LKW-Maut: Warum sind die Maut-Verträge geheim?

Die von Wikileaks begonnene Veröffentlichung der Maut-Verträge ist darum bemerkenswert, weil von Beginn der Ausschreibung an die deutsche LKW-Maut so geheim war, dass selbst Bundestagsabgeordnete keine Details wussten. Die Öffentlichkeit war so nicht in der Lage, die Aussagen zur Maut überprüfen zu können.

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Von
  • Detlef Borchers

Die von Wikileaks begonnene Veröffentlichung der Maut-Verträge ist darum bemerkenswert, weil von Beginn der Ausschreibung an die deutsche LKW-Maut so geheim war, dass selbst Bundestagsabgeordnete keine Details wussten. Die Öffentlichkeit war so nicht in der Lage, die Aussagen zur Maut überprüfen zu können, wenn etwa ein Verkehrsminister von gezielten Fehlinformationen sprach. Sie hatte überhaupt keine Informationen. Mehrfache Ankündigungen, die Mautverträge wenigstens den Abgeordneten zugänglich zu machen, wurden schlicht nicht eingehalten.

Am 7. Juli 2000 wurden vom Bundesverkehrsministerium eine Ausschreibung für den Aufbau und Betrieb und die Finanzierung eines automatischen "Systems zur Erhebung von Mautgebühren für schwere Lkw auf Autobahnen in der Bundesrepublik Deutschland" veröffentlicht. Gesucht wurde ein internationales Konsortium, das auf eigene Kosten ein Mautsystem installiert und 12 Jahre lang betreibt. Die Kosten für das Gesamtsystem wie für den laufenden Betrieb sollten aus den Mautgebühren bezahlt werden, die laufend in das Staatssäckel fließen sollten. Wie bei Privat-Public-Partnership-Modellen üblich, war das Projekt zeitlich begrenzt: 2015 sollte die gesamte Installation weggeräumt werden, alternativ war eine "Call Option" vorgesehen, mit der die BRD das System gegen Übernahme der Abbaukosten selbst weiter betreiben kann. Mit dieser Ausschreibung begann die finanzielle Geschichte der deutschen LKW-Maut. Seltsam genug: Bereits die Ausschreibung und die "Verdingungsunterlagen" waren geheim. Alle Firmen, die sich um die Errichtung der LKW-Maut bewarben, mussten Vertraulichkeitserklärungen unterzeichnen, ehe sie die Verdingungsunterlagen sichten konnten. Diese Schweigepflichten gelten noch heute! Damit scheiden technische Details und Firmengeheimnisse aus, die die einzelnen Bieter schützen müssen. Die Finanzierung der Maut, die Berechnung der Mautleistungen und Zahlungen an den Betreiber und die begrenzte Laufzeit des Vertrages sind offenbar der Grund für die Heimlichtuerei. Sie passt schlecht zu einem System, das immer wieder von Politikern als Exportschlager gefeiert wurde.

Technisch begann die Geschichte der Maut im Jahre 1994: Im Januar stellte die Firma DeTemobil zusammen mit der französischen Sagem auf dem Pressekolloquium der Deutschen Telekom den Journalisten das erste "System zur automatischen Gebührenerhebung durch GSM-Mobilfunktechnik" vor. Es sollte später im Feldversuch auf der A555 zwischen Köln und Bonn als "intelligente Straße" getestet werden. Bereits 1998, so freute man sich damals, könnte ein solches Gebührensystem flächendeckend arbeiten. Leider war der Feldversuch "Automatische Gebührenerhebung A555" nicht unbedingt erfolgreich. 10 verschiedene Systeme wurden getestet, die leidlich eine Gebühr einziehen konnten. Jedoch gab es für die Kontrollsysteme, die prüfen sollten, ob ein Fahrzeug eine Gebühr entrichtet hatte, durchweg mangelhafte Noten.

