Bundestagswahl 2017: Union und SPD verlieren stark - Union vorne, SPD in der Opposition, AfD drittstärkste Kraft

Die Wahl zum Deutschen Bundestag 2017 ist gelaufen. Spannend bleibt nicht nur, wie die künftige Bundesregierung aussieht - sondern auch, welche Politik etwa bei Digitalisierung, Netzpolitik und digitalen Bürgerrechten verfolgt wird.

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Bundestagswahl 2017 - Erste Prognose:

Nächtliche Illumination am Reichstagsgebäude, dem Sitz des Deutschen Bundestags.

(Bild: Sebastian Heitzmann, Public Domain (Lizenz Creative Commons CC0))

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Jürgen Kuri
Inhaltsverzeichnis

Die Bundesbürger haben abgestimmt, die Wahl zum Deutschen Bundestag 2017 ist gelaufen. In der nächsten Legislaturperiode sind insgesamt 7 Parteien im deutschen Parlament vertreten: CDU und CSU (in der gewohnten Fraktionsgemeinschaft), SPD, Grüne, Linke, FDP, AfD.

Nach der Hochrechnung auf Basis der Auszählung der Wahllokale kommt bei der ARD (infratest dimap) die CDU/CSU auf 33,0 Prozent (- 8,5 Prozentpunkte), die SPD auf 20,7 Prozent (- 5,0 Prozentpunkte), die AfD auf 13,0 Prozent (+ 8,3 Prozentpunkte), die FDP auf 10,6 Prozent (+ 5,8 Prozentpunkte), die Grünen auf 8,9 Prozent (+ 0,5 Prozentpunkte) und die Linke auf 9,0 Prozent (+ 0,4 Prozentpunkte).

Nach der Hochrechnung des ZDF (Forschungsgruppe Wahlen) kommt die CDU/CSU auf 32,8 Prozent (- 8,7 Prozentpunkte), die SPD auf 20,7 Prozent (- 5,0 Prozentpunkte), die AfD auf 13,2 Prozent (+ 8,5 Prozentpunkte), die FDP auf 10,4 Prozent (+ 5,6 Prozentpunkte), die Grünen auf 9,1 Prozent (+ 0,7 Prozentpunkte) und die Linke auf 9,0 Prozent (+ 0,4 Prozentpunkte).

Zu beachten: Der Bundeswahlleiter führt die Ergebnisse von CDU und CSU in der Grafik getrennt auf.

Zu beachten: Der Bundeswahlleiter führt die Ergebnisse von CDU und CSU in der Grafik getrennt auf.

Zu beachten: Der Bundeswahlleiter führt die Ergebnisse von CDU und CSU in der Grafik getrennt auf.

Am frühen Montagmorgen teilte der Bundeswahlleiter dann auch das vorläufige amtliche Endergebnis mit: Danach fiel die Union auf ihr schwächstes Ergebnis seit 1949: 33 Prozent (- 8,5 Prozentpunkte). Die SPD stürzte auf ein Rekordtief von 20,5 Prozent (- 5,2 Prozentpunkte). Die AfD, 2013 noch knapp gescheitert, legt mit 12,6 Prozent auf knapp das Dreifache zu (+ 7,9 Prozentpunkte). Die FDP kehrt mit 10,7 Prozent in den Bundestag zurück (+ 5,9 Prozentpunkte). Die Linken verbuchen 9,2 Prozent (+ 0,6 Prozentpunkte), die Grünen 8,9 (+ 0,5 Prozenpunkte). Durch Überhang- und Ausgleichsmandate ist der Bundestag mit 709 Abgeordneten in der neuen Wahlperiode so groß wie nie zuvor. Die Sitzverteilung sieht nach Angaben des Bundeswahlleiters so aus: CDU/CSU: 246 Mandate, SPD: 153, AfD: 94, FDP: 80, Linke: 69, Grüne: 67. Die Wahlbeteiligung betrug 76,2 Prozent (2013: 71,5).

