Selbstfahrende Autos: US-Regierung drückt auf die Tube

Plötzlich geht es schnell: In den letzten Monaten seiner Amtszeit will das Team um Barack Obama das Fundament für die Einführung autonomer Fahrzeuge legen. Das soll Leben retten. Unausgesprochen bleibt das Ziel, Asien und Europa zu überrunden.

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Anthony Foxx

Archivbild des US-Verkehrsministers Anthony Foxx

(Bild: Daniel AJ Sokolov<br>)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis
Vom vernetzten zum autonomen Auto

In ungewohnter Eile hat die US-Regierung ihre Rahmenbedingungen für die Einführung selbstfahrender Autos vorgestellt. Anstatt die Vorgaben zuerst zu konsultieren, beginnt die 60-tägige Phase, in der Stellungnahmen eingereicht werden können, erst jetzt. Selbst die gesetzlich vorgeschriebene Evaluierung hinsichtlich Bürokratieabbau steht noch aus. Aber es eilt Obamas Team, für welches das letzte Quartal der Amtszeit vor der Tür steht. Sie wollen mit der Förderung autonomer Fahrzeuge Menschenleben retten und einen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz aus Asien und Europa sichern.

Für Verkehrsminister Anthony Foxx ist der Status Quo unbefriedigend: "Zu viele Leute sterben", sagte er bei der Präsentation der neuen Richtlinien am Dienstag. Zudem gebe es eine Rekordzahl (un)sicherheitsbedingter Fahrzeug-Rückrufe. Für ihn sind hochautomatisierte Fahrzeuge (Highly Automated Vehicles, HAV) in einer dauerhaften "Kultur der Sicherheit" die Lösung. "Es ist der umfassendste nationale Plan für autonome Fahrzeuge, den wir je gesehen haben", sagte Foxx. "Er bringt uns von der pferdelosen Kutsche zum fahrerlosen Auto."

Colleen Sheehey-Church, National President der US-Organisation Mütter gegen Alkohol am Steuer (MADD), wies darauf hin, dass fast ein Drittel aller Straßentoten in den USA auf Alkohol am Steuer zurückzuführen seien. Selbstfahrende Autos würden diese Opfer nicht fordern. Henry Claypool von der Universität Kalifornien in San Francisco sprach die Hoffnungen der Menschen mit Behinderungen an. Millionen seien derzeit "isoliert und abgeschottet von ihren Gemeinschaften, einfach weil es für sie keine brauchbaren Transportmöglichkeiten gibt."

Jim Conway, General i.R., erklärte: "Während meines jahrzehntelangen Dienstes im US Marine Corps habe ich die gigantische Bürde aus erster Hand erlebt, die die Abhängigkeit von Erdöl auf unser Militär darstellt. Sowohl in Ressourcen als auch in Menschenleben." Er ist jetzt bei der Organisation Securing America's Future Energy tätig, die sich für den Ausbau US-eigener Energiequellen einsetzt. SAFE hofft, dass gleichzeitig mit der Einführung autonomer Fahrzeuge auch ein Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor einhergeht.

Der neue Regulierungsrahmen

Das am Dienstag veröffentlichte Hauptdokument ist in vier Kapitel gegliedert. Das erste Kapitel widmet sich Fahrzeugsicherheit und Datenschutz. Das zweite Kapitel soll die einzelnen US-Staaten dazu animieren, sich auf einheitliche Rechtsvorschriften zu verständigen, um ein Wirrwarr zu vermeiden.

Kapitel drei erläutert, wie die nationale Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA ihre bestehenden Befugnisse einzusetzen gedenkt. Und Kapitel drei listet mögliche neue Regulierungswerkzeuge auf – ein Bittbrief an den Gesetzgeber, also.

