E-Autos klimaschädlicher als Verbrenner? – Kritik an IfW-"Policy Brief" +Update

Eine These des IfW Kiel unterstellt der E-Mobilität die CO2-Emission der Kohleverstromung. Danach stößt ein E-Auto 73 % mehr CO2 aus als Diesel-Pkw.

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Klimaschädlich: Der IfW-"Policy Brief"

Braunkohle-Grube Neurath/Garzweiler bei Jüchen.

(Bild: Clemens Gleich)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Fördern wir die Falschen? Ja, behauptet das Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) und meint das Elektroauto. Autor Ulrich Schmidt vom IfW schreibt in einem "Policy Brief", dass alle Berechnungen, nach der Elektroautos tendenziell und über den Lebenszyklus betrachtet klimafreundlicher als vergleichbare Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor sind, so nicht richtig sind. "Die große Fehlkalkulation" ist das Papier vom IfW überschrieben. Beim Umstieg von einem Diesel-Pkw auf ein Elektroauto würden die CO₂-Emissionen um 73 Prozent steigen, heißt es in der Erklärung.

Die Zahlen, die das IfW in der "korrigierten Berechnung zur Klimabilanz" nutzt, sind teilweise nachvollziehbar und plausibel. Würde die Gesamtfahrleistung aller Autos in Deutschland von rund 631 Milliarden Kilometern im Jahr mit Elektroautos zurückgelegt werden, stiege der Stromverbrauch bei einem angenommenen Durchschnittsverbrauch von 15 kWh/100 km um rund 95 Terawattstunden (TWh) oder gut 18 Prozent an. Ähnliche Zahlen sind in etlichen Studien zu finden, wo meistens mit dem gesamten Kraftfahrzeugverkehr und 120 oder mehr TWh/a gerechnet wird.

So weit, so gut. Kernargument des IfW ist nun, dass jeder Mehrverbraucher in Gestalt eines Elektroautos das Zurückfahren der Kohlestromproduktion verhindert. Heute, so sagt es das IfW-Papier, könnte jede zusätzliche Kilowattstunde aus erneuerbaren Energien direkt zur Reduzierung der Kohleverstromung genutzt werden. Die Schlussfolgerung des IfW: "De facto fahren Elektroautos eigentlich mit 100 Prozent Kohlestrom", woraus sich 300 g CO₂/km im Vergleich zu 173 g bei einem Diesel-Pkw ergeben würden. Berechnungsgrundlage ist also ein Kraftwerk, das zwei Kilogramm CO₂ pro kWh Strom emittiert.

Es wäre möglich und trotzdem zu simpel, ausschließlich die Zahlen in dieser Berechnung zu überprüfen, zu bestätigen oder zu widerlegen. Der Durchschnittsverbrauch eines Elektroautos von 15 kWh / 100 km inklusive Ladeverlusten und Autobahnbetrieb zum Beispiel ist reichlich optimistisch. Die Emissionen des Kohlestroms dagegen sind ungefähr doppelt so hoch wie in Deutschland üblich. Wichtiger sind die Grundannahmen des Papiers. Und hier gibt es einige krude Denkansätze:

Wenn Klimaschutz das Ziel ist, bleibt die Frage völlig offen, wie mit Otto- und Dieselmotoren ein substanzieller Beitrag geleistet werden kann. Hierzu gibt es im IfW-Papier schlicht keinen Entwicklungspfad.

Auch ist nicht verständlich, warum von einem quasi über Nacht stattfindenden Totalaustausch des deutschen Fuhrparks ausgegangen wird. Selbst, wenn sämtliche Neuwagen batterieelektrisch fahren würden, bräuchte es über 15 Jahre, bis die Flotte sich weitgehend mit Strom bewegen würde. Eine Zeitspanne, in der sich der Anteil erneuerbarer Energie an der Stromproduktion wegen des niedrigen Preises und der Betriebssicherheit stetig erhöhen wird.

Als Drittes kommt hinzu, dass Elektroautos eine Lebensrealität sind, die auf niedrigem Ausgangsniveau ein hohes Wachstum verzeichnet. Das passiert international, und es gilt so oder so, diese Veränderung politisch und gesellschaftlich aktiv zu gestalten.

Problematisch bleibt, und das bestreiten die Apologeten der Elektromobilität nicht, dass die Sektorkopplung – also der Umstand, dass neben Autos auch Hausheizungen und andere Verbraucher mit Strom betrieben werden – mit einem erheblich größeren Gesamtverbrauch einhergeht. Von heute circa 600 TWh könnte der Jahresbedarf auf über 1500 TWh steigen.

"Wir brauchen eine Strategie, um klimaneutral zu werden", erklärt dazu Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energieversorgung an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin. Und die vermisst er bei der Bundesregierung. Deren Aktivität reiche nicht im Ansatz aus, um die Energiewende zu gestalten, kritisiert Quaschning. "Wir müssen den Ausbau erneuerbarer Energien erheblich steigern".

Hierzu schlägt der Hochschullehrer als Erstes vor, bestehende Hindernisse zum Beispiel für Photovoltaikanlagen zu beseitigen. "Hier gibt es bereits durch pures Entrümpeln großes Verbesserungspotenzial", sagt Quaschning. Die Abschaffung der Eigenverbrauchsumlage sei ein Beispiel für eine schnell erreichbare Entbürokratisierung und Verbesserung.

"Elektroautos sind im heutigen Strommix nur tendenziell, aber nicht substanziell besser", stellt Volker Quaschning auf Basis von Berechnungen wie der von Agora Verkehrswende fest. Die Reaktion darauf könne jedoch nicht sein, weiter mit Verbrennungsmotoren zu fahren – nur der massive Ausbau der Stromproduktion durch erneuerbare Energien hilft nachhaltig.

Unterdessen hat das Fraunhofer ISI eine Stellungnahme veröffentlicht, in der etliche Details des IfW-"Policy Brief" als ungenau oder verdreht entlarvt werden. Das Institut ist unzufrieden, weil es vom IfW zitiert wird. So wirft das Fraunhofer ISI dem IfW unter anderem vor, die CO₂-Emissionen von Diesel- und Elektro-Pkw falsch verglichen zu haben; statt 173 g CO2/km für den Selbstzünder müssten es 180, 195 oder 215 g CO2/km sein. Außerdem hält es die Aussage für abwegig, dass 2050 noch 40 Prozent des EU-Strommixes auf fossilen Ressourcen kommen. In Deutschland stammen aktuell bereits über 55 Prozent aus erneuerbaren Quellen.

[Update vom 24. Juni, 18h30] Inzwischen hat Studien-Autor Schmidt vom IfW eine Replik zur Stellungnahme des Fraunhofer ISI veröffentlicht. [/Update]

Zurück zum Papier des IfW in Kiel. Etwas versteckt im Fazit findet sich eine einzelne sinnvolle Idee: Die Förderung der Elektromobilität als klimapolitisches Instrument sei "nicht zwangsläufig negativ", so Autor Schmidt. Der Verkehrssektor müsse in den europäischen Emissionshandel integriert werden, dann würde man durch die Steigerung der Elektromobilität eine CO₂-Reduktion in der Industrie erzwingen. Hier spricht das IfW einen Punkt an, der leider zwischen Polemik, Effekthascherei und Ungenauigkeiten zur "großen Fehlkalkulation" unterzugehen droht. Davon abgesehen sind die Aussagen keine brauchbare Diskussionsbasis.

(fpi)