Damit hat die AfD ihr Ziel, drittstärkste Kraft im Parlament zu werden, nach beiden Prognosen erreicht. Erst einmal unklare Merhheitsverhältnisse dürfte es trotzdem geben, solange nicht einfach wieder eine große Koalition angestrebt wird – die sowohl SPD als auch CDU/CSU im Vorfeld der Wahlen als eher ungeliebte Option bezeichnet haben und die angesichts der Verluste beider Parteien auch nicht gerade populär ist.

Thomas Oppermann, bislang Fraktionsvorsitzender SPD im Bundestag, kündigte bereits nach der Bekanntgabe der ersten Prognose an, die SPD werde in die Opposition gehen - damit hätte lediglich eine Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen (Jamaika-Koalition) eine Mehrheit. Der derzeitige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hält allerdings die schnelle Absage der SPD an die Fortsetzung der Großen Koalition für falsch. "Die richtige Lehre aus so einem Wahlergebnis ist, dass man eine Nacht darüber schläft, sich seiner Verantwortung für das Land bewusst ist und dann die richtigen Entscheidungen trifft", sagte Schäuble im SWR-Fernsehen. Das Land brauche eine stabile Regierung und keine schnelle Erklärung, wer was ausschließt.

Alexander Gauland von der AfD stimmte schon mal auf den Tonfall ein, den die AfD im Parlament anschlagen wird: Man werde Merkel und die anderen Parteien jagen. Die AfD, die von der Mehrheit der Befragten als rechtsradikale Partei eingestuft wird, werde sich "unser Land und unser Volk" zurückholen: "Wir werden dieses Land verändern."

Rund 61,5 Millionen Deutsche waren zur Wahl aufgerufen, die Wahlbeteiligung lag laut ARD bei 75,6, laut ZDF bei 76,5 Prozent; bei der letzten Bundestagswahl 2013 lag die Wahlbeteiligung bie 71,5 Prozent. Letzte Umfragen sahen die Union zwischen 34 und 36 Prozent. Die SPD stand bei 21 bis 22 Prozent. Die AfD lag zwischen 11 bis 13 Prozent, die Linke kam auf 9,5 bis 11, die FDP auf 9 bis 9,5 Prozent. Die Grünen standen demnach bei 7 bis 8 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2013 hatte die Union 41,5 Prozent bekommen, die SPD 25,7 Prozent, die Linke kam auf 8,6, die Grünen erreichten 8,4 Prozent. FDP (4,8) und AfD (4,7) scheiterten jeweils an der Fünf-Prozent-Hürde.

Wahlprogramme 2017

Zusammenfassung der Programme und Positionen der Parteien zu den Themen Digitalisierung und Netzpolitik.

Von Digitalisierung redeten praktisch alle Parteien im Wahlkampf – "Wir wollen nicht im Technikmuseum enden mit Deutschland", hatte Angela Merkel (CDU) erklärt. Und manchmal kam es einem vor, als würde die FDP mit ihrem "Digitalsierung first, Bedenken second" überall offene Türen einrennen. Eigentlich kann man nur hoffen, dass bei der weiteren Digitalisierung Deutschlands in der kommenden Legislatur-Periode die Bedenken eben nicht immer "second" sind, sondern die Debatte über die gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen der Technik, mit der wir schon arbeiten und die uns noch ins Haus steht, auch von der Regierung und im Parlament geführt wird.

Ob dabei ein eigenes Internet- oder Digitalisierungsministerium hilfreich ist, sei dahingestellt: Die Forderung gibt es jedenfalls und sie wird sicher in den Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen. Schlechter als mit Alexander Dobrindts Zuständigkeit für die "digitale Infrastruktur" kann es so oder so kaum noch werden: Dobrindt, dessen Verkehrsministerium diese Aufgabe zugeschlagen wurde, war meistens damit beschäftigt, sich mit PKW-Maut und Reaktion auf den Abgasskandal in ein schlechtes Licht zu setzen, sodass bis auf ein paar weitere Förderprogramme für den Breitbandausbau kaum etwas abfiel. Da half auch die Ernennung der eigentlich netzaffinen CSU-Politikerin Dorothee Bär zur Staatssekretärin in Dobrindts Ministerium wenig.

