Digital Services Act: Upgrade fürs rechtliche Betriebssystem von Facebook & Co.

Plattformen müssen die Vorgänge in ihren Maschinenräumen mit dem Gesetz für digitale Dienste transparenter gestalten, loben Experten. Es gibt aber auch Kritik.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 8 Kommentare lesen
Digital,Contents,Concept.,Social,Networking,Service.,Streaming,Video.,Nft.,Non-fungible

(Bild: metamorworks / Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die auf EU-Ebene gefundene Übereinkunft beim Digital Services Act (DSA) hat viele Unterstützer. Der Kampf gegen illegale Inhalte und "Hate Speech" im Netz sowie der Schutz der Nutzer sei heute wichtiger denn je, verdeutlichte etwa der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW). Er befürworte daher das Gesetz für digitale Dienste prinzipiell als überfällig. Es bestehe aber auch "die Gefahr für erhebliche Einschränkungen und Rechtsunsicherheiten für Unternehmen" vor allem im Umgang mit Design-Tricks wie "Dark Patterns". Sollten die Restriktionen hier für alle Firmen im Anwendungsbereichs des DSA gelten, "würde das der digitalen Wirtschaft massiv schaden".

Als zeitgemäß und zukunftsfähig bezeichnet der BVDW den Kompromiss beim Kinder- und Jugendschutz. Ein Verbot gezielter "datenbasierter Werbung" gelte bei Minderjährige wohl nur, "wenn die Betreiber von Online-Plattformen positive Kenntnis davon haben", dass die Nutzung des Angebots durch eine Person unter 18 Jahren erfolgt. Unternehmen stünden damit nicht vor der Herausforderung, selbst einschätzen zu müssen, "wer vor dem Endgerät sitzt".

Selbst den Bann der Verarbeitung sensibler Daten bei personalisierter Werbung hält der Verband für richtig, zumal ein solcher bereits in der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) angelegt sei. Der IT-Verband Bitkom kann mit der Einigung an diesem Punkt ebenfalls leben: Er begrüßt, "dass personalisierte Werbung in sozialen Netzwerken weiterhin ermöglicht wird". Wichtig sei, dass der Rechtsrahmen auch in der Praxis funktioniere und gleichzeitig der Plattformökonomie "Entfaltungsspielraum für Innovationen lässt".

Insgesamt sei der DSA eine gute Nachricht für die Konsumenten, heißt es beim Beuc, dem Dachverein der europäischen Verbraucherschutzorganisationen. Neue Pflichten für Plattformen, die Legitimität ihrer Geschäftskunden zu überprüfen, Transparenzanforderungen und Optionen für Nutzer, den Grad der Personalisierung von Empfehlungssystemen zu wählen, seien genauso begrüßenswert wie die Gewährleistung wirksamer Rechtsmittel. Bedauerlich sei, dass das Gesetz "nicht die gesamte Bandbreite an Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Aktivitäten auf Online-Marktplätzen enthält". Es fehlten Haftungs- und Schadenersatzpflichten, wenn Kunden etwa ein "unsicheres Produkt" angedreht bekämen.

Für Amnesty International stellt der DSA "einen Wendepunkt in der Geschichte der Internetregulierung dar". Big-Tech-Plattformen wie Facebook und Instagram sowie YouTube müssten damit erstmals "systemische Risiken" ihrer Dienste wie die Befürwortung von Hass und die Verbreitung von Desinformation bewerten und bewältigen sowie die Blackbox ihrer Algorithmen öffnen. Die Gesetzgeber hätten aber die Chance verpasst, "alle invasiven, auf Überwachung basierenden Werbepraktiken" abzuschaffen, "um die Rechte der Menschen auf Privatsphäre, Datenschutz und Nichtdiskriminierung wirklich zu wahren". Der Erfolg hänge nun von einer "rigorosen" Durchsetzung ab.

Die Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi) äußerte sich ähnlich und sprach von einem "ersten Schritt in die richtige Richtung". Etwa beim Vorgehen gegen Dark Patterns wäre mehr drin gewesen.

