LKW-Maut: Von der Maut- zur Fahndungstechnik
Mit der Aufhebung der Zweckbindung bei der deutschen LKW-Maut wird nunmehr auch die PKW-Maut verknüpft. Doch am Mautsystem wären unter Umständen grundlegende Änderungen zum Einsatz für Fahndungszwecke notwendig.
In der großen sommerlichen Mautdebatte zeigt sich, dass Deutschland wirklich das "Land der Ideen" ist. Mit der Aufhebung der Zweckbindung bei der deutschen LKW-Maut, die Daten bislang ausschließlich zu Abrechnungszwecken verarbeitet, wird nunmehr auch die PKW-Maut verknüpft. Wenn die Zweckbindung für die Abrechnung von LKW-Autobahnkilometern entfällt, könnte das System auch andere Aufgaben übernehmen. So erklärte der CSU-Verkehrsexperte Bartholomäus Kalb der heutigen Ausgabe des Focus, dass sich das Mautsystem vom Betreiber Toll Collect auch für die PKW-Maut nutzen ließe. PKW-Fahrer, die auf die Autobahn wollen, könnten nach Kalb die entsprechenden Vignetten einfach an den Maut-Terminals von Toll Collect kaufen. Der Vorschlag, über die Mautkontrollbrücken auch die Vignetten der PKW-Mautzahler zu prüfen, ist nach schlechten Erfahrungen in Österreich nicht mehr aktuell.
Nicht mehr aktuell ist auch die Information, wonach nur 10 Prozent der rund 300 Mautkontrollbrücken für die automatische Mautkontrolle "scharf" geschaltet sind. Tatsächlich sind nach einer Darstellung von Toll Collect alle Mautbrücken scharf geschaltet – nur seien nicht alle Brücken im Modus "Beweismittelsicherung". Welche und wie viele Brücken in diesem Modus arbeiten, das sei sehr unterschiedlich, erklärte Toll Collect in einer Stellungnahme. Grundsätzlich gelte die Verpflichtung, dass 10 Prozent des gesamten LKW-Verkehrs kontrolliert werden müsse. Die Einhaltung der 10-Prozent-Quote bei der Mautkontrolle könnte automatisch durch die Mautkontrollbrücken erfolgen, aber auch durch die Fahrzeuge des Bundesamts für Güterverkehr (BAG), das mit eigenen Fahrzeugen für die mobile Kontrolle zuständig ist und obendrein die Standkontrolle und die Betriebskontrolle (in den Speditionen) übernommen hat.
Alle MautbrĂĽcken registrieren damit nach Aussage von Toll Collect jederzeit den LKW-Verkehr und speichern dabei
- das Bild des Fahrzeugs,
- den Namen der Person, die das Motorfahrzeug fĂĽhrt (wenn in der OBU eingegeben),
- den Ort und die Zeit der mautpflichtigen Bundesautobahnbenutzung,
- das Kennzeichen des Fahrzeugs oder der Fahrzeugkombination sowie
- die für die Mauthöhe maßgeblichen Merkmale des Fahrzeugs oder der Fahrzeugkombination.
Doch nur ein Bruchteil dieser Brücken überträgt im "Beweismittelmodus" ihre Daten online in das Kontrollzentrum von Toll Collect, wo alle Daten maximal 72 Stunden gespeichert sein dürfen, ehe sie zur Abrechnung weitergereicht werden (wo die Daten zwei Monate lagern dürfen). Die übrigen Brücken speichern ihre LKW-Daten (die PKW-Daten werden noch im Prozess der Datenaufnahme gelöscht) auf der Festplatte der Mautkontrollbrücke, wo sie nach 24 Stunden überschrieben werden. Ein polizeiliches Fahndungssystem, das diese Mautdaten nutzen will, muss also sicherstellen, dass alle Daten vor dem Überschreiben von den Festplatten gesichert werden.
Außerdem muss der fotografische Prozess verändert werden. Derzeit fertigt eine Mautkontrollbrücke von jedem LKW zwei Fotos an. So heißt es im Datenschutzmerkblatt von Toll Collect: "Das erste Foto hält das Kennzeichen fest, das zweite Foto ist ein Übersichtsfoto, das das Fahrzeug im Verkehrsgeschehen zeigt. Da § 7 Abs.2 ABMG im Übrigen nur davon spricht, dass das Bild des Fahrzeugs erfasst werden kann, ist die entsprechende Technik so ausgelegt, dass auf den entsprechenden Fotos das Gesicht des Fahrers nicht erkennbar ist." Das System muss also so umprogrammiert werden, dass mit einem dritten Foto der Fahrer des LKW aufgenommen wird.
