Polestar 3 im Fahrbericht​: Schwer dynamisch

Für eine erste Probefahrt stand uns ein Polestar 3 mit 380 kW zur Verfügung, den unter anderem Torque-Vectoring besonders agil machen soll.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 37 Kommentare lesen
Polestar 3

(Bild: Polestar)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Wolfgang Gomoll
Inhaltsverzeichnis

Für ein Segment, das auf deutschen Straßen bestenfalls eine Nebenrolle spielt, ist das Angebot an fülligen E-SUVs inzwischen erstaunlich üppig. Die Hoffnung auf globalen Erfolg margenträchtiger Modelle scheint Konjunktur zu haben. Volvo, seit geraumer Zeit in Hand der chinesischen Firma Geely, will mit zwei Modellen auf einer Plattform in dieser Klasse mitmischen. Die Ausrichtung von Volvo EX90 und Polestar 3 ist sowohl gestalterisch als auch fahrerisch so angelegt, dass unterschiedliche Vorlieben bedient werden sollen. Polestar fällt die Rolle des Dynamikers zu. Eine erste Probefahrt zeigt, dass dieses Ansinnen nachvollziehbar umgesetzt wurde.

Um diesen Anspruch in einem leer knapp 2,7 Tonnen wiegenden Auto erlebbar zu machen, braucht es mehr als nur reichlich Leistung. Polestar setzt auf Torque-Vectoring, also eine variable Verteilung der Drehmomente. Dafür sind an der Hinterachse zwei Kupplungen für die Antriebswellen eingebaut. Bei diesem aufwendigen System wird das Drehmoment bevorzugt auf das Rad geleitet, das auch tatsächlich mehr Kraft auf die Straße bringen kann. Die Kraftverteilung kann auch genutzt werden, um das Einlenkverhalten zu unterstützen oder das Auto zu stabilisieren. Simpler ausgelegte Systeme arbeiten dazu mit einem Bremseingriff.

Im Ergebnis überzeugt Polestars Weg. Das Fahrverhalten ist ausgewogen, auch bei schnellen Richtungswechsels bleibt die schwere Fuhre gut berechenbar. Das hohe Gewicht wird im Normalfall geschickt kaschiert. Es braucht schon die Kombination aus enger Kurve und hoher Geschwindigkeit, bis im 3er von Polestar zu spüren ist, wie das große und schwere Auto Richtung Kurvenrand drängt. Wie gekonnt das Fahrwerk abgestimmt ist, zeigt sich auch daran, dass dies nicht mit übermäßiger Unnachgiebigkeit der Dämpfer erkauft wird. Die Lenkung liefert allerdings nicht allzu viel Rückmeldung, und auch das Pedalgefühl der Bremse ist eher weich. Es braucht ein wenig Eingewöhnung, bis sie sich gut dosieren lässt.

Wir waren mit dem Polestar 3 Long Range Dual Motor mit Performance-Paket unterwegs, der in der Spitze bis zu 380 kW und 910 Nm bereitstellt. Erwartungsgemäß beschleunigt das E-SUV enorm agil und lässt leicht vergessen, welche Massen hier in Bewegung gesetzt werden müssen. Hinzu kommt eine hervorragende Schallisolierung. Wir waren auf einer kurvigen Bergstrecke meistens flott im Performance-Modus unterwegs, in dem beide Motoren aktiv sind. In dieser Preisklasse dürften die Mehrkosten von 6600 Euro für das Performance-Paket, das die Leistung um 20 kW anhebt, vermutlich meist keine Rolle spielen. Falls doch: Schon das Grundmodell ist mit seinen 360 kW sicherlich weit mehr als nur ausreichend gerüstet.

