KTM im Abwärtsstrudel: Die Zweiradmarke benötigt dringend frisches Geld

Wegen Geldproblemen drosselt KTM die Fertigung, hat 573 Mitarbeiter entlassen und verhandelt mit Gläubigern und Anteilseignern über einen Überbrückungskredit.

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Mann baut Motorrad

(Bild: KTM)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

In Mattighofen schrillen die Alarmglocken. Die KTM AG steckt tief in den roten Zahlen und braucht dringend frisches Geld. Fast 600 Mitarbeiter wurden bereits entlassen, die Produktion wurde zurückgefahren. Zurzeit verhandelt die Geschäftsführung mit den Gläubigern und Anteilseignern über einen Überbrückungskredit.

Viele Jahre gab es für KTM nur eine Richtung: nach oben. Als KTM-Boss Stefan Pierer Ende der Nuller-Jahre verkündete, er wolle mit seiner Marke größter europäischer Motorradhersteller werden, erntete er noch Häme. Einige Jahre später spottete niemand mehr, denn er hatte seine Ankündigung wahr gemacht. Sein cleverer Schachzug war, ein Joint Venture mit Bajaj einzugehen, einem indischen Motorradriesen, um dort ab 2011 die kleinen Duke-Modelle von 125 bis 390 cm3 bauen zu lassen, die zuvor in Mattighofen entwickelt worden waren. Sie verkauften sich nicht nur in Indien, sondern auch in Europa hervorragend. 2017 ging Pierer zudem einen Deal mit der chinesischen Marke CFMoto ein, wo inzwischen alle 790er KTMs produziert werden. KTM kaufte im Laufe der Zeit etliche andere Marken auf: Husaberg (inzwischen eingestellt), Husqvarna, GasGas und vor kurzem noch MV Agusta, auch der Fahrwerks-Zulieferer WP sowie einige Fahrradmarken gehören zum Konzern.

Das Jahr 2023 lief noch gut für die Pierer Mobility AG, KTM verkaufte weltweit 280.206 Motorräder, Husqvarna 67.462 und GasGas 29.532 Stück. Doch KTM kämpft mit einer gewaltigen Überproduktion. Das Vorstandsmitglied Hubert Trunkenpolz erklärte, dass sie in einem Jahr über 200.000 Motorräder in Mattighofen produziert hätten, dabei wäre das Werk für maximal 170.000 Einheiten ausgelegt. Als Grund gab er die Corona-Krise an. Zulieferer hätten nicht fristgerecht liefern können, weshalb zahlreiche Motorräder aus der Produktion genommen und erst später fertiggestellt worden seien. Dadurch sei es zu Qualitätsverlusten gekommen. KTM ist indes als einziger Hersteller mit solchen Problemen aufgefallen.

Ausbaden mussten es die Kunden, die zahlreich mit teils erheblichen Mängeln, bis hin zu festgegangenen Motoren, bei den Händlern auftauchten. Der Vertrauensverlust brachte einige potenzielle Käufer dazu, auf eine neue Anschaffung zu verzichten. Die Sache wurde sehr teuer für KTM, der Umsatz brach im ersten Halbjahr 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um etwa ein Viertel auf 1,01 Milliarden Euro ein, in der Bilanz steht ein Verlust von 172 Millionen Euro.

KTM im Abwärtsstrudel (5 Bilder)

KTM steckt in den roten Zahlen. Der österreichische Motorradhersteller hat mit einer Neuverschuldung von 1,5 Milliarden Euro zu kämpfen und braucht dringend frisches Geld. (Bild:

KTM

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Noch schlimmer aber war der Anstieg der Nettoverschuldung von unter 300 Millionen auf sagenhafte 1,5 Milliarden Euro. Die KTM-Aktie fiel an der Börse innerhalb von einem Jahr von 62,60 auf nur noch 8,61 Euro.