"Mit dem Digital Services Act (DSA) und dem schon länger ausverhandelten Digital Markets Act (DMA) legt die Europäische Union einen neuen globalen Standard zur Regulierung der Digitalwirtschaft vor", bewertet der Stuttgarter Medienrechtler Tobias Keber das Paket. "Die als Verordnung konzipierten und daher unmittelbar anwendbaren Vorgaben stellen das rechtliche Betriebssystem für digitale Dienste auf eine gänzlich neue Version um."

Kerber lobt, dass Facebook, Google, Amazon & Co. mit dem DSA die "Vorgänge in ihren Maschinenräumen" transparenter und nachvollziehbarer gestalten müssten. Zudem werde mit den Schranken für Dark Patterns "neben dem insoweit defizitär aufgestellten Datenschutzrecht" jetzt eine Regel etabliert, die es den großen Unternehmen zumindest schwerer machen solle, Nutzer zu übervorteilen.

Als "hochbrisant" schätzt der Professor dagegen den auf den letzten Metern eingefügten Mechanismus zur Reaktion auf Krisen ein. Dieser werde es unter Umständen erlauben, im Falle eines Notstands "erhebliche Eingriffe in die Meinungs- und Informationsfreiheit zuzulassen". So dürften etwa als Desinformation oder Propaganda bewertete Inhalte von Plattformen – wie aktuell im umstrittenen Fall RT und Sputnik – nicht weiterverbreitet werden. Völkerrechtlich müssten Staaten Kriegspropaganda zwar unterbinden. Medienrechtlich sei in Europa aber eigentlich ein freier Informationsfluss vorgesehen.

Als "bedeutsamen neuen Rechtsakt" beschreibt auch Matthias Kettemann, der in Hamburg und Innsbruck Medientheorie erforscht und lehrt, den DSA. Das Gesetz werde "in vielen Bereichen der Internetkommunikation für mehr Fairness, Rechtssicherheit und Rechenschaftspflicht" sorgen. Gerade für deutsche Nutzer, die schon Erfahrungen mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz hätten, handle es sich aber um "keine Revolution". Neu sei etwa: Plattformen müssten besser moderieren, ihre Regeln klarer gestalten und "professioneller mit Beschwerden umgehen".

Der Bundesminister für Digitales, Volker Wissing, (FDP), nannte die Übereinkunft einen "Meilenstein". Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) freute sich: "Nun ist der Weg frei für einheitliche Vorgaben für soziale Netzwerke und andere Online-Plattformen in Europa." Sie dürften Beiträge künftig nicht mehr willkürlich entfernen und müssten ihre Löschentscheidungen auf Antrag überprüfen. Morddrohungen, aggressive Beleidigungen und Aufrufe zu Gewalt hätten auf den Portalen nichts mehr zu suchen.

Sven Giegold (Grüne), Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, hob hervor, dass die EU mit der Verordnung "weltweit die schärfsten Standards für ein freies und demokratisches Internet" schaffe. Dies sei "nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und den damit einhergehenden Desinformationskampagnen" wichtig. "Der DSA bietet eine Sicherheitsstruktur gegen unrechtmäßige Inhalte, ohne willkürlich die Meinungsfreiheit zu gefährden", erklärte die Vorsitzende des Digitalausschusses im Bundestag, Tabea Rößner. Kritisch bewertete die Grüne die gestaffelten und komplexen neuen Aufsichtsstrukturen.

Politiker von SPD, CDU und der Linken im EU-Parlament begrüßten die Übereinkunft. Der Vorsitzende der Linksfraktion, Martin Schirdewan, wies darauf hin, dass der Kompromiss den ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission etwa mit Teilverboten spionierender Werbung "deutlich" verbessere. Dies räumte sogar die für Digitales zuständige Vizepräsidentin der Brüsseler Regierungsinstitution, Margrethe Vestager, ein. Sie fügte hinzu: "Die Demokratie ist zurück."

(bme)