Kommentar: "Sektorübergreifende Klimaziele" – was dafür spricht, was dagegen

Nach den Ergebnissen des Koalitionsausschusses sollen die Klimaziele nach Sektoren entschärft werden. Das spielt Wissings Verkehrsministerium in die Hände.

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Christian Lindner

(Bild: lovelyday12/Shutterstock.com)

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Nun ist es durch – das Maßnahmenpaket der Ampelkoalition. Sozialer Ausgleich beim Heizen, schnellere Planungsverfahren bei Autobahn-Projekten und eine Veränderung des Klimaschutzgesetzes. Das sind einige der Eckpfeiler der Ergebnisse des jüngsten Koalitionsausschusses. Besonders beim letzter Punkt lohnt sich aber ein genaueres Hinsehen, wenn es um die Emissionen der einzelnen Sektoren geht. "Die Einhaltung der Klimaschutzziele soll zukünftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden", heißt es in dem Bericht.

"Sektorübergreifend" – das klingt zunächst ja gut, nach einem Plan, nach "ganzheitlichem" Denken. Doch gemeint ist damit etwas ganz anderes: Wir von der FDP können oder wollen unsere Ziele beim Verkehrssektor nicht erreichen, also sollen andere Ressorts verstärkt sparen. (Hier ein Thread dazu, inwieweit das mit dem Koalitionsvertrag kompatibel ist.)


Dieser Kommentar erschien erstmals am 25.8.2022. Anlässlich der jüngsten Ergebnisse des Koalitionsausschusses veröffentlichen wir ihn an dieser Stelle mit aktualisierter Einleitung erneut.


Dabei ist der Grundgedanke von sektorübergreifenden Klimazielen eigentlich ganz richtig: In einigen Sektoren hängen die Früchte tatsächlich niedriger als in anderen. Diese sollten bevorzugt gepflückt werden. Die Stromversorgung ist beispielsweise einfacher zu dekarbonisieren als der Verkehr.

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 TR-Redakteur. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

Getrennte Sektorziele können hier eine kontraproduktive Konkurrenz um gemeinsame Ressourcen anfachen. Zum Beispiel bei Ackerflächen: Sie könnten als CO₂-Senken dienen und damit die Klimabilanz der Landwirtschaft verbessern. Sie könnten mit Photovoltaik-Freiflächenanlagen belegt werden und damit dem Energiesektor zugeschlagen werden. Auf ihnen könnte Biomethan für Hausheizungen produziert werden, was dem Bausektor zugutekäme. Oder Biosprit, wovon die Verkehrsbilanz profitieren könnte.

Ähnliches gilt auch für Wasserstoff: Er ließe sich im Verkehr, im Energiesystem oder in der chemischen Industrie einsetzen, mit jeweils unterschiedlichen Konsequenzen für die Klimabilanz der einzelnen Ressorts. Welcher Pfad beschritten wird, dürfte allerdings weniger davon abhängen, was volkswirtschaftlich am sinnvollsten ist – sondern davon, welcher Sektor den größten Handlungsdruck hat und in der Lage ist, den anderen Ressorts die Ressourcen wegzukaufen.

Also weg mit den Sektorenzielen? Nicht so hastig. Es gab ja gute Gründe dafür, sie einzuführen. Als das Bundesverfassungsgericht 2021 die damalige rot-schwarze Koalition zu einem strengeren Klimaschutz verpflichtete, war klar: So konnte es nicht weitergehen. Während einige Sektoren auf relativ gutem Weg waren, hingen andere stets hinterher. Besonders der Verkehr.

Ursache waren nicht allein sachliche Schwierigkeiten wie das steigende Verkehrsaufkommen. Die unterschiedlichen Einsparpotenziale der verschiedenen Sektoren sind in den Zielen schließlich bereits berücksichtigt. Die Energiewirtschaft etwa soll ihre Emissionen bis 2040 um 84 Prozent gegenüber 1990 senken, der Verkehr um 52 Prozent, die Landwirtschaft um 31 Prozent.

Nein, eine wesentliche Ursache war immer auch politischer Unwillen. Die Wurschtigkeit des Verkehrsministeriums unter CSU-Führung ist in dieser Hinsicht legendär. Also setzte die damalige Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) einen Klimarat durch, um die einzelnen Ressorts stärker an die Kandare zu nehmen.

Wer sich wieder von dieser engen Kontrolle verabschieden will, muss darauf vertrauen, dass sich alle Ressorts nach Kräften am gemeinsamen Ziel beteiligen. Doch Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) tut wenig, um dieses Vertrauen zu rechtfertigen. Lässt man ihm diese Arbeitsverweigerung durchgehen, müssten andere Ressorts strengere Sparmaßnahmen durchsetzen und dafür auch noch die entsprechende politische Prügel kassieren, während er sich selbst einen schlanken Fuß macht.

Fazit: Ja, die alleinige Orientierung an einem gemeinsamen Ziel ist eine feine Sache, aber nicht mit diesem politischen Personal.

(grh)