Probefahrt Elektroauto VW ID.Life: Studie zeigt künftige Kleinwagen-Strategie

Volkswagen will sein Angebot an kleinen Elektroautos ab 2023 deutlich ausbauen. Einen Vorgeschmack darauf liefert die Studie ID.Life, die wir fahren konnten.

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VW ID.Life
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Inhaltsverzeichnis

Die aktuelle Situation muss Volkswagen enorm schmerzen: Die batterieelektrischen Drillinge VW e-Up, Skoda Citigo iV und Seat Mii electric wären die großen Gewinner der Innovationsprämie, wenn der Konzern denn genügend liefern könnte. Doch die Produktionskapazitäten sind bis zum geplanten Ende der Baureihe erschöpft, keine der drei Marken nimmt überhaupt noch Bestellungen an. Kurzfristig wird sich die Situation nicht entspannen, langfristig plant der Konzern mindestens einen batterieelektrischen Nachfolger. Auf der IAA Mobility stellte Volkswagen die Studie ID.Life vor, die einen ersten Vorgeschmack darauf liefert, wie solche Modelle grundsätzlich konzipiert sein könnten. Wir konnten eine Probefahrt mit dem ID.Life unternehmen.

Zunächst einmal ist wichtig, dass die Studie mit dem Serienmodell nicht zwangsläufig etwas gemein haben muss, auch wenn Volkswagen betont: "Mit der Plattform sind wir schon sehr nah an der Serie." Das bezieht sich nicht unbedingt auf Abmessungen und Motorleistung. Mit einer Länge von 4,09 Metern und einer Breite von 1,85 m hat der ID.Life etwa die Abmessungen des gerade überarbeiteten VW Polos. Die eingangs erwähnten Drillinge sind erheblich kleiner.

Volkswagen lässt sich bei seiner Strategie nicht in die Karten schauen, und so bleibt das folgende ausdrücklich eine Spekulation: Es soll ein batterieelektrischer Kleinwagen für rund 20.000 Euro auf den Markt kommen. Es ist möglich, dass VW dabei einen direkten Nachfolger für den Up vorstellt, der dann als ID.1 erheblich kürzer wäre als der ID.Life. Der wiederum dürfte eher den Polo beerben und als ID.2 auf den Markt kommen. Die technische Basis wird vermutlich gleich sein. Was der Konzern tatsächlich vorhat, wird wohl kaum vor Ende nächsten Jahres zu erfahren sein.

VW ID.Life außen (3 Bilder)

Auf unserer Probefahrt fuhr sich der ID.Life handlich und komfortabel.

Dass die aktuelle Studie nur ein zarter Hinweis auf das Serienmodell ist, deutet auch die Motorleistung an. 172 kW sollen es sein, was in beiden denkbaren Klassen vermutlich zu viel des Guten wäre. VW selbst nennt 6,9 Sekunden im Standardsprint, was sich nicht nachvollziehen lässt, denn der Testwagen, der ja tatsächlich nur eine Studie ist, wird bei 40 km/h eingebremst.

Ob Volkswagen den Preis von rund 20.000 Euro halten kann, hängt maßgeblich auch an der Speicherbestückung. Damit ist nicht nur der Energiegehalt gemeint, der in der Studie bei 57 kWh liegt, sondern auch die Kostenentwicklung bei den Batterien und die Art der Zellen. Sehr wahrscheinlich wird Volkswagen in dieser preissensiblen Klasse auf LFP-Zellen setzen, die sich vergleichsweise günstig herstellen lassen.

Dann wird auch die Frage zu klären sein, ob es in einem Auto, das vor allem für kurze Strecken gedacht ist, in der Grundausstattung eine Reichweite von 400 km sein muss. Das verspricht VW für den ID.Life. Für den Verkauf wäre das ein starkes Argument, im Einsatzprofil vieler Kunden dagegen ziemlich unnötig.

Unterwegs fällt im ID.Life auf, dass ein Lenkrad ohne vollständigen Kranz nicht die beste Idee der Innenraumgestalter war. Dafür beeindruckt das Fahrwerk schon jetzt. Auf einer steinigen Schlechtwegestrecke filterte die Feder-Dämpfer-Kombination alles bis auf ein angenehmes Maß heraus. Dabei hilft auch ein vergleichsweise langer Federweg. Der ID.Life ist in seinen Proportionen ohnehin kein klassischer Kleinwagen: Die Bodenfreiheit ist mit 19 cm größer als in dieser Klasse üblich, die Gesamthöhe des Autos mit 1,6 m erst recht.

VW ID.Life Technik (3 Bilder)

Die grundsätzlichen Entscheidungen sind schon gefallen: Die Batterie wird rund 50 kWh haben und auf LFP-Zellen setzen.

Auffällig auch, wie klein trotz des Frontantriebs der Wendekreis ist, der ID.Life vermittelt den Eindruck enormer Handlichkeit. Dazu wirkt er leise, was natürlich auch daran liegt, dass mit dem Konzeptauto eben nur 40 km/h möglich sind. Dazu kommt ein sehr gutes Platzangebot: Selbst hinten sitzen Erwachsene halbwegs passabel, was in dieser Klasse nicht selbstverständlich ist.

Die Studie ist natürlich noch etwas verspielter, als es das Serienmodell sein wird. Eine Front mit angedeutetem LED-Grill und eine Motorhaube aus Stoff werden es nicht in die finale Fassung schaffen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit gilt das auch für das Stoffdach, das sich entfernen lässt. Schade eigentlich, für die Serienfertigung aber viel zu teuer. Denn Volkswagen will mit den kleinen Autos ja tatsächlich Geld verdienen.

VW ID.Life Innenraum (3 Bilder)

Der Innenraum wirkt modern, nicht unbedingt funktional.

Auch im Innenraum dürfte der Abstand zu dem, was später in den Verkaufsräumen steht, ziemlich groß sein. Der Holzrahmen, der Dach, A-Säulen und Armaturenbrett optisch verbindet, sieht schick aus, würde aber jedes Budget sprengen. Ein Kombiinstrument gibt es nicht mehr, stattdessen werden Informationen nur noch über ein Head-up-Display ausgegeben. Auf dem mit Stoff bezogenen Cockpit wird ein Handy befestigt, über das alle wesentlichen Funktionen bedient werden, in das Holz sind Touchflächen eingelassen – ein Trend, der auch schon im Honda e und im BMW iX zu sehen ist.

Über Touchflächen auf dem Lenkrad wird sogar bestimmt, ob das Auto vor- oder rückwärts fahren soll. Ablageflächen, Lüftungsdüsen oder Ähnliches gibt es nicht. Das alles wirkt modern und entschlackt, aber kaum funktional genug, um in einem Serienauto eine Chance auf breite Akzeptanz zu haben. Und genau auf diese setzt Volkswagen. Denn dass man über lange Zeit nicht liefern kann, was Kunden haben wollen, dürfte den Druck auf die Verantwortlichen derart erhöhen, dass der Konzern sich wohl mit Macht zurückmelden wird.

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(mfz)