Cyberpunk 2022: Elektroroller BMW CE 04 im Test

BMW hat beim Design selten Mut gefehlt, im Guten wie im Schlechten. Der elektrische Großroller CE 04 punktet jedoch hauptsächlich mit guten Fahreigenschaften.

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BMW CE 04

(Bild: Clemens Gleich)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Beim Fotografieren unter Menschen erhält man einen guten Eindruck von der generellen Interessantheit eines Gefährts. Oft sind krasse Superbikes, herzige Harleys oder trotz aller Förderung sogar manche Elektroautos für die Massen nicht so interessant, wie sie uns in den Redaktionsbesprechungen schienen. BMWs CE 04 fällt mit seinem Futurama-Design allen irgendwie auf. Wer so vorfährt, muss überall mit Gesprächen rechnen, von sehr jung bis sehr alt. Münchens Designer blieben in der endgültigen Gestaltung erfreulich nahe an der vorangegangenen Studie. Nur die Front sieht noch einigermaßen Roller-klassisch aus. Der Rest wäre in der offenen Spielwelt von Cyberpunk 2077 thematisch perfekt passend aufgehoben. Nun werden fast ebenso viele Leute das Ding hässlich finden wie schön, doch in Einem finden beide Seiten Konsens: "interessant" schaut das Ding ganz sicher aus.

Der Gestaltung und dem Akku fällt etwas Stauraum zum Opfer. Ins Gepäckfach unter dem Fahrersitz passt ein Integralhelm. Der Beifahrer muss sehen, wo seiner bleibt. Da trösten auch Gepäckfachbeleuchtung und Dämpfer nur teilweise. Natürlich muss man das wissen, aber ganz ehrlich: Wer einen Riesenstauraum und vielleicht noch einen kleinen Preis will, der kauft einen Benziner von Kymco. Schon der Vorgänger (BMW C Evolution) kam akkubedingt nur mit eher kleinem Gepäckfach, und ich glaube, das stört die Zielgruppe nur peripher. Interessant aussehende Dinge sind selten so praktisch wie langweilig aussehende Nutzwerter. Ein Papagei ist nicht so praktisch wie eine Kuh. Mit Rückwärtskriechfunktion und automatischer Seilzug-Parkbremse am Seitenständer (wie bei den anderen Großrollern im BMW-Sortiment) fehlen dennoch einige praktische Details nicht, die man selbst in manchen Alltagspacktieren vergeblich sucht.

Der Hauptverkaufsgrund für den CE 04 ist jedoch nicht sein Aussehen, sondern sein Fahrverhalten. Er fährt schlicht besser als alle anderen Elektroroller und sicherer obendrein. Das beginnt schon bei einer Sicherheitstechnik wie ein Motorrad, mit fein regelndem ABS (gegen Aufpreis sogar Kurven-ABS) und BMWs eCall-Notrufsystem. Andere E-Roller bieten nicht einmal ein ABS, sondern nur CBS.

CBS (Combined Braking System) bedeutet nur, dass ein Griff zum Bremshebel beide Achsen bremst. Es verhindert also kein überbremstes Vorderrad, und da das Vorderrad den Großteil der dynamischen Fahrstabilisierung leistet, verhindert ein CBS damit auch keine Unfälle aus dem Zusammenbruch ebendieser durch eine vordere Radblockade. Ich reite bei E-Rollern so auf dem bei ihnen seltenen ABS herum, weil bei den in diesem Segment üblichen wenigen gefahrenen Kilometern die Bremshand nie so trainiert ist, dass sie fahrerseitig mit einer Radblockade souverän umgeht. Sie können selber darüber nachdenken, wie wichtig Ihnen das ist, Sie müssen das dazu allerdings vorher wissen.

Details BMW CE 04 (21 Bilder)

Ist das schön? Diskutierbar. Ist das interessant? Auf jeden Fall.
(Bild: Clemens Gleich)

Die Hinterachse treibt BMW wie beim Vorgänger über einen Zahnriemen an. Anders als dort läuft dieser Zahnriemen jetzt offen (beim C Evolution lief er unsichtbar im Schwingenkasten). Es bleibt das wabernde UFO-Geräusch des Antriebs beim Langsamfahren, mit dem BMW auf einen Soundgenerator verzichten kann. Der Motor liegt schwerpunkt- und federungsgünstig in der Nähe des Schwingenlagers. Das federt super, fährt sehr komfortabel und souverän und macht sogar einigen Kurvenspaß. Für A1 (oder B mit Sonderkennung B196) bietet BMW eine Variante mit entsprechend geänderter Steuersoftware und 11 kW Dauerleistung an.

