Kawasaki Ninja ZX4-RR im Test: Zwiebelaroma

Der sehr handliche Sportler bettelt darum, gezwiebelt zu werden, bei fünfstelliger Drehzahl geht die Post ab. Dieses Bike ist absolut außergewöhnlich. Hut ab!

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Kawasaki Ninja 400 RR

(Bild: Ingo Gach)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

Eine Fahrt auf der Kawasaki Ninja ZX4-RR ist ein Ausritt in eine andere Dimension. Damit meine ich nicht, dass der kleine Sportler nur 399 cm3 hat, sondern sein irrwitziges Drehvermögen. Unterhalb von 4000/min tut sich wenig, darüber produziert der Reihenvierzylinder akzeptable Leistung, um im Verkehr mitzuschwimmen. Solange die Drehzahlen im vierstelligen Bereich bleiben, ist das halt nur eine 400er. Als der Drehzahlmesser auf einer langen Geraden die 10.000er-Marke passiert, lasse ich das Gas stehen, anstatt hochzuschalten und der Vierzylinder erwacht richtig zum Leben. Die Ninja stürmt vorwärts, als hätte sie den Nachbrenner gezündet. Die Drehzahlorgie endet erst bei astronomischen 16.000/min.

Kawasaki hat viel Mut bewiesen, die neue Ninja ZX4-RR nach Deutschland zu importieren. Ein Markt, der mit kleinen Hubräumen eigentlich nicht viel anfangen kann, alles unterhalb von 600 cm3 gilt hierzulande bei vielen als Anfängermotorrad. Doch in der ZX4-RR werkelt ein heißblütiges Aggregat, das darauf wartet, entfesselt zu werden.

Kawasaki Ninja ZX4-RR (8 Bilder)

Kawasaki bringt mit der Ninja ZX4-RR ein außergewöhnliches Sportmotorrad auf den Markt.
(Bild: Ingo Gach)

Bei einer Bohrung von 57 mm hat der Motor nur 39,1 mm Hub, was die exorbitanten Drehzahlen ermöglicht. Maximal leistet die Kawasaki 77 PS bei 14.500 Touren. Bevor Missverständnisse aufkommen: die 400er-Ninja lässt sich problemlos im sechsten Gang bei Tempo 50 durch die Stadt chauffieren, der Vierzylinder läuft dabei brav wie eine Nähmaschine. Nur beim plötzlichen Gas aufziehen tut sich halt nicht so viel.

Dabei will die Ninja ZX4-RR ihre sportlichen Ambitionen gar nicht verhehlen, sie sieht ihrer großen Schwester, dem über 200 PS starken Superbike Ninja ZX10-R (Test), täuschend ähnlich. Sie ist in der Markenfarbe Giftgrün lackiert und mit großen Graphics dekoriert. Die Vollverkleidung mit integrierten Blinkern ist schlank geschnitten und sie reckt das Kinn vor in Form zweier kleiner Spoiler unterhalb der beiden LED-Scheinwerfer. Am anderen Ende ragt das Heck auffallend in die Höhe und endet abrupt in einem LED-Rücklicht. Der winzige Soziussitz erfüllt nur Alibi-Funktion und ist niemand jenseits des Grundschulalters zuzumuten.

Die Ninja ZX4-RR will ein Racer sein und ist es doch wieder nicht. Ich hocke erstaunlich bequem auf 800 mm Höhe, der Sitz ist besser gepolstert, als er aussieht. Kawasaki hat die Lenkerstummel recht hoch positioniert und der 15-Liter-Tank ist so kurz geraten, dass ich mich nicht weit über ihn beugen muss, um die Griffe zu erreichen. Die Fußrasten sind relativ weit vorne angebracht und erlauben einen noch entspannten Kniewinkel. Auch nach mehreren Stunden schmerzen der Rücken und die Unterarme auf dem kleinen Sportler nicht. Die Ninja ZX4-RR bringt vollgetankt 189 kg auf die Waage. Das ist für eine 400er zwar kein Glanzwert, aber während der Fahrt fühlt sich die Kawasaki federleicht an.

Sie reagiert auf den kleinsten Druck am Lenker und lässt sich ohne Kraftaufwand in die Kurve legen. Mit nur 1380 mm Radstand, 66,5 Grad Lenkkopfwinkel und 97 mm Nachlauf ist sie ganz auf Handlichkeit getrimmt. Begrüßenswerterweise verzichtet Kawasaki auf einen zu breiten Hinterreifen, was die Agilität wieder eingeschränkt hätte, und greift zur Dimension 160/60-17, während vorne der bei Sportlern übliche 120/70-17 rollt. Der ab Werk aufgezogene Dunlop Sportmax GPR-300 ist ein bewährter Sport-Touring-Reifen, ich wage mir gar nicht auszumalen, zu was die Ninja mit einem richtigen Sportreifen in der Lage wäre.

