Studie warnt vor Regulierungsfreistellung der Telekom bei Breitbandnetzen

Laut dem Ökonomen Paul Welfens kann sich angesichts signifikanter Marktmacht wirksamer Wettbewerb nur entfalten, wenn der Zugang zum Hochgeschwindigkeitsnetz des Altmonopolisten gewährleistet bleibt. Sonst seien Hunderttausende Arbeitsplätze in Gefahr.

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In den Streit um die von der Bundesregierung geplante Freistellung des Hochgeschwindigkeitsnetzes der Deutschen Telekom von der Regulierung hat sich nun auch der Konkurrent AOL Deutschland eingeschaltet. Eine von dem Onlinedienst in Auftrag gegebene Studie zum Thema "Digitale Dienstleistungsgesellschaft: Innovations-, Wachstums- und Beschäftigungsdynamik" kommt zu dem Ergebnis, dass "effiziente Regulierungsmaßnahmen in einer Marktwirtschaft für nachhaltigen Wettbewerb gerade in der Telekommunikationswirtschaft wesentlich sind". Die "Regulierungsferien" für das Netz der Telekom, das VDSL-Anschlüsse mit bis zu 50 MBit/s beim Endkunden ermöglichen soll, könnten die positive Entwicklung beim Rückgang der Preise für breitbandige Internetdienste beeinträchtigen. Dies gefährde letztlich die Schaffung Hunderttausender Arbeitsplätze, heißt es in dem Gutachten.

Verfasser der Untersuchung ist der Wuppertaler Wirtschaftsprofessor Paul Welfens, der für AOL bereits 2000 mit die Werbetrommel für eine erschwingliche Internet-Flatrate rührte. Gemeinsam mit seiner Assistentin Dora Borbély hält er in der 63-seitigen Studie fest, dass "bei digitalen Dienstleistungen" ein wirksamer Wettbewerb nur zu erwarten sei, wenn der breitbandige Netzzugang in Ländern mit signifikanter Marktmacht eines Anbieters wie Deutschland durch Regulierung gewährleistet bleibe. Eine zeitliche Freistellung von Auflagen zur Netzöffnung auch für Konkurrenten sei dagegen nur erwägenswert, wenn das Marktumfeld zugleich so angelegt ist, "dass mittel- und langfristig eine deutlich erhöhte Wettbewerbsintensität beim Telekomnetzbetrieb und ein Weniger an Wettbewerbsverzerrungen beim marktbeherrschenden Unternehmen zu erwarten ist".

Grundsätzlich sei zu bedenken, schreibt Welfens in der heise online vorliegenden Analyse, "dass der Ex-Monopolist als vertikal integrierter Anbieter erhebliche Möglichkeiten zur Quersubventionierung hat". Die Telekom sei prädestiniert dafür, mit Bündelangeboten Verluste in einem Sektor wie beim Netzzugang mit Gewinnen in einer weiteren Sparten aufzufangen. Daraus könnten sich Wettbewerbsverzerrungseffekte ergeben. Solange der Altmonopolist als marktbeherrschendes Unternehmen zu gelten habe, müsse die Bundesnetzagentur sorgsam auf das Vermeiden interner Quergeschäfte achten. Je stärker der Ex-Monopolist dagegen im so genannten Resale-Geschäft eigene Dienste und Infrastrukturen auch über Wettbewerber vermarkte, um so eher könne von einer wettbewerbsintensiven Telekommunikationswirtschaft ausgegangen werden.

Da in Deutschland Internetprovider ihre Dienste wegen der Dominanz der Telekom im Ortsnetzbereich noch immer primär über deren Netz an die Kunden führen, ist laut Welfens eine adäquate Regulierung in diesem Sektor besonders dringlich. Der Ökonom geht davon aus, dass die Telekom im Anschlussmarkt auch im Jahr 2006 noch einen Marktanteil von über 90 Prozent beim Festnetz und speziell im DSL-Markt von rund 80 Prozent halten könne.

Gerade aus volkswirtschaftlicher Sicht hält Welfens die diskutierte Regulierungsfreistellung für gefährlich. Normalerweise würde der Regulier "Anreize für eine optimale Nutzung vorhandener Kapazitäten" geben, solange er "vernünftige Bedingungen bei Entbündelung und Wiederverkauf setzt". Mittelfristig bestehe bei unzureichender oder ausbleibender Regulierung dagegen die Gefahr, dass "über einen marktmachtbedingten Preisanstieg die Nutzung digitaler Dienste bei Haushalten und Unternehmen zurückgeht" und die Start- oder Expansionschancen von Firmen in diesem Markt nachhaltig beeinträchtigt würden. So könnten sich als Folge unzureichender Regulierung auch negative Beschäftigungseffekte ergeben. Dabei geht es nicht um Peanuts: Eine von Welfens mit erstellte Simulationsanalyse hat ergeben, dass bei einem relativ starkem Rückgang der Telekomnutzungskosten über einen Zeitraum von acht Jahren rund 700.000 neue Arbeitsplätze in Deutschland entstehen könnten.

"Es ist wenig gewonnen, wenn etwa der Ex-Monopolist einen kurzfristigen Investitions- und Innovationsspurt realisiert", lautet Welfens Resümee. Es sei vielmehr darauf abzustellen, dass ein langfristig funktionsfähiger Wettbewerb in der Telekommunikationswirtschaft erreicht wird. Gleichzeitig hält er eine Vollprivatisierung der Telekom für wünschenswert, um künftige Regulierungsstreitigkeiten einzugrenzen. Aus ordnungspolitischer Sicht sei davon auszugehen, dass Staatseigentum am Ex-Monopolisten Entscheidungen der Wirtschaftspolitik beeinflussen könnte.

Charles Fränkl, Geschäftsführer von AOL Deutschland, pocht angesichts der Ergebnisse der Studie auf eine weitere strenge Regulierung der Telekom und einen "flächendeckenden Zugang zu modernen digitalen Diensten für alle" auch "im Interesse digitaler Chancengleichheit". Für sein Haus habe die Schließung der "digitalen Spaltung" hierzulande weiter oberste Priorität. Wenn ein funktionsfähiger Wettbewerb dazu erforderlich sei, müsse die Politik dafür sorgen.

Zur Auseinandersetzung um die Telekommunikationsregulierung und das geplante VDSL-Netz der Deutschen Telekom siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)