IT-Recht 2023: Was für Unternehmen dieses Jahr wichtig wird

Seite 4: Biometrische Überwachung und EU-US Privacy Shield

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Strittig ist, welche Ausnahmen es für das pauschale Verbot von Echtzeit-Fernerkennungssystemen zur biometrischen Identifizierung von Personen im öffentlichen Raum geben soll. Einige EU-Parlamentarier haben Sorge, dass die Zulassung der Identifizierung von Entführungsopfern und Kriminellen sowie zur Abwehr von unmittelbar drohenden Terroranschlägen zur Überwachung der Gesellschaft quasi durch die Hintertür führen kann. Vereinzelte Forderungen sehen vor, das Verbot auch auf den privaten Bereich auszudehnen und auch durch Streichung des "Echtzeit-Erfordernisses" eine nachträgliche Identifizierung zu untersagen.

Der AI Act wird einen risikobasierten Regelungsansatz verfolgen. KI-Systeme sollen in die vier Kategorien minimales, geringes, hohes oder unannehmbares Risiko eingestuft werden. Im unteren Bereich stehen Transparenzanforderungen und sektorale Regulierungen im Raum. Erfasst werden beispielsweise Systeme, die mit Menschen interagieren oder Emotionen anhand biometrischer Daten erkennen, sowie Systeme, die Inhalte erzeugen oder manipulieren. Unter Letzteres würden auch Deepfakes, also realistisch wirkende Medieninhalte fallen, die durch KI-Systeme geändert oder verfälscht wurden.

Für KI-Systeme mit hohem Risiko sind hohe Anforderungen an das Risikomanagement, die Datenqualität und die technische Dokumentation vorgesehen. Eine hochrangige Expertengruppe soll hierfür Mindestanforderungen gemäß definierten Ethik-Leitlinien festlegen. Diskutiert wird darüber hinaus eine Konformitätsbewertung, die vor Einsatz des betreffenden KI-Systems positiv ausfallen muss.

Als unannehmbar riskante KI-Systeme werden die genannten biometrischen Systeme zur Fernidentifizierung, aber auch Social Scoring durch Behörden (wie bereits in China praktiziert) sowie manipulative Systeme mittels Techniken der unterschwelligen Beeinflussung Schutzbedürftiger eingestuft. Für sie ist ein generelles Verbot vorgesehen. Verstöße gegen den AI Act sollen durch beträchtliche Bußgelder geahndet werden. Diskutiert wird über einen Rahmen von bis zu 30 Millionen Euro oder sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes.

Was noch? Spannend wird sein, ob die EU-Kommission aller Kritik zum Trotz im Frühjahr 2023 einen sogenannten Angemessenheitsbeschluss gemäß Artikel 45 der Datenschutz-Grundverordnung fassen wird, der dem Datenschutz in den USA "ein angemessenes Schutzniveau" bescheinigt. Seit der Europäische Gerichtshof in seinem viel beachteten Schrems-II-Urteil den EU-US Privacy Shield kassiert hat, ist die Übermittlung personenbezogener Daten aus der EU in die USA deutlich erschwert.

Im Oktober 2022 hatte US-Präsident Biden eine Executive Order unterzeichnet, mit der ein angemessenes Datenschutzniveau aus EU-Sicht geschaffen werden soll. Zahlreiche Datenschützer wie der scheidende Landesdatenschutzbeauftragte Baden-Württembergs Stefan Brink, aber auch der Datenschutzaktivist Max Schrems zweifeln daran, dass die Executive Order ausreicht. Der EuGH dürfte erneut mit der Rechtslage befasst werden. Ein Ende der Gemengelage ist nicht absehbar.

Ungeachtet dessen dürften die von Unternehmen getroffenen Maßnahmen und Verträge auch weiterhin nicht den Bestimmungen der DSVGO entsprechen. Seit Ende 2022 gelten neue Vorgaben für die Standardvertragsklauseln. Sie sind derzeit eine der wenigen Möglichkeiten, den Datentransfer in die USA rechtskonform auszugestalten. Die Datenschutzbehörden dürften 2023 mit einer Durchsetzung der Änderungen beginnen und gegebenenfalls signifikante Bußgelder verhängen.

Um die in den letzten Jahren heftig diskutierte E-Privacy-Verordnung ist es zuletzt sehr ruhig geworden. Sie soll die DSGVO ergänzen und weiter gehende Rahmenbedingungen für den Umgang mit personenbezogenen Daten im Bereich der elektronischen Kommunikation schaffen. In erster Linie soll es Regelungen etwa zu Cookies oder Trackern geben. Diskutiert werden auch Vorgaben für Direktmarketing und Teilnehmerverzeichnisse. Ob die Verordnung nun endlich 2023 das Licht der Welt erblicken wird, ist allerdings mehr als fraglich. Aber selbst wenn, dürfte sie nicht vor 2025 wirksam werden.