Expertenstreit über Zugang zum Hochgeschwindigkeitsnetz der Telekom

Bei einer Anhörung zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes im Bundestag fanden Sachverständige keine einheitliche Linie zu den geplanten Regulierungsferien für das VDSL-Netz der Deutschen Telekom.

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Bei einer Anhörung zur heftig umstrittenen Änderung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) im Wirtschaftsausschuss des Bundestags fanden Sachverständige am heutigen Montag keine einheitliche Linie zu den geplanten Regulierungsferien für die Deutsche Telekom beim Ausbau ihres Glasfasernetzes für VDSL-Anschlüsse beim Endkunden. Während der Berliner Rechtsprofessor Christian Kirchner die von der Bundesregierung beschlossene Freistellung von der Zugangsregulierung bei "neuen Märkten" unter wirtschaftlichen und auch europarechtlichen Gesichtspunkten für geboten hielt, lehnten der Münchner Wirtschaftsprofessor Arnold Picot und Karl-Heinz Neumann, Direktor des Wissenschaftlichen Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK), diese Vorkehrung entschieden als innovationsfeindlich ab.

Entgegen der Haltung der EU-Kommission ist laut Kirchner bei neu entstehenden Märkten sowie dort, wo über alternative Netze wie das TV-Kabel ein Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Infrastrukturen herrscht, von einer Vorabregulierung "abzusehen". Dies würden sowohl die Rahmenrichtlinie für den Telekommunikationssektor als auch die dazu gehörige Märkte-Empfehlung aus Brüssel vorschreiben. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sei nur vorgesehen, wenn der Verzicht auf eine Regulierung zu einer "Marktabschließung" führen würde. Laut dem Juristen von der Humboldt-Universität ist es daher erforderlich, dass der nationale Gesetzgeber einen klaren Rechtsrahmen für die Förderung von Innovation und Investitionen in neue Netzinfrastrukturen schafft.

Der allgemeine Wettbewerb beruhe dabei darauf, "dass ein Vorreiter mit entsprechenden Vorreitervorteilen investiert". Diese Bevorzugung eines viel Geld in die Hand nehmenden Pioniers beim Netzausbau müsse "für einen gewissen Zeitraum gegeben" sein. Sonst wären Investitionen in neue Netze und darauf aufbauende neue Märkte für TK-Dienstleistungen nicht möglich. Um die Regulierungsferien zu gewähren, müssten der Aufsichtsbehörde dann in einem weiteren Schritt allein Hinweise auf einen neuen Markt aufgrund entsprechender Investitionen in Infrastrukturen oder Netzwerkteile vorliegen.

Einen ausreichenden Anreiz für den begünstigten Investor, seine neue Netztechnik auf privater vertraglicher Grundlage Wettbewerbern dennoch zur Mitnutzung zur Verfügung zu stellen, sieht Kirchner nicht nur aufgrund der damit einhergehenden besseren Auslastung der Kapazitäten. Einen gewissen Druck übe ferner der Vorbehalt aus, dass bei einer Marktabschottung eine Regulierung im Nachhinein doch noch greifen könnte. Anhand dieser Vorüberlegungen empfahl der Jurist den Abgeordneten, ihr Verständnis von "neuen" und "neu entstehenden Märkten" im TKG zu definieren. Zudem sollte der Investor einen Antrag stellen müssen, woraufhin nach möglichst klaren Kriterien die Entscheidung über die vorübergehende Regulierungsfreiheit zu fällen sei.

Einig war sich Kirchner mit anderen Experten, dass langfristig die Konkurrenz zwischen einzelnen Netzinfrastrukturen entscheidend für Innovationen und die Ausbreitung von Breitbandanschlüssen sei. Doch etwa "das Ausrollen der Kabelnetze geht sehr viel langsamer vor sich, als es viele Glanzbroschüren Glauben machen wollen", konstatierte Picot von der Ludwig-Maximilians-Universität. Es bleibe daher momentan nur der Wettbewerb auf dem Kupferader- und Glasfasernetz. Gegen Regulierungsferien für die Telekom spreche zudem, dass es für deren Herausforderer gegenwärtig kaum möglich sei, eine vergleichbare Infrastruktur wie das sich im Aufbau befindliche VDSL-Netz auf die Beine zu stellen. Dafür müsste "all das nachgebaut werden, was bei Telekom schon vorhanden ist" – einschließlich der benötigten Erdarbeiten und Rohrverlegung. Der bisherige "natürliche Monopolcharakter" der Telekom in diesem Bereich würde nur aufgebrochen, wenn die Wettbewerber die vorhandenen Infrastrukturen mitnutzen und durch eigene Technik ergänzen könnten.

Neumann vom WIK führte zugleich aus, dass es generell schwierig sei, einen neuen Markt in die Vorabregulierung "hineinzuhieven". Dazu sei zunächst eine umfassende Analyse des Regulierers erforderlich, ob etwa wie im Fall der Bitstrom-Entscheidung der Bundesnetzagentur Breitbandzugangsleistungen aus Nachfragersicht austauschbar sind oder tatsächlich eine neue Qualität mit sich bringen. Die Telekom habe so generell einen Marktvorsprung bei VDSL. Besser als eine Regulierungsfreistellung ist seiner Meinung nach die Einführung eines "Risikozuschlages" zur Abfederung hoher Investitionen in Form einer ausbezahlten Prämie. Ein Vertreter des Bundesverbands Breitbandkommunikation (BREKO) empfand diesen Vorschlag aber nur für diejenigen Unternehmen interessant, die im Gegensatz zum Großteil der eigenen Mitglieder "nicht mit ins Risiko gehen und keine eigenen Investitionen tätigen wollen".

Laut Arcor-Chef Harald Stöber, der im Namen des Wettbewerberverbands VATM sprach, sind die neuen Mitspieler im Markt sogar gezwungen, in die neuen VDSL-Netze zu investieren. Mit der neuen Technologie gehe auch um die Umrüstung auf das Internetprotokoll, also um eine Netzmodernisierung mit "komplett anderer Kostenstruktur". Für alte Digitaltechniken wie ISDN stelle dagegen schon kaum mehr jemand Vermittlungsstellen zur Verfügung. Es sei daher unverständlich, dass die Telekom-Konkurrenten "jetzt aus dem entbündelten Marktzugang herausgehalten werden" sollen.

Ein Regulierungsbeauftragter des Bonner Telekommunikationskonzerns betonte dagegen erneut, dass man "unter Maßgabe einer nicht zufrieden stellenden Regelung" im TKG gezwungen sei, die Pläne für das VDSL-Netz auf den Prüfstand zu stellen. Unter diesen Umstände wäre es "wesentlich schwieriger", die noch ausstehenden Investitionen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro gegenüber den Kapitalgebern rechtfertigen zu können. Angesprochen auf Berichte über einen weiteren gravierenden Stellenabbau bekundete ein weiterer Konzernvertreter, dass es derartige vom Vorstand abgesegnete Streichlisten nicht gebe. Man halte an der Zusage fest, angesichts eines Regulierungsschutzes für VDSL auf die Kürzung von mehreren tausend Arbeitsplätzen zu verzichten.

Zur Auseinandersetzung um die Telekommunikationsregulierung und das geplante VDSL-Netz der Deutschen Telekom siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)