Eine Enttäuschung war der Verbrauch überland, denn der lag mit 9,9 kWh/100 km brutto auf dem Niveau einer Zero SR/S (die beschleunigt wie ein Superbike) oder wahlweise eines Seat MÓ, der dich bei 5 Prozent Restanzeige schlagartig im Stich lässt. Also nicht berühmt. Wahrscheinlich steigt der Verbrauch aufgrund der doch recht großen Frontfläche, über die der zerklüftete Mensch dann noch herausragend wirbelnd im Wind sitzt. Das wird außer ineffizient zudem laut am Helm. Hier werden wohl viele die höhere Scheibe als Wind- und Wetterschutz bestellen.

Bei reiner Überlandfahrt würde ich mit um die 80 km Reichweite rechnen. Mit mehr Stadtanteil darin sank der Verbrauch auf 8,6 kWh/100 km brutto. In so einem Mischbetrieb, wie er in manchen Pendelszenarien vorkommt, erreicht der CE 04 dann um die 100 km Reichweite. BMWs versprochene 130 km sind nur im reinen Stadtbetrieb drin, für den dieser 120 km/h schnelle Roller allerdings stark überdimensioniert ist.

Der Akku mit 8,9 kWh Netto-Energiegehalt lädt gegen Aufpreis mit bis zu 6,9 kW einphasig an Wechselstrom, Gleichstromladen ist nicht möglich. Wie bei Zero hat BMW dazu ein modulares Ladegerät konstruiert. Standardmäßig lädt es mit 2,3 kW (10 A), bei Schnellladung verbaut BMW drei Module davon und kommt auf 6,9 kW (30 A einphasig), also nahe an den üblicherweise maximalen 32 A auf einer Phase an einer 22-kW-AC-Station.

Die Idee ist super, in der Praxis senkt BMW leider schon recht früh (im Test bei um die 40 Prozent SoC) den Stromfluss auf 20 A ab (wohl durch Abschaltung eines Moduls). Eine Tagestour würde ich damit nicht unbedingt machen wollen, was allerdings der einzige echte Grund wäre, das Schnellladegerät überhaupt im Konfigurator anzukreuzen. Es wird sein wie immer: Braucht keiner, kauft jeder, denn man könnte es ja mal benutzen wollen. BMW liefert einen Schuko-Adapter mit, der angesichts der Batteriegröße fürs Garagenladen völlig ausreicht. Man kann ihn umschalten von 10 A auf 8 A, um die Batterie und/oder die Garagenelektrik zu schonen.

Die fehlende Reisetauglichkeit vom Akku her ist fast schon schade, wenn man sich anschaut, welches Touren-Equipment der CE 04 von den großen Motorradtourern wie der R 1250 RT erbt. Links gibt es ein Handschuhfach, in dem das Smartphone gebläsegekühlt liegt. Darauf läuft die App "BMW Connected Drive", die auch navigiert. Der TFT-Tacho zeigt dabei nicht nur Turn by Turn wie bei vielen BMWs, sondern obendrein wie bei der RT die scrollende Karte.

Das funktioniert so gut, dass ein zusätzliches Navi unnötig ist. Das mit Strom versorgte Smartphone übernimmt zudem den Rest des Infotainments mit Telefonie und Musik. Das Navi bietet mit GPX-Import und der Option "kurvige Route" alles, was 98 Prozent der Fahrer von einem Motorradnavi erwarten, und BMWs Bediensystem mit dem Drehring vereinfacht und sichert die Bedienung in Fahrt erheblich.

