Sternzeichen E

Studie: Mercedes Vision EQS

Mercedes nennt den EQS ein Showcar. Es ist der direkte Ausblick auf eine batterieelektrische Luxuslimousine, die 2021 oder 2022 auf den Markt kommen wird. Die Motorleistung liegt bei „über 350 kW“, und die Reichweite soll „bis zu 700 Kilometer“ betragen

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Mercedes Vision EQS 10 Bilder

(Bild: Daimler)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer

Mercedes hat – besonders in den USA – Kunden verloren, weil die Marke keine batterieelektrische Luxuslimousine im Angebot hat. Mit dem Vision EQS ändert sich das. Das Auto ist zwar als Showcar deklariert, wird aber in ähnlicher Form tatsächlich in den Verkauf gehen. 2021, sagen die einen, 2022 die anderen. Formal erinnert der EQS eher an eine moderne Interpretation des CLS als an eine S-Klasse. So oder so: Das ist der elektrische Mercedes der nahen Zukunft.

Wie immer, wenn das Design im Vordergrund steht, besingt die Pressestelle das mit einzigartigen Formulierungen. Da ist von einem „majestätischen Auftritt“ die Rede und von der „idealen Harmonie“ aus „luxuriöser Großzügigkeit und aerodynamischer Ästhetik“. Sehen und urteilen Sie einfach selbst.

Dekarbonisierung bis 2039

Mercedes bekennt sich neuerdings auch zur Strategie „Ambition 2039“. Bis zu diesem Jahr soll die gesamte Flotte des Herstellers klimaneutral sein. Um das Dekarbonisierungsziel zu erreichen, ist es unerlässlich, die Lieferantenkette mit einzubeziehen. In einem ersten Schritt sollen die Batteriezellen für den EQS teilweise(!) mit Strom aus erneuerbaren Quellen produziert werden. Auch die Menschenrechte bei der Förderung der Rohstoffe soll verstärkt beachtet werden. Bis 2039 sind es 20 Jahre oder, in Industriemaßstäben gedacht, drei Autozyklen.

Um den gehobenen Ansprüchen der Kunden im Premiumsegment gerecht zu werden, soll die kombinierte Elektromotorleistung der beiden kompakten Antriebe im EQS bei über 350 kW liegen. Wie so oft bei visionären Fahrzeugen verwendet auch Mercedes die Worte „über“, „bis zu“ und „maximal“, wenn es um die technischen Daten geht. Man bleibt im Ungefähren und hält sich offen, tief- oder hochzustapeln.

So gibt Mercedes das Drehmoment der E-Maschinen mit zusammen rund 760 Nm und die Zeit für den Standardsprint mit unter 4,5 Sekunden an. Die Höchstgeschwindigkeit soll bei über 200 km/h liegen. Die Kraft für diesen Vortrieb liefern Batterien, deren Zellen bei der Deutschen Accumotive zu Systemen von rund 100 kWh zusammengefügt werden.

„Bis zu“ 700 Kilometer Reichweite

Dass aus dieser Kapazität eine „komfortable Reichweite von 700 Kilometern nach WLTP“ erzielt werden soll, ist reichlich optimistisch. Eine tabellarische Aufstellung ergänzt „bis zu“ als korrekte Einordnung – Hypermiling aus der Pressestelle. Ebenfalls äußerst zuversichtlich ist die angegebene Gleichstrom-Ladeleistung von 350 kW. Damit soll die Batterie „in deutlich weniger als 20 Minuten wieder zu 80 Prozent“ geladen sein. Die bisher höchste nominale Ladeleistung erzielt der Porsche Taycan mit 270 kW. Es wird interessant sein zu sehen, ob auch Mercedes statt auf 400 auf 800 Volt Batteriespannung setzt.

Mercedes will, das ist offensichtlich, weltweit die klassische Klientel abholen. Dass der gute Stern auf allen Straßen ein Tesla Model S zumindest nach diesen vorläufigen Daten nicht übertrifft, dürfte zweitrangig sein. Ein Mercedes steht immer auch für Solidität und Service – zwei der wunden Punkte des kalifornischen Über-Start-Ups.

In der Vorabmitteilung betont Mercedes mehrfach die angestrebte Klimaneutralität sowie Nachhaltigkeitspartnerschaften. Vieles davon befindet sich aber noch im Ideenstadium. So heißt es, Mercedes-Benz hätte eine potenzielle Recyclingquote von 85 Prozent. Was wirklich passiert, bestimmt der Gesetzgeber, der zum Beispiel bei den Batterien heute erst 50 Gewichtsprozent fordert. Viel zu wenig. Der Strom für den Vortrieb jedenfalls an den Säulen von Ionity, dem gemeinsamen 350 kW-Schnell-Ladenetzwerk von BMW Group, Daimler AG, Ford Motor Company und Volkswagen AG, stammt aus erneuerbaren Energien. Wäre das nicht der Fall, würde es übrigens auch keinen Fördercent vom Staat für den Aufbau der Infrastruktur geben.

Immersion im Innenraum

Ein weiterer interessanter Aspekt und ein Blick auf kommende Mercedes-Modelle dürfte auch der Innenraum („Advanced MBUX“) sein. Was sich einstmals Armaturenbrett nannte, ist nun eine durchgehende Fläche, auf der sich „digitale Inhalte immersiv“ (also zwischen virtueller Wirklichkeit und Realität verschwimmend) erleben und durch Berührung steuern lassen. Der Übergang zwischen Oberflächenmaterial und Touchscreen soll unmerklicher werden, und wahrscheinlich wird die Zahl der Bedienpaneele ansteigen. Beim Porsche Taycan sind es vier, bei Mercedes könnten es noch mehr werden.

Denkt man sich die überfrachtete Sprache der Marketingabteilung, die extrem großen Räder und allzu digitale Innenraumspielereien weg, hat man die Serienversion des Mercedes EQS fast vor Augen. Mercedes macht endlich ernst mit bei den batterieelektrischen Sportlimousinen. Vielleicht zuerst widerwillig. Jetzt aber hoffentlich konsequent. (chlo)