Der Verbrauch lag laut Bordcomputer bei rund 27 kWh/100 km. Polestar nennt im WLTP zwischen 22,1 und 23 kWh. Das scheint in der Praxis durchaus erreichbar, wobei daran erinnert sei, dass im Zyklus die Ladeverluste inkludiert sind. Polestar verbaut eine Batterie mit einem Energiegehalt von 107 kWh netto. Im von uns gefahrenen Modell reicht das unter den Bedingungen des Zyklus für 561 km. Versprochen werden 250 kW maximale Ladeleistung, was für eine Spannungsebene von 400 Volt viel ist, und eine Zeit von 30 Minuten, um die Batterie von 10 auf 80 Prozent zu laden – unter optimalen Bedingungen, versteht sich. Das entspricht in diesem Fenster einer durchschnittlichen Netto-Ladeleistung von rund 150 kW. Leider verpasst es Polestar, dem E-SUV wenigstens optional einen 22-kW-AC-Lader mit auf den Weg zu geben. Es bleibt an Wechselstrom bei 11 kW.

Polestar 3 (10 Bilder)

Die Auslieferungen des Polestar 3 starten noch in diesem Jahr. Nur wer das LiDAR-System haben will, muss sich bis Mitte 2025 gedulden.
(Bild: Polestar )

Nicht optimal erscheint die Sitzposition für große Fahrer. Sie ist etwas zu hoch, und der Kopf kommt der Tür gefühlt ziemlich nahe. Die Sessel selbst bieten etwas zu wenig Seitenhalt, zumindest gemessen am Anspruch, ein besonders dynamisches SUV anzubieten. Platz ist vorn wie hinten reichlich, was man von einem 4,9 m langen Auto mit einem Radstand von 2,99 m auch erwarten darf. Eher enttäuschend fällt das Kofferraumvolumen aus. Polestar nennt 484 Liter, in denen 90 Liter unter dem Ladeboden schon inkludiert sind. Hinzu kommen 32 Liter unter der vorderen Haube.

Volvo und Polestar sind global kleine Firmen. Sie hätten es schwer, allein im Bereich Infotainment mit den Großen in der Branche mitzuhalten. Es ist daher nur logisch, dass sie als Basis für ihre Software Android Automotive nutzen. Wie in anderen Testwagen überzeugt das auch hier: Eingaben werden reaktionsschnell abgearbeitet, alle wichtigen Funktionen sind integriert. Was fehlt, lässt sich über den Appstore meistens nachrüsten. Lade- und Routenplanung gehören zum besten, was es derzeit zu kaufen gibt. Die Datenkrake Google wird vielfach zu Recht kritisiert, liefert allerdings mit Android Automotive eine Basis, gegen die viele herstellereigene Lösungen in diesem Bereich amateurhaft erscheinen.

Der Polestar 3 wird ab 85.590 Euro angeboten, für das von uns gefahrene Modell mit Performance-Paket sind 92.190 Euro fällig. Der Konfigurator offeriert derzeit nur wenige Extras, die zudem in Paketen zusammengefasst sind, die sich zum Teil gegenseitig voraussetzen. Das Plus-Paket mit Soundsystem und aktiver Geräuschdämmung (6000 Euro) ist nur zusammen mit dem Pilot-Paket (2800 Euro) zu haben. In Letzterem sind eine Reihe von Assistenten enthalten. Es braucht also nicht viele Klicks im Konfigurator, um den Listenpreis sechsstellig werden zu lassen.

Ab 2025 will Polestar auch ein LiDAR-System von Luminar ausliefern, das der Kunde schon heute für 5000 Euro Aufpreis bestellen kann. Auch hier kommt der Aufpreis des Pilot-Paketes noch hinzu. Geworben wird damit, dass die Fahrerassistenzfunktionen des Polestar 3 auf eine neue Stufe gehoben würden und dass das System Objekte auf eine Entfernung von bis zu 250 m erkennen könne. Viel konkreter wird die Marke noch nicht. Grundsätzlich ist aber vorstellbar, dass auch Polestar hochautomatisiertes Fahren auf Level 3 anbietet. Der Fahrer muss in einem exakt definierten Szenario das Fahren nicht mehr überwachen, allerdings bereit sein, nach ein paar Sekunden das Steuer gegebenenfalls wieder zu übernehmen.

(mfz)