Missing Link: Von Corona-Patenten, mRNA-Open-Sourcing und öffentlichen Gütern

In der Pandemie ist niemand sicher, bevor alle sicher sind. China und Afrika arbeiten an alternativen mRNA-Plattformen – vielleicht sogar an einer offenen.

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(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Europa und die USA haben sich mit dem Vorschlag einer zunächst auf Covid-Impfstoffe beschränkten Patentfreigabe durchgesetzt. Statt der ursprünglich von 100 Ländern unterstützten einfachen Patentfreigabe-Regelung verabschiedete die Welthandelsorganisation nach mehr als 48 Stunden Verhandlungsmarathon die von den reichen Ländern verwässerten Lösung. Der Verzicht auf einen geregelten Wissenstransfer zur Bekämpfung einer Pandemie kostet etwa den Fahrt aufnehmenden afrikanischen mRNA-Hub rund 36 Monate mehr Zeit für den Start der Impfstoffproduktion.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Wie ein Krimi zogen sich die Verhandlungen des ersten Ministertreffens der Welthandelsorganisation in Genf seit vier Jahren in die Länge. Bis in die Nachtstunden wurde am Dienstag dieser Woche gerungen. Am Mittwoch wurde die Konferenz in Genf um einen Extra-Tag verlängert. Teil des ersten Verhandlungspakets des ersten Ministertreffens der WTO seit 2017 war die lange diskutierte Freigabe von Verfahrens- und Substanzpatenten für Covid-Impfstoffe.

Ursprünglich von Südafrika und Indien im Oktober 2020 vorgeschlagen, sollte der mindestens temporäre Verzicht auf geistiges Eigentum die Produktion und Verteilung von Impfstoffen, Covid-Medikamenten und diagnostischen Produkten weltweit ankurbeln.

Die EU gehörte zusammen mit der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und den USA zu den Gegnern, auch wenn die Biden Administration sich vor gut einem Jahr zu Verhandlungen bereit erklärte. Viererverhandlungen zwischen Südafrika, Indien, den USA und der EU brachten die jetzt verabschiedete Kompromissformel. Bis zuletzt wehrte sich das Vereinigte Königreich gegen den Text.

Was verabschiedet wurde, hat allerdings wenig mit der ursprünglich vorgesehenen Patentausnahme zu tun, sagt Ellen ‘t Hoen, Anwältin und Expertin für öffentliche Gesundheit. ‘t Hoen hat 2009 den von der UN unterstützten Medizin Patent Pool mit gegründet, der zur Lizenzierung Patent geschützter Medikamente gegen Aids ins Leben gerufen wurde.

"Das ist allenfalls eine mikroskopische Ausnahme. Im Prinzip ist das fast ein Rückschritt, gemessen an den Flexilibitäten, die den Staaten im TRIPS Agreement (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums, d. Red.) zugestanden werden", so ‘t Hoen.

Denn der von den Ländern mit großen mRNA-Patentinhabern entworfenen Text beschränkt Pandemie-bedingte Ausnahmen zumindest vorerst allein auf den Patentschutz. Der könnte für die rasche Herstellung von Generika-Medikamenten zwar wirksam sein, so ‘t Hoen, nur die sind ebenso wie Diagnostika ausgeschlossen.

Für die komplexeren Vakzine dagegen bedarf es neben dem Ruhen von Patenten auch eines Transfers von Know-how zu Herstellungsprozessen – und der ist in dem von EU und USA befürworteten Text gerade nicht drin. Die Frage, ob auch Medikamente und Therapeutika befristet patentfrei werden, soll in einem halben Jahr neu erwogen werden. "Ein hohler diplomatischer Kompromiss", lautet ‘t Hoen erstes Fazit.