Das sogenannte "Enforcement" war völlig ungenügend. Die mit der Bewertung des Versuchs betrauten Gutachter des TÜV Rheinland schrieben, dass "kein Nachweis einer Realisierbarkeit einer echten Kontrollfunktion" gelungen sei. Dementsprechend wurde 1998 eine weitere Testreihe allein zur "Erprobung von Enforcement-Technologien" für ein in Planung befindliches Maut-System für schwere LKW ausgeschrieben. Dabei plante man weiter: "Die Systeme sollen sich nicht auf bestimmte Teilkollektive (wie z. B. die zur Zeit gebührenpflichtigen schweren Lkw) beschränken, sondern alle den Kontrollquerschnitt passierenden Fahrzeuge erfassen," heißt es in der Ausschreibung.

Immerhin erkannten bereits die Gutachter des ersten Feldtests, welche Dimensionen eine Gebührenerhebung allein für die "Idealgruppe" von LKW über 12 Tonnen Gesamtgewicht haben wird. "Für diese Fahrzeuggruppe ist eine automatische streckenbezogene Gebührenerhebung auf Autobahnen mit zusätzlichen manuellen Kontrollen prinzipiell möglich und kann in etwa fünf Jahren flächendeckend mit jährlichen Kosten für den Betreiber zwischen ca. 200 und 500 Mio. DM (einschl. Investitionskosten) eingeführt werden", hieß es 1995. Den Aufbau des Systems veranschlagte man mit 1 Milliarde DM. Für die Kontrollen setzten die Gutachter auf ein System von automatischen Kontrollbrücken und Brücken, hinter denen eine Ausleitung der Falschzahler und Nichtzahler erfolgen konnte, dazu auf eine Wagenflotte, die im Verkehr mitschwimmt und die LKW anfunkt. Dieses kombinierte Enforcement sollte es möglich machen, ein Mautsystem zu errichten, das mit einer sehr niedrig angesetzten Identifizierungsquote von 60 bis 70 % bereits funktionsfähig ist: Im deutschen Schmuddelwetter, bei Regen, Schneetreiben und Nebel können kaum bessere Werte erzielt werden, erkannten die Experten.

1998 entwickelten dieselben Ingenieure, die bei beiden Feldversuchen als Gutachter dabei waren, als "TÜV InterTraffic" zusammen mit Beratern von PriceWaterhouseCoopers unter dem Namen "Arbeitsgemeinschaft Beratergruppe LKW-Maut" (BLM) die geheime Ausschreibung zur deutschen LKW-Maut. In den Verdingungsunterlagen wurde detailliert vorgegeben, was der künftige Betreiber alles liefern sollte: ca. 500.000 On-Board-Units, 300 Maut-Enforcement-Brücken, 150 Ausleit-Parkplätzen hinter Brücken für eine stationäre Kontrolle und 285 mobilen Einsatzfahrzeugen für die mitschwimmende mobile Kontrolle wurden gefordert, ohne sonst die Technik weiter zu spezifizieren.

Den Zuschlag für das "fortschrittlichste Maut-System der Welt" erhielt die Bietergruppe ETC, später umbenannt zu Toll Collect GbR, aus der dann wiederum die heutige Toll Collect GmbH hervorging. An dieser Bietergruppe nahmen der Autobauer DaimlerChrysler, die Deutsche Telekom und, als pflichtgemäß eingeforderter ausländischer Teilnehmer, das französische Autobahnunternehmen Cofiroute teil. Wie es der Zufall wollte, hospitierte der der "Leiter Konzernstrategie Verkehr" von DaimlerChysler im Verkehrsministerium, während die Ausschreibung zur LKW-Maut lief. Details dazu veröffentlichten die Journalisten Sascha Adamek und Kim Ott in dem Buch "Der gekaufte Staat". Die Kurzfassung dieser Geschichte steht im Untertitel selbst, wenn man Gesetze durch Ausschreibungen ersetzt: "Wie Konzernvertreter in deutschen Ministerien sich ihre Gesetze selbst schreiben."

Ganz wesentlich für die geplanten LKW-Maut waren die einfachen Berechnungs-Kritierien, die den Bietern für den auf 12 Jahre angesetzten Betrieb in der Ausschreibung gesetzt wurden. Neben Grundannahmen wie einer durchschnittlichen Fahrtlänge von 250 Kilometern und einem konstanten Anteil von fünf Prozent Nichtzahlern setzte die Ausschreibung auf zwei einfache Performance-Parameter, die vom Betreiber einzuhalten waren, die Erfassungsquote und die Identifizierungsquote.

