Abgas-Skandal: Was das BGH-Urteil in Sachen Volkswagen bedeutet

Der BGH hat ein wegweisendes Urteil gegen Volkswagen gesprochen. Was bedeutet das für Autokäufer und andere potenziell sittenwidrige Autos?

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Was bedeutet das BGH-Urteil in Sachen VW?

(Bild: Volkswagen)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Brian Scheuch
Inhaltsverzeichnis

Seit Volkswagen eine illegale Abschalteinrichtung für die Abgasnachbehandlung in Fahrzeugen mit dem Motor Typ EA189 verwendet hatte, kam eine exorbitant hohe Klagewelle gegen den Konzern ins Rollen. Zehntausende Klagen sind derzeit immer noch gegen Volkswagen anhängig. Streitig im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung im Rahmen der Rückabwicklung waren insbesondere die Fragen:

  • War der Mangel erheblich, sodass er einen Rücktritt vom Kaufvertrag rechtfertigte?
  • Steht dem Kunden ein Schadensersatzanspruch zu?
  • Müssen sich gezogene Nutzungen (gefahrene Kilometer) im Rahmen der Rückabwicklung anrechnen lassen?
  • Wer ist der Anspruchsgegner? Der jeweilige Händler oder Volkswagen?

Bewegung kam zusätzlich mit der Musterfeststellungsklage ins Spiel. Die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und Volkswagen haben einen Vergleich geschlossen, bei dem Volkswagen in etwa 830 Millionen Euro an seine betroffenen Kunden zahlen musste. Die Entschädigungen betragen zwischen 1350 bis 6257 Euro pro Fall. Der Vergleich war vor allem für jene Kunden interessant, die einen aufwendigen und kostspieligen Prozess vermeiden wollten.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 25. Mai 2020 festgestellt, dass Käufern eines vom Abgasbetrug betroffenen Fahrzeuges ein Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung) zusteht. Dies ist in der Regel der Brutto-Kaufpreis. Der Käufer muss sich jedoch die gefahrenen Kilometer anrechnen lassen. Der Schaden besteht nach Ansicht des BGHs bereits in der abstrakten Gefahr der Stilllegung des Fahrzeuges oder dass dieses im Betrieb beeinträchtigt sein könnte.

Das erstinstanzliche Landgericht Bad Kreuznach wies die Klage eines Gebrauchtkäufers gegen Volkswagen noch ab. Nach Ansicht des Landgerichts bestand zwischen dem Käufer und Volkswagen keine Vertragsbeziehung, sodass vertragliche Ansprüche, insbesondere solche aus dem Kaufrecht, ausschieden. Auch eine deliktische Haftung sei ausgeschlossen, da Volkswagen nicht in Bereicherungsabsicht gehandelt habe. Nach Auffassung des Gerichts lag keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vor.

Das Oberlandesgericht Koblenz sah dies anders und verurteilte Volkswagen zur Zahlung. Nach Auffassung des OLG Koblenz hatte Volkswagen durch das Inverkehrbringen der eingesetzten Abgaseinrichtung eine entsprechende Täuschungshandlung verübt. Diese Täuschung wurde entweder aktiv unterstützt oder zumindest bewusst nicht unterbunden. Die beklagte Volkswagen AG muss sich dabei das Handeln ihrer Mitarbeiter zurechnen lassen. Der Bundesgerichtshof folgte nun überwiegend dieser Auffassung des OLG Koblenz.

Geschädigte Kunden, die ein Fahrzeug mit dieser illegalen Abgasvorrichtung erworben haben, haben gegenüber Volkswagen einen Anspruch auf Schadensersatz – in der Regel den Bruttokaufpreis, wenn sie im Gegenzug das Fahrzeug zurückgeben. Voraussetzung ist, dass ein Fahrzeug mit der betroffenen Abgasvorrichtung erworben wurde und der Anspruch noch nicht verjährt ist. Ausschlaggebend für den Schadensersatzanspruch ist zunächst der Fahrzeugkaufpreis, abzüglich der gefahrenen Kilometer.

Die Verjährung im Rahmen des Abgasbetrugs ist juristisch umstritten. Grundsätzlich gilt die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB. Diese beträgt drei Jahre. Problematisch ist hierbei der Beginn der Verjährungsfrist. Die Verjährungsfrist beginnt gemäß § 199 BGB mit dem Ende des Jahres „in dem:

  1. der Anspruch entstanden ist und
  2. der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.“

Entscheidend hierbei ist die Frage, wann die Käufer Kenntnis von den „Anspruch begründenden Tatsachen erlangt haben“. Hier spalten sich nun die Meinungen:

a) Kenntnis mit Berichterstattung: 2015 wurde der Abgasskandal öffentlich. Geht man daher vom Jahr 2015 und der „regelmäßigen Verjährung aus“, hätten Käufer die Ansprüche gegen Volkswagen bis zum 31.12.2018 geltend machen müssen.

b) Kenntnis mit Informationsschreiben: Andere setzen beim Beginn der Verjährung auf die Informationsschreiben von Volkswagen, in denen sie die betroffenen Kunden entsprechend informiert haben. Die Informationsschreiben erreichten Kunden von 2016 – 2017. Demnach hätten Ansprüche bis zum 31.12.2019 oder 31.12.2020 geltend gemacht werden müssen.

c) Kenntnis mit dem Urteil des BGHs: Eine neuere Auffassung geht davon aus, dass die Kenntnis erst mit dem ersten Urteil des Bundesgerichtshofs entstanden ist, daher erst im Jahr 2020, sodass Kunden ihre Ansprüche nach der regelmäßigen Verjährungsfrist bis zum 31.12.2023 geltend machen könnten. Diese Frage ist noch nicht abschließend geklärt. Ein Verjährungsbeginn mit dem Urteil des BGHs anzunehmen scheint jedoch zweifelhaft. Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften ist es gerade, Rechtssicherheit und -frieden zu schaffen. Spätestens mit den Informationsschreiben an die betroffenen Kunden dürfte mit einer Kenntnisnahme zu rechnen sein.

d) Hemmung der Verjährung: Unter Umständen bleibt noch die Hemmung der Verjährung. Diese kann einerseits mit dem Beitritt der Musterfeststellungsklage erzielt worden sein, durch Vergleichsverhandlungen mit Volkswagen oder mittels Klageverfahren oder Mahnbescheid. Die Hemmung endet in der Regel jedoch sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Die Annahmefrist des Vergleiches endete zum 30.04.2020, sodass spätestens bei Nichtannahme des Vergleichs die Ansprüche binnen sechs Monaten noch geltend gemacht werden müssen.

e) Teilweise 10-jährige Verjährungsfrist: Teilweise wird zudem angenommen, dass im Falle von Volkswagen nicht die „regelmäßige Verjährung“ gilt, sondern erst nach 10 Jahren gemäß § 852 BGB. Ob dieser Fall hier einschlägig ist, bleibt offen bzw. ist noch nicht höchstrichterlich geklärt.