Neben diesen von den BrĂĽcken erhobenen Daten fallen die Daten der On-Board-Units (OBUs) an, die diese von Zeit zu Zeit verschlĂĽsselt per SMS an Toll Collect verschicken. In der Regel schicken die OBUs ihre Streckendaten erst dann, wenn der LKW zwischen 150 und 200 Kilometer auf einer mautpflichtigen Strecke gefahren ist und der abzurechnende Mautbetrag 20 Euro ĂĽbersteigt (da die Maut in unterschiedlichen Schadstoffklassen abgerechnet wird, variiert die Kilometerzahl). Ein Fahndungssystem, das die LKW "auf Knopfdruck" genau verorten will, dĂĽrfte also zu einer Umprogrammierung der OBU fĂĽhren, die Streckendaten schon zu schicken, wenn 1 oder 2 Euro Maut aufgelaufen sind.
Dass prinzipiell eine Fahndung möglich ist, zeigt ein Angebot von Toll Collect, das sich "Kostenpflichtige Auskunft über aktuelle Streckendaten entwendeter LKW" nennt. Bei diesem Verfahren werden einem Fahrzeughalter vorab die Informationen gesendet, die er sonst erst mit der nächsten Mautabrechnung erhält. Diese Daten dürfen die Fahrzeughalter unmittelbar an die Ermittlungsbehörden weitergeben, während Toll Collect selbst direkt keine Auskunft geben kann. Dieses Verfahren ist juristisch unproblematisch, da keine Rasterfahndung betrieben wird.
In der Vergangenheit haben Justizbehörden mehrfach versucht, größere Datenmengen von Toll Collect zu bekommen. Bislang haben Gerichte solche Beschlagnahmungsaktionen immer aufgehoben, auch wenn sie nicht gegenüber Toll Collect, sondern gegenüber dem BAG gefordert wurden, das die Mautdaten viel länger aufbewahren kann. Auch ist bisher der Versuch gescheitert, Toll Collect im Rahmen der Telekommunikationsgesetze zur Vorratsdatenspeicherung zu zwingen. Bei Toll Collect heißt es dazu: "Im Rahmen des automatischen Anmeldeverfahrens bietet die Toll Collect GmbH den Mautkunden keine Telekommunikation und auch keine Übertragungswege für Telekommunikation an, sondern ist vielmehr Kundin der nummernvergebenden Mobilfunkunternehmen, mit welchen der SMS-Verkehr letztendlich auch abgerechnet wird. Damit werden dem Endkunden gegenüber keine Telekommunikationsdienstleistungen erbracht."
Unter den technischen Möglichkeiten, die Mautdaten zu Fahndungszwecken heranzuziehen, wird unter Juristen die so genannte Klassifikationsabfrage beim Kraftfahrtbundesamt (KBA) diskutiert, weil dieses Amt den Polizeibehörden ohnehin ständig Halterinformationen übermitteln darf. Wenn eine Mautbrücke ein Fahrzeug als mautpflichtigen LKW über 12 Tonnen erkannt hat, startet sie eine automatische Abfrage beim KBA, ob das Fahrzeug von der Mautzahlung befreit ist. Das Sammeln dieser Abfragen beim KBA würde einen Datenpool entstehen lassen, in dem dann gefahndet werden kann, ohne dass die Prozesse von Toll Collect geändert werden müssen.
Zur satellitengestĂĽtzten LKW-Maut und weiteren Vorhaben zur elektronischen Verkehrskontrolle siehe auch:
- Nun doch ein Vorzeigeprojekt – Das LKW-Mautsystem soll zum Exportschlager werden, c't 2/05, S. 68
- Verursacherbedingt verspätet – Das "fortschrittlichste Mautsystem der Welt" und die Realität, c't 22/03, S. 92
- Ausgebremste Automatik – Das Kreuz mit der satellitengestützten Lkw-Maut, c't 21/2002, S. 60
- Vor 10 Jahren: Autobahnmaut mit GSM und GPS
- Fahndung kontra informationelle Selbstbestimmung
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- Debatte um Zugriff auf LKW-Mautdaten fĂĽr Fahndungen geht weiter
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(Detlef Borchers) / (jk)