Eva im Paradies

Fahrbericht Energica Eva

Als Energica die Ego brachte, war das so ein "ja, aber". Für ein Superbike war sie viel zu schwer. Die Naked-Variante Eva jedoch schafft es irgendwie, mit ihrem Gewicht herrliches Bigbike-Feeling zu vermitteln

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Energica Eva 19 Bilder
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Energicas erstes Motorrad war ein Superbike, die Ego. Als ich diese Maschine 2014 das erste Mal fuhr, war klar, wie schwer sie es haben würde: 258 kg gab die Firma aus dem Fahrzeug-Traditionsgebiet Modena damals an, und wenn wir die technisch fast identische Naked-Version Eva anschauen, könnte das verschämt untertrieben gewesen sein, denn die Eva wiegt mit dem einzigen Unterschied "weniger Verkleidung" 280 kg. Für ein Superbike war das ein krasses Übergewicht. Für ein nacktes Big Bike wie die Eva passt es besser. Denn was der Traditionalist Elektrofahrzeugen gern abspricht, hat die Eva im Überfluss: einen ganz eigenen, unverwechselbaren Charakter. Bei Sportwagen oder Motorrädern wünschen sich die Käufer genau so etwas.

Tiefes Gewicht

Schon kurz nach dem Aufsteigen wird klar, was diese Italienerin vor allem verlangt: nachdrücklichen Krafteinsatz. Viele Cruiser sind ja genauso schwer oder schwerer, aber bei Cruisern sitzt das Gewicht eben tief, wie im Stehaufmännchen. In der Eva ragt die schwere Batterie hoch hinauf bis unter die Tankattrappe. Das muss man erst einmal vom Ständer hieven. Um das Rangieren zu erleichtern, dreht der Motor auch langsam rückwärts und beim Umschalten dann ebenso langsam vorwärts, damit ein Stolperer eben nicht das Motorrad per unabsichtlichem Gaszupfer wegschießen lässt wie einen Flummi. Die Eva hat nämlich wie die meisten Elektrokräder keine Kupplung. Erst ein langer Druck auf den Starter-Knopf schaltet den Gasgriff wieder auf den Fahrbetrieb scharf – gut mitgedacht.

Nach dem Losfahren auf kalten Reifen sträubt sich die Eva überraschend stark gegen Schräglage, in die sie mit einigem Nachdruck geworfen werden will. Wärmt die Karkasse durch, lenkt sie williger ein, immer jedoch mit spürbarem Krafteinsatz. Trotz des hohen Gewichts, das die Auslegung der Feder-Dämpfer-Elemente erleichtern sollte, arbeitet das Standard-Fahrwerk gelegentlich etwas stöckerig. Energica bietet Interessenten Öhlins-Komponenten an, die wir jedoch noch nicht ausprobieren konnten. Ich denke insgesamt, Bigbike-Freunde finden hier genau die Art Motorrad, die sie suchen.

I did it my way

Zwar montiert Energica der Eva eine gute Bremsanlage, mit der dreistufig einstellbaren elektrischen Bremse fährt man jedoch erstens effizienter und zweitens entsteht damit eine ganz eigene Form von Alpenpass-Spaß: Am Gasgriff weit vorausschauend die Geschwindigkeit dosieren, anpeilen, kräftig umlegen und das feinst dosierbare Drehmoment des herrlichen Motors genießen. Vor allem in engen Wechselkurven (die Motorrad prägte hierfür das Wort "Wechselkehre") brilliert die Eva mit ihrer ganz eigenen Dynamik, gleichzeitig sanft und naturgewaltig, wie das Gefühl einer großen Welle, die ungebrochen auf offenem Wasser unter dir hindurchrollt. Auf den Geraden dann zoomt sie dich an Autos vorbei wie mit der Vorspultaste. Großes Kino.

Bei 200 km/h ist auf der elektronisch bei 80 kW kastrierten Eva Schluss, die Ego nutzt mit 107 kW die volle Motorleistung und läuft damit bis 240 km/h weiter. Beide Modelle sind laut Hersteller identisch lang übersetzt. Man könnte die Eva also mit geringem technischen Aufwand noch stärker beschleunigen lassen. Wirklich als nötig empfand das aber trotz des hohen Gewichts bisher niemand. Im Gegenteil: Wer von seinem Verbrenner vergleichbaren Schub fordert, muss den schon ganz schön hoch drehen.

Bei den Autos mitmachen

In den Bergen bei zügiger Fahrweise kann die Reichweite auf unter 100 km fallen. Energica gibt 150 km an, die man sicher bei glatterer Fahrweise zum Beispiel im Mittelgebirge auch erreichen kann. Der Akku ist mit 11,7 kWh für ein Motorrad groß dimensioniert. Das eigentliche Alleinstellungsmerkmal der Energicas liegt jedoch darin, dass die Italiener Platz für einen CCS-Stecker gefunden haben und der Elektronik Gleichstrom-Schnellladen als Fähigkeit mitgaben. Die Eva lädt also mit bis zu 18 kW (DC) an der wachsenden Anzahl von Auto-Schnellladern, was ihren Einsatzradius gegenüber der Konkurrenz deutlich erhöht. Das kommende Modell-Update soll dann 20 kW vertragen. In der Praxis fühlen sich die üblicherweise anfallenden 15 bis 20 Minuten am Schnelllader nicht so schlimm an, wie sie sich für mich in der theoretischen Textform anhörten. An Wechselstrom lädt die Eva einphasig mit maximal 3,6 kW.