Für eine Bündelung der bisher auf mehrere Ministerien verteilten Kompetenzen in einem Digitalministerium plädieren etwa Netzpolitiker von CSU, SPD, Grüne und FDP. Ein eigenes Internet-Ministerium fordert gar der Internet-Verband eco. Das werde aber nicht funktionieren, weil es in allen Sachgebieten entsprechendes Know-how geben müsse, schätzt die derzeitige Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD). Derweil verfolgt die Union konkrete Pläne, dafür einen Stabschef direkt im Kanzleramt zu schaffen. "Wir sind überzeugt, dass die Digitalisierung Chefsache ist", sagte Kanzleramts-Chef Peter Altmaier (CDU).

Zur Bundestagswahl 2017

Der Breitbandausbau war auch im Wahlkampf ein Thema, wenn es um die Digitalisierung Deutschlands ging. Mittlerweile können sich auch CDU-Politiker für die Forderung der Grünen erwärmen, weitere staatlichen Anteile an der Deutschen Telekom zu verkaufen, um mit dem eingenommenen Geld den Glasfaserausbau in Deutschland zu forcieren. So ist denn auch zu erwarten, dass sich dieses Thema im künftigen Koalitionsvertrag an zentraler Stelle niederschlägt – wer auch immer diesen Koalitionsvertrag letztlich unterschreiben wird.

Und Bildung? Ja, Bildung, das war wie Digitalisierung bei allen Parteien großes Thema, ob es nun wie bei der SPD auf den ersten Blick etwas missverständlich hieß "Bildung darf nichts kosten. Außer etwas Anstrengung", oder wie bei der FDP "Schulranzen verändern die Welt. Nicht Aktenordner." (Die FDP schien in ihrem Wahlkampf neben dem Wettbewerb für den plakativsten Posterboy auch das Rennen um die sinnfreisten Wahlsprüche gewinnen zu wollen.) Digitale Technik und sinnvolle Lehrkonzepte für die digitale Ära – das sehen Experten als essenziell für Deutschlands Schulen an. Auch Bund und Länder haben hier schon weitgehende Ankündigungen gemacht.

Die aktuellen Hype-Begriffe der IT-Branche (Internet der Dinge, Industrie 4.0, Arbeit 4.0) durften angeischts all dieser Digitalisierungsbegeisterung natürlich nicht fehlen – auch nicht die Warnungen davor, dass Digitalisierung und Roboterisierung Arbeitsplätze gefährden. Was es für die Arbeit der künftigen Bundesregierung und des neuen Parlaments aber heißen soll, dazu fehlten dann aber wieder die konkreten Aussagen. So darf man weiter gespannt sein, in welche Richtung sich die Digitalisierung in Deutschland entwickelt und was sie für die Bürger und die Gesellschaft als Ganzes bedeutet. Zumal digitale Bürgerrechte im Wahlkampf praktisch keine Rolle spielten. Die Grünen versuchten noch etwas das Steuer herumzureißen, nachdem sie in der abgelaufenen Legislaturperiode hier ein ihnen eigentlich angestammtes Feld weitgehend brach liegen ließen. Viel Aufmerksamkeit erregten sie damit im Wahlkampf nicht mehr.

Genausowenig wie mit dem Thema Europa und weiterer Integration der EU – nicht einmal das von Kommissonspräsident Juncker vorgelegte Programm für einen weiteren Ausbau der EU unter anderem mit einem eigenen Finanzkommissar und einem gemeisamen Chef von Kommission und Rat lockte die Wahlkämpfer hinter ihrem deutschen Ofen hervor. Eigentlich hatte man gerade von Martin Schulz, dem ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments, einen engagierteren Europa-Wahlkampf erwarten können. Aber weit gefehlt.

