Bergwandern: Royal Enfield Himalayan im Test

Seite 2: Serienmäßiges Navigationssystem: Kompass

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Oben rechts im Cockpit sitzt der Drehzahlmesser, der bei der Himalayan eigentlich überflüssig ist, denn spätestens, wenn der langhubige Zweiventil-Einzylinder seine Maximalleistung bei 6500/min erreicht hat, schaltet man schon aufgrund der Geräuschkulisse freiwillig hoch. Die Tankanzeige funktioniert noch analog mit Zeiger und nicht wie heute üblich als winzige, digitale Balkenanzeige. Schließlich überrascht die Himalayan noch mit einem serienmäßigen Navigationssystem: Sie hat einen Kompass! Er zeigt digital die eingeschlagene Himmelsrichtung in 45-Grad-Schritten mit Buchstaben an.

Noch etwas habe ich an einem neuen Motorrad schon lange nicht mehr gesehen: Einen Choke-Hebel. Bevor Missverständnisse aufkommen: Die Himalayan hat keinen Vergaser, sondern eine Einspritzung. Solange die Lufttemperaturen sich im zweistelligen Bereich befinden, braucht der Choke-Hebel beim Kaltstart aber nicht gezogen werden. Der Einzylinder springt spontan an und tuckert konstant im Leerlauf vor sich hin. Die Kupplung lässt sich ohne Kraftaufwand ziehen und die fünf Gänge schalten sich erfreulich leicht durch.

Royal Enfield Himalayan im Test - Details (9 Bilder)

Der Windschild hält den Druck gut vom Oberkörper ab und schützt sogar leidlich gegen Regen. Die Rückspiegel erfreuen mit einer guten Sicht nach hinten.

Man darf natürlich von einem 24-PS-Motorrad, das vollgetankt 200 Kilogramm auf die Waage bringt, keine Beschleunigungswunder erwarten. Dennoch hat man nicht den Eindruck, dass der Motor völlig überfordert wäre. Er schiebt brav an und kommt sogar halbwegs flott auf Tempo 100, erst darüber wird es langsam zäh, mit viel Anlauf quält sich der Tacho auf 135 km/h. Kurven mit hoher Geschwindigkeit zu durcheilen mag das 21-Zoll-Vorderrad ab einer gewissen Schräglage nicht sonderlich, hält aber seine Spur. Die Himalayan verfügt über das vorgeschriebene ABS, allerdings gelang es mir nicht einmal mit voll gezogenem Bremshebel in den Regelbereich zu gelangen. Die Zweikolben-Festsattelbremse entspricht ungefähr dem Standard der japanischen Einzylinder-Enduros der 1990er Jahre.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass dieses Motorrad für die Hochgebirgstour erschaffen wurde und nicht für die Hetzjagd auf deutschen Landstraßen. Insofern schlägt sich die Himalayan achtbar. Richtig angenehm wird sie, wenn man den Motor im mittleren Drehzahlbereich hält, dann schnurrt die Royal Enfield zufrieden vor sich hin, nimmt die Kurven mit stoischer Gelassenheit und erfreut mit einem angenehm sonoren, aber nicht aufdringlichen Auspuffsound. Der kleine Windschild hält den Druck vom Oberkörper fern und die beiden Außenspiegel bieten guten Rückblick – nicht ganz unwichtig, wenn ein tiefergelegter GTI von hinten drängelt. Auf der Himalayan lernt der Fahrer die Faszination des beschaulichen Cruisens kennen, entdeckt auf einmal die Schönheit der vorbeiziehenden Landschaft und kommt auch nach Stunden im Sattel entspannt am Ziel an.

Royal Enfield will die Himalayan ausdrücklich als geländetaugliches Reisemotorrad verstanden wissen. Auf Schotter und festgefahrenem Lehm macht die Himalayan eine gute Figur, nicht zuletzt dank der aufgezogenen Pirelli MT 60. Sie sind zwar nicht gerade die modernsten Reifen, funktionieren auf der Himalayan aber immer prima. Die Enduro zieht gelassen ihre Bahn und das Fahrwerk schluckt Löcher bis zu einer gewissen Tiefe komfortabel, könnte jedoch etwas progressiver ausgelegt sein. 220 Millimeter Bodenfreiheit unter dem stabilen Motorschutz nehmen selbst größeren Gesteinsbrocken ihren Schrecken. Auf unbefestigten Pfaden beginnt sie in Kurven dezent über das Vorderrad zu schieben, kündigt das jedoch rechtzeitig an.

Ein Abwürgen beim Anfahren ist wegen der großen Schwungmasse der Kurbelwelle fast unmöglich. Sportbike-Fahrer mögen darüber die Nase rümpfen, aber wer in 4000 Meter Höhe im Schlamm steckt, ist dafür sehr dankbar. Die 200 Kilogramm Leergewicht machen sich im Gelände kaum bemerkbar, zumindest solange man die Royal Enfield nicht im Stand rangieren muss. Auch wenn ich maximal ein paar hundert Meter über dem Meerespiegel unterwegs bin, würde ich der Himalayan glatt zutrauen, über schroffe Bergpfade bis zum Basiscamp des Mount Everest zu kommen – langsam und ausdauernd.

Unser Test-Exemplar ist mit optionalen Alu-Koffern ausgestattet, die der Himalayan ausgesprochen gut stehen. Sie werden am unteren Rohr des Kofferträgers eingehakt und oben mittels zweier kurzer Stahlstücke fixiert, die mit Rändelschrauben im Inneren der Koffer angezogen werden. Die großen Koffer halten auf Offroad-Strecken, ohne zu klappern. Die mögliche Zuladung der Himalayan beträgt 165 Kilogramm, was mit Sozius und Gepäck schon etwas knapp bemessen ist, aber wer auf Solo-Tour geht, kann genügend Expeditionsausrüstung mitschleppen. Der 15 Liter fassende Stahltank wäre für die meisten Reiseenduros zu klein, doch die Himalayan genehmigt sich nur asketische drei Liter Sprit auf hundert Kilometer und sorgt so für eine theoretische Reichweite von 500 Kilometern. In Anbetracht des dünnen Tankstellennetzes wäre das im Himalaya aber auch notwendig.

Nicht nur wer den nächsten Urlaub im Himalaya verbringen will, kann zur Royal Enfield Himalayan greifen. Sie reißt mit 24 PS natürlich keine Bäume aus, aber sie bringt den Fahrer überall hin, ist komfortabel und geländegängig. Dazu kommt noch der extrem günstige Preis und der nostalgisch angehauchte Look der indischen Reiseenduro.