Urheberrecht: Zweiklassengesellschaft in der akademischen Ausbildung?
Das "Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft" kritisiert den Entwurf der Urheberrechtsnovelle.
"Ein Klima des Misstrauens und der Verknappung" im Umgang mit Wissen und Information befürchtet das Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft in einer Kritik des Referentenentwurfs zum "2. Korb" der Novellierung des Urheberrechts. Der Entwurf befindet sich momentan in der interministeriellen Ressortabstimmung.
Der geplanten Neuregelung zufolge dürften Bibliotheken nun zwar auch elektronische Materialien "an eigens dafür eingerichteten elektronischen Leseplätzen zur Forschung und für private Studien zugänglich" machen, den Zugriff allerdings nicht auf mehr Exemplare eines Werkes ermöglichen, als im Bestand der Bibliothek vorhanden sind. Der Vorteil der elektronischen Erschließung werde ad absurdum geführt. Auch seien in der Praxis mit erheblichen Restriktionen zu erwarten, wenn eine Bibliothek trotz zehn vorhandener Terminals den wartenden Nutzern erklären müsse, daß sie einen Artikel oder ein Buch nur an zwei Lesestationen gleichzeitig zugänglich machen dürfe.
Als "besonders realitätsfern" kritisiert das Bündnis den neuen Paragrafen 53a, der die Bibliotheken von der elektronischen Dokumentenlieferung ausschließt, wenn die Verlage selbst ein solches Angebot bereitstellen. "Das klingt marktkonform und harmlos", sei aber "schlicht eine Katastrophe". Leistungen wie der erfolgreiche "subito-Dienst" -- der auf Einzelbestellung Kopien als Faksimile herstellt, per E-Mail versendet, und bei dem die Nutzung der Kopien ausschließlich analog erfolgt -- würden aus den Bibliotheken verschwinden. Wo Studierende und Wissenschaftler heute rund fünf Euro pro Artikel bezahlen, müssten sie für die Artikelkopien der großen kommerziellen Wissenschaftsverlage wie Elsevier und Springer dann 20 Euro und mehr aufbringen. In der Wissenschaft drohe "eine Zweiklassengesellschaft" zu entstehen, "zwischen denen, die dank ihrer direkten Wirtschaftsrelevanz bezahlen können, und denen, die das nicht können".
An die Wirtschaft appelliert das Aktionsbündnis, dem unter anderem die Deutsche Initiative für NetzwerkInformation (DINI), der Verein zur Förerung eines Deutschen Forschungsnetzes (DFN), Schulen ans Netz e.V. und das Institut für Rechtsfragen der Freien und Open Source Software (ifrOSS) angehören, "den Bogen nicht zugunsten kurzfristiger kommerzieller Erfolge zu überspannen". Wissenschaft und Ausbildung wollten keinen "Informationskrieg" mit den Verlagen, doch "so wie jetzt vorgesehen, darf der Gesetzesentwurf nicht Realität werden".
Zu dem Entwurf des Bundesjustizministeriums für die weitere Novellierung des Urheberrechts siehe auch:
- Kopien brauchen Originale, Website des Bundesjustizministerium zur Novellierung des Urheberrechts
- Referenten-Entwurf aus dem Justizministerium für den "2. Korb" der Urheberrechtsnovellierung
- Bundesregierung stellt Eckpunkte des neuen Urheberrechts vor
- Gemischte Reaktionen zum Zweiten Korb der Urheberrechtsrechtsreform
- Neuer Entwurf zum Urheberrecht weiter unter Beschuss
- Streit um Privatkopie und Auskunftsansprüche spitzt sich zu
- Justizministerium: Keine 3 Jahre Haft für Tauschbörsen-Nutzer geplant
- Open-Source-Vertreter kritisiert Entwurf zum Urheberrecht
- Popkomm: Parlamentarier uneins über Verfolgung von Raubkopierern
- Justizministerium startet Aufklärungskampagne zur Urheberrechtsreform
Zur Auseinandersetzung um das Urheberrecht siehe auch:
- Memorandum für ein praxistaugliches Urheberrecht
- Ein Interview mit Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und Ministerialdirektor Elmar Hucko über Softwarepatente, Urheberrecht und geistiges Eigentum bringt c't in der aktuellen Ausgabe: "Das Urheberrecht kennt kein Recht auf Privatkopie", c't 16/2004, S. 158
- Böll-Stiftung macht sich für "Open Innovation" stark
- Wissenschaftler fordern "faires" Urheberrecht
- Online-Umfrage zum Urheberrecht
- Filmindustrie lässt "Raubkopierer im Knast probesitzen"
- "Elektronischer Hausfriedensbruch", Pauschalabgabe, DRM und Privatkopie: Streitpunkte bei der zweiten Urheberrechtsnovellierung, c't 6/2004, S. 58
- Buchhandelslobby trägt Streit um wissenschaftlichen Kopierdienst nach Brüssel
- Justizministerium will Online-Kopierern weitere Steine in den Weg legen
- "Berliner Erklärung" fordert Musik-Flatrate fürs Internet
- Creative Commons als Geheimwaffe der Künstler im Copyright-Krieg
- An der neuen Copyright-Richtlinie der EU scheiden sich die Geister
- Werbeverband hält Kampagne gegen Raubkopierer für äußerst fragwürdig
- Filmwirtschaft startet Abschreckungskampagne gegen Raubkopierer
- Reform des Urheberrechts tritt in Kraft
- Neues Urheberrecht sorgt für neue Diskussionen
- Gefährliches Pflaster P2P, Auch Downloads aus Tauschbörsen werden illegal, c't 15/2003, S. 88 (verfügbar im heise online-Kiosk)
- Parlamentarier feilschen ums Urheberrecht
- Justizministerin tritt Kampagne der Verleger zum Urheberrecht entgegen
(Richard Sietmann) / (jk)