Sehr zum Fahrspaß trägt der serienmäßige Quickshifter bei, der Gangwechsel in beide Richtungen ohne Betätigung der Kupplung zulässt. Wo wir gerade bei der Ausstattung sind: an der Ninja sind beide Handhebel einstellbar. In der Klasse keine Selbstverständlichkeit.

Die ZX4-RR verfügt über einen Gitterrohrrahmen aus Stahl, einer aus Aluminium verbietet sich wohl aus Kostengründen. Dafür lässt sich Kawasaki beim Fahrwerk nicht lumpen und spendiert ein voll einstellbares Federbein von Showa, wie es auch bei der ZX10-R zum Einsatz kommt. Das fast flach liegende Exemplar lässt sich rasch per Einstellschrauben in der Zug- und Druckstufe variieren und auch die Vorspannung kann geändert werden.

An der Front arbeitet eine 41 mm dicke Big-Piston-Gabel, ebenfalls von Showa. Sie ist zwar nur in der Vorspannung einstellbar, funktioniert aber auf der Landstraße gut. Sie schluckt auch gröbere Unebenheiten im Asphalt und sorgt für einen komfortablen Ritt. Allerdings federt sie beim engagierten Einsatz der beiden kräftig zupackenden, radial montierten Vierkolben-Bremszangen am Vorderrad weit ein. Wer mit der ZX4-RR Rennstrecke fahren will, würde sich eine straffere Abstimmung der Gabel wünschen. Nicht nur sehr hübsch, sondern auch leicht, sind die filigranen Gussräder, die die ungefederten Massen gering halten.

Im Cockpit zeigt ein TFT-Display – das über eine App mit dem Smartphone koppelbar ist –noch halbwegs gut ablesbare Informationen an, wobei der geschwungene Drehzahlmesserbalken natürlich am wichtigsten ist, ihn gilt es, im Auge zu behalten. Mir erging es regelmäßig so, dass ich intuitiv hochschalten wollte, dann aber beim Blick auf die Drehzahl verblüfft feststellte, dass noch 5000/min mehr möglich waren. Im fünfstelligen Drehzahlbereich hört sich der kleine Motor schon sehr nach Rennsport an. Da verwundert es auch nicht, dass unser Testmotorrad auf einen Durchschnittsverbrauch von 5,1 Litern auf 100 km kommt, die des Öfteren abgerufenen hohen Drehzahlen lassen die vier Düsen entsprechend viel Sprit durch.

Kawasaki Ninja ZX4-RR (7 Bilder)

Nur 399 Kubikzentimeter Hubraum, aber 77 PS Leistung. Kawasaki zeigt, wie viel Fahrfreude das bringen kann.
(Bild: Ingo Gach)

Die Ninja ZX4-RR hält vier Fahrmodi parat: Rain, Road, Sport und ein manuell einstellbarer Rider-Modus. Das Menü lässt sich über Tasten am linken Lenkerende bedienen. Den Regen-Modus kann man sich getrost sparen, der Road-Modus funktioniert gut, aber wirklich interessant wird es erst im spontan reagierenden Sport-Modus. Wer will, kann die Schlupfregelung auch ganz abstellen. Racing-Fans können das Display auf den Rundstrecken-Modus umschalten, der einen Laptimer enthält und die Drehzahlen und die Gangposition groß anzeigt. Wobei auch der Tacho für Überraschungen gut ist, die 400er-Kawasaki rennt unfassbare 228 km/h. Allerdings muss sich der Pilot dafür ganz hinter den eher knappen Windschild verkriechen.

Kawasaki verlangt für die Ninja ZX4-RR 9595 Euro. Für eine 400er ist das absolut gesehen erst einmal viel Geld, aber für ein außergewöhnliches Sportmotorrad fast schon ein Schnäppchen. Wer dieses Motorrad kauft, weiß, worauf er sich einlässt. Es bietet nur eingeschränkte Alltagstauglichkeit, vermittelt aber auf der Landstraße und Rennstrecke unglaublich viel Spaß. Vor allem beeindruckend ist die gute Beherrschbarkeit der kleinen Kawasaki. Der Faszination des hochdrehenden 400er-Vierzylinders kann sich niemand entziehen, der auch nur einen Tropfen Benzin im Blut hat.