Vorstellung Studie VW ID.Every1: Der geht in die Breite

Zwei Jahre vor dem Start zeigt VW die Studie eines Kleinwagens mit E-Antrieb. Optisch dürfte er dem Serienmodell näher sein als technisch.

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VW ID.Every1

(Bild: VW)

Lesezeit: 5 Min.
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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Bei VW klafft eine Lücke, und sie schmerzt Kunden und Konzern. Nach mehr als zehn Jahren wurde im Oktober 2023 die Produktion des VW Up eingestellt. Zwar gibt es inzwischen wieder einen VW Polo für knapp unter 20.000 Euro, doch der durchschnittliche Polo-Käufer macht ein paar Tausender mehr locker. Wer da nicht mithalten kann oder will, wandert zur Konkurrenz ab. Das meistverkaufte Auto in der EU ist inzwischen der Dacia Sandero, und mit dem in China gebauten Spring bedient die Marke eine Zielgruppe, die minimalistisch und elektrisch fahren möchte. VW kann diese Lücke kurzfristig nicht schließen, perspektivisch aber will sie das Feld keineswegs der Konkurrenz überlassen. Die Studie ID.Every1 gibt einen ersten Ausblick auf ein Serienmodell, das 2027 kommen dürfte.

Der ID.1, so die bisherige, nicht offizielle Projektbezeichnung, wird etwas größer als der Up, aber kleiner als der aktuelle Polo oder der ID.2. Noch ist das, was VW jetzt zeigt, nicht mehr als eine Studie, doch sie dürfte dem Serienmodell optisch bereits recht nahekommen. Das gilt auch für die Abmessungen. Der ID.Every1 ist 3,88 m lang und 1,49 m hoch. Das entspricht ungefähr den Abmessungen eines aktuellen Mini-Dreitürers, auch der Renault R5 ist ähnlich groß. Ungewöhnlich allenfalls die mit 1,82 m üppige Breite. Das sind rund 17 cm mehr als beim Up, und auch den aktuellen Polo übertrifft die Studie um sechs Zentimeter. Das schafft einerseits Platz für die Batterie. Andererseits wird nicht jeder dieses Wachstum als Fortschritt empfinden – gerade bei einem Auto, das vor allem für kurze Strecken auch in der Stadt gedacht ist. Der Kofferraum ist mit 305 Litern größer als der eines fast 20 cm längeren Opel Corsa Electric.

Optisch überrascht nur wenig. Die Gestaltung geriet so konservativ wie erwartet, doch dass VW sich, für Wolfsburger Verhältnisse, nochmals so weit vorwagt wie einst beim ID.3 haben wohl nur wenige vermutet. Die Studie leistet sich an optischen Spielchen nur ein vertikales Tagfahrlicht, versenkte Türgriffe und 19-Zoll-Felgen samt Reifen mit geringer Flankenhöhe. Insgesamt erscheint die Studie für einen Ausblick auf ein in zwei Jahren kommendes Serienmodell auf den ersten Blick geradezu erstaunlich konventionell. Doch das kann nicht verwundern, schließlich holte VW mit dieser Art der Gestaltung in der Vergangenheit ein breites Publikum ab.

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Selbstverständlich lässt sich VW zwei Jahre vor dem Serienstart auch technisch nicht in die Karten schauen. Die Eckwerte, die der Studie mit auf den Weg gegeben wurden, sind nicht mehr als ein vager Fingerzeig, in welche Richtung es gehen könnte. Der E-Motor leistet 70 kW, die Höchstgeschwindigkeit soll bei 130 km/h liegen. Als neue Begrifflichkeit wird eine Mindestreichweite angegeben, die bei 250 km liegen soll. Weniger als etwa 35 kWh werden es demnach eher nicht sein.

Was schlussendlich im Serienmodell geliefert wird, lässt sich daraus keineswegs ablesen. Ziemlich sicher ist nur eines: VW wird sich auf der Basis des "Modularen Elektrobaukasten Small" alle Optionen offenhalten. Denkbar wäre beispielsweise, sich von der Konkurrenz mit einem leicht überdurchschnittlichen Energiegehalt in der Batterie abzusetzen. Die setzt an der Basis aktuell oft auf 40 bis 45 kWh. Wenn 10 kWh mehr nur noch 500 Euro ausmachen, könnte es einigen Verantwortlichen den Versuch wert sein, in dieser Hinsicht zu glänzen und sich diesen Mehrwert vom Kunden gewinnsteigernd honorieren zu lassen. Mit einer guten Vorkonditionierung und einem 22-kW-AC-Lader stünden weitere Möglichkeiten der Profilierung bereit. All das sind optimistische Spekulationen, doch VW hätte die Chance, in dieser Hinsicht zu überraschen.

Studie VW ID.Every1 (7 Bilder)

Die Gestaltung der Studie ID.Every1 insgesamt ist wenig ĂĽberraschend. Das wiederum ĂĽberrascht nicht: VW war mit einer konservativen Form in der Vergangenheit extrem erfolgreich. (Bild:

VW

)

An anderer Stelle wird der Hersteller zumindest ein wenig konkreter. Das Serienmodell des ID.Every1 wird der erste VW, der auf einer gemeinsam mit Rivian entwickelten Software-Architektur aufbauen wird. Auf Wunsch erhalte das Auto über den gesamten Lebenszyklus neue Funktionen, verspricht VW. Auch nach dem Kauf lasse es sich individuell an die Bedürfnisse anpassen. Wie andere Hersteller hofft auch VW einerseits auf eine langfristige Kundenbindung, andererseits selbstverständlich auf eine weitere Einnahmequelle auch von Besitzern, die irgendwann einen älteren ID.1 fahren.

Spannend wird es beim Preis: Der Kleinwagen soll in Europa gebaut werden und in Grundausstattung weniger als 20.000 Euro kosten. Damit wäre VW in einem wachsenden Umfeld vermutlich wieder im Spiel. Entscheidend dafür wird, was VW für diese Summe technisch unterbringen kann. Unter anderem mit Renault Twingo und Citroën ë-C3 stehen perspektivisch ähnlich konzipierte Konkurrenten bereit. Auch Dacia will in diesem Segment nicht beim aktuellen Spring belassen und hat die Aussicht auf einen in Europa produzierten E-Kleinwagen für rund 18.000 Euro angekündigt. Das dürfte spannend werden, denn in einem Segment mit geringen Margen hat letztlich nur der Hersteller eine Chance, der über hohe Stückzahlen Skaleneffekte nutzen kann. Zumindest in dieser Hinsicht sollte der Vielmarken-Konzern Volkswagen durchaus eine Chance haben.


(mfz)