Siemens schließt das "Kapitel Kommunikation"

Im Jahr 1847 entwickelte Werner von Siemens seinen Zeigertelegraphen und revolutionierte damit die moderne Kommunikation. Mehr als 160 Jahre später trennt sich Siemens vom letzten Überbleibsel aus den Anfangstagen.

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Von
  • Daniel Schnettler
  • dpa

Im Jahr 1847 entwickelte Werner von Siemens seinen Zeigertelegraphen und revolutionierte damit die moderne Kommunikation. Statt kurzer und langer Morsezeichen kamen beim Empfänger nun Buchstaben und ganze Wörter an. Die Erfindung setzte sich durch, überall in Europa entstanden Telegraphenlinien, später Telefonnetze. Und Siemens verdiente jedes Mal mit – der Grundstein für einen Weltkonzern war gelegt. Heute, mehr als 160 Jahre später, trennt sich Siemens vom letzten Überbleibsel aus den Anfangstagen. Der letzte Schritt: Der Konzern gibt die Telefonproduktion – bekannt für ihre Gigaset-Schnurlostelefone – an die Beteiligungsgesellschaft ARQUES ab.

"Wir schließen das Kapitel Kommunikation bei Siemens", sagte Finanzchef Joe Kaeser. Zeichen von Rührung suchte man vergeblich. Für Nostalgie ist in einer globalisierten Welt kein Platz mehr. Auch Siemens muss Geld verdienen, will der Konzern gegen die Konkurrenten aus Europa, Amerika, Japan und immer mehr auch aus China bestehen. Und mit Kommunikationstechnik haben die Bayern zuletzt eher Verluste eingefahren.

Noch vor zwei Jahren war die Kommunikationssparte namens COM, in der auch der Siemens-Schmiergeldskandal seinen Ausgangspunkt hatte, der größte Brocken im Siemens-Universum. Das Geld verdienten jedoch andere im Unternehmen. Mehrere Jahre schon dauerte der Niedergang an. Schließlich zog der damalige Konzernchef Klaus Kleinfeld die Notbremse – er löste COM kurzerhand auf. Das Geschäft mit Mobilfunk- Ausrüstungen gaben die Münchener unter finnische Führung in das Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks, die Funkmodule gingen ebenso wie die Telefonanlagen mehrheitlich an Finanzinvestoren.

In einer Pleite endete die Trennung vom Handygeschäft; nach einem Jahr drehte der neue taiwanesische Besitzer der inzwischen unter BenQ Mobile firmierenden Ex-Tochter den Geldhahn zu. Die Folge: Tausende Mitarbeiter verloren ihre Arbeit, Siemens viel Geld und Ansehen.

Beim Gigaset-Hersteller SHC geht der Konzern nun auf Nummer sicher, genauso wie er es am Wochenanfang mit seiner Telefonanlagen-Tochter SEN gemacht hat: Beide Unternehmen haben vor ihrer Weggabe eine kräftige Kapitalspritze bekommen, die neuen Besitzer mussten weitreichende Arbeitsplatz-Garantien abgegeben und zu guter letzt bleibt Siemens jeweils noch als Minderheitseigner beteiligt. Für den "Fall des Falles", wie es Finanzchef Kaeser ausdrückte, stellt Siemens bei SHC auch noch einen Millionenkredit zur Verfügung.

"Siemens hat bei den Verhandlungen starken Wert darauf gelegt, dass wir den Mitarbeitern eine gute Perspektive in einem starken Unternehmen mit Zukunft bieten", lobte der neue Herr im Gigaset-Haus, ARQUES-Chef Michael Schumann, seinen Geschäftspartner. Selbst die IG Metall, Verkäufen gegenüber sonst eher skeptisch eingestellt, zeigte sich erleichtert: "Mit dem Verkauf entsteht jetzt Klarheit für die Beschäftigten. Die quälende Hängepartie findet endlich ihr Ende." 2100 Menschen sind von dem Verkauf betroffen, 1650 davon in Deutschland. Zwei Jahre lang sind ihre Arbeitsplätze aber weitgehend sicher.

Dass die Telefontochter als letztes Überbleibsel der Kommunikationstechnik keine Zukunft im Siemens-Konzern haben würde, stand seit Monaten fest. Die Münchener konzentrieren sich auf ihre drei großen Standbeine Industrie, Energie und Medizintechnik. Alle anderen Geschäfte haben da keinen Platz mehr, werden verkauft, geschlossen oder in Gemeinschaftsunternehmen ausgelagert. An den Produkten selbst kann der Rauswurf aus dem Konzern dabei nicht immer liegen, sagte Finanzchef Kaeser doch: "SHC hat – davon bin ich überzeugt – die besten schnurlosen Telefone der Welt."

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(Daniel Schnettler, dpa-AFX) / (jk)