Das kleine Abenteuer: Test KTM 390 Adventure

Seite 2: Außer Hubraum fehlt nichts

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Überhaupt fehlt es der Maschine an nichts, um mit größeren Maschinen in der Gruppe mitzuschwingen. Sie braucht nur einen Fahrer, der seine Jugend nicht ganz vergessen hat, mit Drehzahlen immer nah am Begrenzer und dem Gas immer auf Anschlag. Auf der Autobahn fährt die 390 bis 160 km/h. Die meisten Motorrad-Reisegruppen orientieren sich an der deutschen Richtgeschwindigkeit von 130 km/h. Hier verbirgt sich also ein kleiner Geheimtipp: Wer den technischen Stand des Reiseenduro-Segments in neu sucht, erhält ihn hier für knapp über 6000 Euro plus Liefernebenkosten. Dabei fehlt im Vergleich zu einer Großen nichts außer stampfende Leistung aus Hubraum. Sowas hat eine Honda Transalp aber auch nicht, um die bekannteste günstige Alternative zu nennen.

BMW G 310 GS (6 Bilder)

BMWs nüchterneres Design wird man in 10 Jahren noch genauso mittel finden wie heute. Wie einem das Kiska-Gezacke dann gefällt, ist fraglicher.
(Bild: Tom Wess)

Eine BMW G 310 GS hat es erst recht nicht, der Motor ist ja kleiner, will also noch mehr ausgewrungen werden. Bei 140 km/h ist laut technischen Daten Schluss. Der Tank ist deutlich kleiner. Dennoch sage ich nach einem ganzen Fahrtag auf der BMW: Sie ist das harmonischere Fahrzeug. Sie geht mehr in Richtung Naked Bike in Sachen Ergonomie, mit einem superneutralen, fast von selber fahrendem Kurvenverhalten. Ihr Sitz sieht nicht so aus, wurde aber von beiden Fahrern am Abend als bequemer beurteilt. Man kann auf beiden ausgezeichnet reisen, es ist nur sehr unterschiedlich.

Man darf dort nur 20 fahren. Reicht aber.

(Bild: Axel Griesinger)

Niemand hat erwartet, dass ein Großserienhersteller etwas baut wie eine CCM GP 450 Rally, die mit ihrem 20-Liter-Tank fast voll nur 145 kg wog. Doch dass sich die 390 Adventure dann so weit von dieser Masse entfernt, enttäuscht mich dann doch etwas. Die KTM wiegt 172 kg mit vollem 14,5-Liter-Tank. Zum Vergleich: Die KTM 690 Enduro wiegt je nach Baujahr unter 160 kg vollgetankt, obwohl sie deutlich massiver konstruiert ist. Schade, aber der Markt hat einfach nicht nach mehr Motorrädern wie der CCM verlangt (sie wurde schnell eingestellt), sondern nach mehr Fahrhilfen, Verkleidungen, generell Ausstattung und damit nach mehr Masse, die von den meisten Fahrern massiv unterschätzt wird in Sachen Offroad-Freude.

Also fährt die 390 Adventure auf losem Grund einfacher als die großen Schiffe, wird sich aber auf den Himalaya-Rallyes wahrscheinlich von vielen 390 Dukes abhängen lassen müssen (Gewicht ca. 150 kg vollgetankt). Ein größeres Enduro-Vorderrad passt nicht ins Chassis der Adventure. Die BMW wiegt mit 170 kg vollgetankt mit 11-Liter-Tank treibstoffbereinigt sogar noch mehr. Als leichte Alltagsenduro punktet damit keine der beiden Maschinen. Wer so etwas sucht, findet es in der teuren, aber guten Yamaha WR 250 R (134 kg mit vollem 7,6-Liter-Tank) oder der günstigeren, weicheren Kawasaki KLX 250 (138 kg mit vollem 7,7-Liter-Tank).

Doch was dem Enduro-Teil fehlt, macht der Reiseteil wett. Man zeige mir eine Reisemaschine für den doppelten Preis, die besser ausgestattet ist als die 390 Adventure! Der kleine, lebensfrohe Motor dreht sich einen Wolf und verbrennt dabei wenig Benzin. Über den Tag bringt dich die kleine KTM genausoweit wie die großen Adventures, und auf schwierigeren Pisten bringt sie die meisten Fahrer deutlich schneller deutlich weiter als die über-200-kg-Bolzen. Wir waren erstaunt und erfreut darüber, wie viel Motorrad KTM in der kleinen Adventure bietet. Tourenfahrer, die vom Wettrüsten in Sachen Leistung, Hubraum und Lärm angewidert bei einer alten Honda Transe landeten, könnten hier ihren Frieden mit der Moderne finden. Die 390 tuckert nämlich mit einer sehr sozialverträglichen Lautstärke durch Ortschaften und ist selbst auf Nenndrehzahl nicht laut.

Genau hier hat es sich die G 310 GS bei beiden Testern verkackt: kaum Leistung, aber auf Nenndrehzahl (die man aufgrund der geringen Leistung ständig braucht) mit WOT klingt es, als kuschele man sein Ohr an einen Industriestaubsauger. Das will niemand den ganzen Tag hören, denn das macht nach kurzer Zeit Kopfschmerzen. Vielleicht fällt BMW am aus dem Lineup scheidenden Modell auf, wie absurd die Münchner Krachpolitik geworden ist. Davon abgesehen: Die 310 GS fährt herrlich, es wollte sie aber keine Sau haben. Mit ein bisschen Verhandlungsgeschick machen Interessenten da gute Schnapper. Ist ja nicht so, als stünden die Leute geldwedelnd vor der 310er Schlange. Dann fehlt ihr zwar moderne Ausstattung auf die KTM, aber für 2000+ Euro Ersparnis kann ich mit so einem Motörchen sehr, sehr weit fahren, bis ich über fehlende Features die erste Träne weine. Fest steht aber auch, dass BMW sich für das Update Gedanken zu Ausstattung und Neupreisgestaltung machen muss, wenn es bei KTM für so wenig Geld mehr so viel mehr Features gibt.