Zubehör BMW CE 04 (4 Bilder)

Links oben das modular aufgebaute Ladegerät; darunter der Umrichter. Im Fahrzeugboden unter dem Helm liegt der gebläsegekühlte Akku. Im aufgeschnittenen Sitzkissen sehen Sie Heizschlangen.
(Bild: BMW)

Außer dieser in der Praxis gut funktionierenden Smartphone-Integration gibt es Dinge wie Kurvenlicht, Heizgriffe, verschiedene Sitzbänke, Alarmanlage, Mittelständer und Reifendruckkontrolle in der Aufpreisliste. Die Drosselung auf A1 kostet keinen Aufpreis und fällt bei den Fahrleistungen nur geringfügig auf. Um das zu erreichen (Erinnerung: bei der Zulassung geht es um 30 Minuten "Dauerleistung"), kürzt BMW den Batteriehub, also die nutzbare Kapazität, um etwa ein Viertel. Tipp: Diese Träne verdrücken und sich mit der aus dem geringeren Hub höheren Akkulebenszeit trösten.

Wer reine Nutzwertargumentationen ansetzt, wird nie bei BMW herauskommen. Das gilt auch für Elektroroller. München hat sich immerhin eine Alleinstellung darin geschaffen, die hauseigenen Motorraderfahrungen in ein Chassis zu stecken, das sicher fährt und dabei viel Freude macht. Der fahrdynamische Abstand zu egal welchem Konkurrenten ist enorm. Das wird sich wohl erst ändern, wenn andere Experten wie Yamaha ihre Konzepte (etwa Yamaha E01) als Serienfahrzeuge umsetzen. Hier hat BMW also noch ein, zwei Jahre Zeit, alle E-Roller-Wünscher abzuholen, die gutes, sicheres Fahrverhalten und Ausstattung auf Motorrad-Niveau suchen – und dafür 12.000 Euro ausgeben können.

Für die Klientel, die günstigere Überland-E-Roller sucht, wollen wir sehen, wann wir den Trinity Jupiter S einmal testen können, der wie BMW 120 km/h Höchstgeschwindigkeit bietet, wo die Konkurrenz häufig bei um die 90 km/h aufhört. Das Gefährt mit Radnabenmotor kostet knapp 7000 Euro. Wer es noch günstiger sucht und am besten auch leicht für den Transport am Reisemobil: Bei entsprechend niedrigen Fahrleistungen ist ein Benziner nicht nur billiger, sondern sogar klimagünstiger. Wer sich hier besonders engagieren möchte, kauft einen gebrauchten Benziner vom frischgebackenen E-Roller-Besitzer.

BMW hat die Überführungskosten übernommen, die Redaktion jene für Strom.

Hersteller BMW
Modell CE 04
Motor und Antrieb
Motorart Permanenterregter Elektromotor
Boost-Leistung in kW (PS) 31 (42)
bei U/min 4900
Drehmoment in Nm 62
Dauerleistung in kW (PS) 15 (20)
Antrieb Zahnriemen
Fahrwerk
Rahmen Stahlrohr-Gitterrahmen
Radaufhängung vorn Telegabel, 35 mm Standrohr
Radaufhängung hinten Aluminium-Einarmschwinge mit Monofederbein
Reifengröße vorn 120/70 R 15
Reifengröße hinten 160/60 R 15
Bremsen vorn Doppelscheibe, 265 mm, Vierkolben-Festsättel, radial montiert
Bremsen hinten Einzelscheibe, 265 mm, Einkolben-Schwimmsattel
Lenkkopfwinkel in Grad 63,5
Nachlauf in mm 120
Federweg in mm v/h 110/92
Maße und Gewichte
Radstand in mm 1675
Leergewicht in kg ab 231
Zuladung in kg bis 179
Akkukapazität netto in kWh 8,9
Sitzhöhe in mm 780
maximale Ladeleistung (AC) in kW 6,9
Fahrleistungen
Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in Sekunden 9,1
Beschleunigung von 0 auf 50 km/h in Sekunden 2,6
Höchstgeschwindigkeit in km/h 120
Verbrauch
Testverbrauch in kWh / 100 km brutto 8,6 bis 9,9
Verbrauch nach WMTC in kWh / 100 km brutto 7,7
Daten Stand Mai 2022
Modell BMW CE 04
Grundpreis 11.990,00 €
Interessante Extras
Heizgriffe 220,00 €
Komfort-Sitzbank 235,00 €
Sitzheizung Serie
Höherer Windschild 90,00 €
Alarmanlage 240,00 €
Mittelständer 100,00 €
E-Call Serie
Reifendruckkontrolle 130,00 €
Leistungsreduzierung für A1 0,00 €
Schnellladegerät 850,01 €
Preisliste Stand Mai 2022

(cgl)