Mit der heutigen Bundestagswahl ging ein etwas seltsamer Wahlkampf zu Ende, der immer wieder als langweilig und ohne echte Auseinandersetzung kritisiert wurde – aber auf der anderen Seite von Vielen als eher raue Angelegenheit empfunden wurde. Dass die immer wieder befürchteten Hackerangriffe ausblieben und auch von Social Bots verbreitete Fake News praktisch keine Rolle spielten. Auch die Panikmache der Bild-Zeitung in letzter Minute ("WÄHREND DEUTSCHLAND WÄHLT: Russen-Accounts pushen AfD-Kampagne") änderte noch etwas daran, dass der Wahlkampf, was Gefahren und Chancen der digitalen Methoden anging, in recht ruhigen Bahnen verlief.

Vorbei warne allerdings die Zeiten, als ein Bundeskanzler überwiegend mit Beifall empfangen wurde. Wer die beiden Wahlkampfauftritte von Angela Merkel in Annaberg-Buchholz und Torgau erlebte, fühlte sich in aufgeheizter Stimmung unwohl. "Der Wahlkampf ist insgesamt rauer geworden. Wir haben mit vielen Plakatzerstörungen, Sachbeschädigungen und Fakenews im Internet zu kämpfen", sagt die Parteichefin der sächsischen Grünen, Christin Melcher.

Insgesamt hatten die Wahlkämpfer vor allem von SPD und CDU immer wieder mit teils von Rechten organisierten Pfeiff- und Brüllkonzerten auf ihren öffentlichen Veranstaltungen zu kämpfen. Und auch die AfD brachte immer wieder mit gezielten Provokationen das Blut der Wahlkämpfer in Wallung.

Von dem auch immer wieder groß angekündigten Online-Wahlkampf war auch nicht viel zu bemerken. Da halfen auch die Interviews bzw. Gesprächsrunden von Angela Merkel und Martin Schulz mit Youtubern nicht. Einzig die AfD versuchte mit rasanten Facebook-Auftritten und eigens eingerichteten Seiten wie der von der US-Agentur Harris entwickelten "Merkel - die Eidbrecherin" das Netz in größerem Ausmaß als bislang für sich zu nutzen.

Wie die politische Ausrichtung Deutschlands in den nächsten vier Jahren aussehen wird, darüber wird es erste Hinweise geben, wenn die Koalitionsverhandlungen ausgestanden sind und der Koalitionsvertrag unter Dach und Fach ist. Ebenso spannend wird aber sein, wie denn die bislang schon im im Bundestag vertretenen Parteien mit den zu erwartenden und teilweise bereits angekündigten Provokationen der AfD im Parlament umgehen werden.

[Update 24.09.2017 18:19]:

Die Zahlen der ersten Prognose wurden durch die Ergebnisse der ersten Hochrechnungen von ARD und ZDF ersetzt.

[Update 24.09.2017 18:48]:

Ergebnisse mit den Werten der neuesten Hochrechungen aktualisiert.

[Update 24.09.2017 19:26]:

Ergebnisse mit den Werten der neuesten Hochrechungen aktualisiert.

[Update 24.09.2017 20:42]:

Ergebnisse mit den Werten der neuesten Hochrechnungen aktualisiert. Die Zahlen der Hochrechnungen schwanken nur noch sehr gering in den Nachkommastellen - und auch die erste Prognose direkt nach Schließung der Wahllokale lag sehr nah an den sich immer weiter stabilisierenden Hochrechnungen. Das vorläufige amtliche Endergebnis auf Basis aller ausgezählten Wahlkreise wird durch den Bundeswahlleiter aller Voraussicht nach noch im Laufe des Abends beziehungsweise in der Nacht zum Montag verkündet.

[Update 24.09.2017 21:21]:

Ergebnisse mit den Werten der neuesten Hochrechungen aktualisiert.

[Update 25.09.2017 07:40]:

Der Bundeswahlleiter hat mittlerweile das vorläufige amtliche Endergebnis bekannt gegeben, das sich kaum von den letzten Hochrechnungen unterscheidet. Die Ergebnisse wurden in den Artikel aufgenommen.

(jk)