsignierer 70 Cent.

Angesichts der heute erfolgten Ablehnung der elektronischen Gesundheitskarte mit schlummernder Signierfunktion und der Möglichkeit zum Speichern des elektronischen Rezeptes durch die Selbstverwaltung hat das Bundesgesundheitsministerium den Kurs geändert. Das BMGS hat sich heute dazu entschlossen, die Kartenfrage praktisch auszuklammern und die Betriebsorganisation -- die so genannte Lösungsarchitektur -- rund um die Karte in den Vordergrund zu stellen. Sie wurde heute zu einem gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsprojekt des BMGS und der Selbstverwaltung erklärt. Bis Montag, den 1. November hat die Selbstverwaltung nun Zeit, ein Eckpunktepapier zur Betriebsorganisation vorzulegen.

Was aus dem Konzept der elektronischen Gesundheitskarte mit eigenem Speicher für Rezepte und Patientendokumentationen wird, ist damit derzeit in der Schwebe. In Ministeriumskreisen werden Pläne erörtert, die Gesundheitskarte mit anderen Kartenprojekten wie der Jobcard und der Elster Card zusammenzulegen, um die digitale Signatur zu retten.

Auf der Seite der medizinischen Selbstverwaltung ist das Misstrauen gegenüber Großprojekten gewachsen, da mit der Gesundheitsreform zusammenhängende Projekte in letzter Zeit herbe Rückschläge hinnehmen mussten. So sollten in die elektronischen "Fächer" der Gesundheitskarte neben dem elektronischen Rezept weitere Daten abgelegt werden. Vor allem die Teilnahme an so genannten Disease Management Programmen (DMP) für chronisch Kranke (etwa Diabetiker mit ihren Blutzuckerdokumentationen) wurden immer wieder als Argumente für die Gesundheitskarte ins Feld geführt. Sie soll als Datenträger die Teilnahme an DMP unterstützen.

Mit dem "Nein" der Selbstverwaltung und dem "Ja, aber" des BMGS wurde heute bekannt, dass mehr als 5000 Datensätze bei der angelaufenen DMP für Diabetiker spurlos verschwunden sind, weil der Dienstleister T-Systems einen unzuverlässigen Subunternehmer mit der Dateneingabe beauftragt haben soll. Fälle dieser Art fördern die Skepsis gegenüber der medizinischen Telematik, die die Basis für eine grundlegende Gesundheitsreform bilden soll.

Zur elektronischen Gesundheitskarte und der Reform des Gesundheitswesens siehe auch:

(Detlef Borchers) / (anw)