Bei der Frage, was genau ein autonomes Fahrzeug ist, orientieren sich die US-Behörden am SAE-Standard J3016. Diese Taxonomie kennt sechs Stufen, die Mindestanforderungen für Betriebsarten beschreiben. Ab Level 3 (Conditional Automation) wird der Mensch in bestimmten Fahrzeugbetriebsarten auf eine Beobachterrolle reduziert. In der höchsten Stufe, Level 5, kann das Gefährt immer alles alleine. Der Mensch kann allerdings noch etwas tun, wenn er denn möchte. Die neuen US-Vorgaben konzentrieren sich auf die Level 3 bis 5, Teile gelten aber auch noch für Level 2.

Die größte mediale Aufmerksamkeit erfährt derzeit die in Kapitel 1 von den Herstellern geforderte Sicherheitsanalyse. Sie umfasst 15 Teile: Speicherung und Weitergabe von Daten, Datenschutz, Systemsicherheit, IT-Sicherheit des Fahrzeugs, Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine, Crashtests, Information und Training von Verbrauchern, Registrierung und Zertifizierung, Verhalten des Fahrzeugs unmittelbar nach einem Unfall, Einhaltung und absichtliche Überschreitung von Rechtsnormen, Ethik, Betriebsbedingungen, Erkennung von Objekten und Ereignissen und entsprechende Reaktionen, Fall Back zur Risikominimierung bei Störungen und schließlich Testmethoden.

Das berühmte Googlemobil hat zwar kein Lenkrad mehr, aber noch Fußpedale.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Zu jedem der 15 Punkte macht die Behörde Auflagen. Beispielsweise sollen auch autonome Fahrzeuge die selben Crashtests bestehen müssen, wie herkömmliche KFZ. Und die zusätzlich eingebauten Sensoren sollen für die Entwicklung neuer Sicherheitssysteme genutzt werden.

Zum Thema Datenschutz wird gefordert, dass die Fahrzeugeigner die Wahl haben sollen bezüglich der Sammlung, Verwendung, Weitergabe, Speicherung und Dekonstruktion von Daten, darunter Ortsangaben, biometrische Daten und Fahrverhalten, sofern das mit vernünftigem Aufwand auf die Person zurückgeführt werden kann. Überhaupt sollen Daten nur für den Zweck verwertet werden, für den sie erhoben wurden, und sie sollen möglichst anonymisiert, minimiert und nicht länger als notwendig aufbewahrt werden.

Hersteller werden aufgefordert, zu jeder Variante jeden Fahrzeugtyps ein Dokument einzureichen, das den Stand der Entwicklung zu jedem der 15 Punkte zusammenfasst. Dabei sollen sie zu jedem Punkt bestätigen, ob ihr Fahrzeug den Anforderungen entspricht, nicht entspricht oder ob der Punkt nicht anwendbar ist.

Colleen Sheehey-Church kämpft gegen Alkohol am Steuer. Ohne Steuer wäre das Problem weitgehend gelöst.

(Bild: MADD)

Das Dokument soll mindestens vier Monate vor dem ersten Test auf öffentlichen Straßen eingereicht werden, was für eine agile Entwicklung sehr lange sein kann. Derzeit sind diese Auflagen unverbindlich, weil in der kurzen Zeit keine verbindlichen Auflagen erlassen werden konnten. Solche sind aber in Vorbereitung. Im Streitfall hätten die jetzigen Richtlinien vor Gericht aber durchaus Gewicht.

Wenn etwas unklar ist, können die Hersteller um Klärung bitten. Die NHTSA möchte solche Fragen binnen sechzig Tagen beantworten. Außerdem sind Anträge auf Ausnahmen von den geltenden Bestimmungen für KFZ möglich, etwa wenn ein Fahrzeug ohne Lenkrad und Bremspedal auskommen soll. Dabei muss der Antragsteller begründen, wie die Ausnahme die Verkehrssicherheit erhöhen würde. Die Behörde möchte solche Anträge binnen sechs Monaten bearbeiten. Für die NHTSA ist das ein großer Fortschritt, für die im Wettbewerb stehenden Fahrzeugbauer kann das immer noch eine halbe Ewigkeit sein.

(ds)