Die ersten Auswirkungen des Bebens haben die Mitarbeiter schon zu spüren bekommen, insgesamt kam es bereits zu 573 Entlassungen – nicht nur in der Produktion und Entwicklung, sondern auch in der Führungsetage. Der Vorstand wurde von sechs auf zwei Personen reduziert. Doch das war nur der Anfang, eine Gewinnwarnung musste herausgegeben und die Prognose für 2024 deutlich nach unten korrigiert werden. Jetzt braucht KTM dringend als Überbrückungsfinanzierung einen dreistelligen Millionenbetrag, doch in Anbetracht der prekären finanziellen Lage dürfte es schwierig werden, Geldgeber zu finden. Die Verhandlungen mit den Gläubigern und der Pierer Bajaj AG laufen inzwischen, denn der indische Bajaj-Konzern besitzt 49 Prozent der KTM-Aktien. Über den aktuellen Stand wird nichts veröffentlicht, aber es gibt ein Statement von der KTM-Geschäftsführung: "Ziel ist es, Kosten und Absatz ab dem Geschäftsjahr 2025 auf einem redimensionierten Niveau zu stabilisieren und so die Basis für eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität zu schaffen."

Das klingt nach weiterem Stellenabbau. Es wird genau unter die Lupe genommen, wo sich noch Kosten einsparen lassen. Zum Beispiel erlaubt sich KTM, gleich mit zwei Werksteams in der MotoGP mitzufahren. Allein die ständige Weiterentwicklung der RC16, die Crew und die Fahrer kosten ein Vermögen, wobei ein Team auch noch unter dem Label GasGas läuft – dabei baut die spanische Tochterfirma nur Geländemotorräder. Zu Beginn des Jahres übernahm KTM die italienische Traditionsmarke MV Agusta. Über den Preis wurde zwar Stillschweigen vereinbart. Aber es hat die Kasse von KTM zusätzlich belastet in einer Zeit, wo bereits klar war, dass die Jahresbilanz in Mattighofen mit Verlusten enden würde.

Sehr belastend ist die Überproduktion, einige tausend Euro-5-Modelle stehen in Mattighofen und bei den Händlern und müssen bis Ende des Jahres verkauft werden, da ab 2025 die Emissionsnorm Euro5+ in der EU bei Neuzulassungen vorgeschrieben ist. Deshalb rief KTM Anfang Oktober die Rabattaktion "Mehrwertsteuerfreies Fahren" aus. Der Listenpreis wurde um den Betrag der Mehrwertsteuer reduziert – die Mehrwertsteuer musste der Käufer natürlich trotzdem bezahlen.

Es ist eine Verzweiflungstat, denn bei einigen hochpreisigen KTM-Modellen sind das über 4000 Euro weniger. Die Schnäppchenjäger freut es, doch wer sich zu Beginn des Jahres eine KTM gekauft hat, wird sich nun mächtig ärgern. Euro-5-Motorräder, die 2024 nicht mehr verkauft werden, müssen die Händler mit Tageszulassung vom Dezember im nächsten Jahr zu Dumpingpreisen anbieten.

Zu alledem könnte KTM zum Übernahme-Kandidat werden. Der indische Bajaj-Konzern ist schon an KTM beteiligt und finanziell sehr gut aufgestellt. Allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres hat Bajaj 2,25 Millionen Motorräder verkauft und ist damit der sechstgrößte Motorradhersteller der Welt.

Auch CFMoto ist mit KTM geschäftlich verbunden, bei den Chinesen werden die 790er-Modelle von KTM gebaut, außerdem vertreibt CFMoto die Marke KTM in China. Eine bekannte europäische Marke im Portfolio käme ihnen gerade recht. Doch die Pierer Mobility AG will sich mit Händen und Füßen dagegen wehren. Noch ist offen, wie die Finanzierungsverhandlungen ausgehen. Aber Stefan Pierer hat selbst oft genug Marken aufgekauft, die in Schieflage geraten sind und weiß, wie Finanzprobleme enden können.

(fpi)