"Die Erfassungsquote ist definiert als der Quotient aus der im automatischen Mauterhebungssystem korrekt mit Mautgebühren belasteten Fahrleistung und der tatsächlich erbrachten, mautpflichtigen Fahrleistung im automatischen Mauterhebungssystem." Sie sollte 99 Prozent betragen und jährlich mit zwei Dezimalstellen ermittelt werden.

"Die Identifizierungsquote ist definiert als die Anzahl der korrekt identifizierten mautpflichtigen Fahrzeuge zu der Gesamtzahl der mautpflichtigen Fahrzeuge, die die automatischen Kontrollquerschnitte passieren. Die Quote wird mit zwei Dezimalstellen berechnet. Der Mindestwert für die Identifizierungsquote beträgt 70,00 vH."

Dieses einfache Formelwerk, in dem sich die 70 Prozent des Feldversuches wiederfinden, setzte sehr niedrige Erfolgsparameter. Das Kontrollsystem spielte eine untergeordnete Rolle in Form von rechtskräftigen Nacherhebungsbescheiden, für die der Maut-Betreiber jeweils eine Vergütung von 0,75 Euro erhielt. Dazu wurde noch eine Bonus/Malus-Regelung für jeweil 1000 erkannte oder nicht erkannte Fahrzeuge angelegt, die für die Bietergemeinschaft ETC nicht relevant waren. "Die Inputparameter werden allerdings so angesetzt, dass sich keinerlei Bonus- bzw. Maluszahlungen für die Projektgesellschaft ergeben", heißt es in einem "Business Plan" genannten Dokument der Bietergemeinschaft. Sie konnte mit einfachen Rahmenwerten rechnen, die ergaben, dass bei minimalem Einsatz von 500.000 automatisch arbeitenden On-Board-Units in den LKW abseits der garantierten Rendite Gewinne gemacht werden – völlig ohne Beachtung der nichtzahlenden LKW, die einfach Schlupf im System sind. Dies ist das eigentliche Geheimnis der deutschen LKW-Maut.

Die "Mautverträge", die die Bundesregierung schließlich mit deutlicher Verzögerung, doch sehr medienwirksam kurz vor der Bundestagswahl 2002 am 19.9.2002 mit einem erweiterten Toll Collect-Konsortium unterzeichnete – die AGES hatte sich zwischenzeitlich in das Bündnis hineingeklagt –, sahen eigentlich den Start des Systems für den Juli 2003 vor. Die Verträge wie das siegreiche Angebot der Bietergemeinschaft ETC wurden für geheim erklärt, auch der eigentliche Betreibervertrag, der am 25.6.2002 abgeschlossen wurde, war streng geheim. Die gesamten Unterlagen waren so geheim, dass nicht einmal die Abgeordneten des Bundestages Einsicht in das angestaute Konvolut von etwa 17.000 Seiten bekamen. Gegen diese Geheimhaltung klagte der damalige SPD-Abgeordnete Jörg Tauss sowie Abgeordnete der Grünen. Tauss verlor die Klage im Jahr 2008 vor allem deshalb, weil das Gericht befand, dass eine Veröffentlichung der Verträge die ordnungsgemäße Arbeit eines Schiedgerichtes behindern würde, das im Geheimen bis ins Jahr 2010 tagen dürfte, um die Höhe von Vertragsstrafen zu bestimmen. Weil "alles mit allem zusammenhängt" wäre die geordnete "Preisgabe der geheimhaltungsbedürftigen Informationen nicht ohne einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand" möglich, befanden die Richter in philosophischer Stimmung. Für die versuchte Einsichtnahme in die Verträge hat Jörg Tauss zusätzlich zum verlorenen Prozess dieser Tage einen Gebührenbescheid zu erwarten.

Vor diesem durchweg geheimnisvollen Hintergrund ist die nun angelaufene "Editionstätigkeit" der Wikileaks eine verdienstvolle Sache, auch wenn die Dokumente aus den Jahren 2002 und 2003 längst nicht vollständig sind. Ein Anfang ist gemacht, die Geschichte des Mautsystems bis heute zu verfolgen. (jk)