30 Jahre KTM LC4

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Auch wenn es noch einige Jahre dauern sollte, bis KTM den ersten Gesamtsieg in der „Dakar“ einfahren konnte (erst 1999, seitdem aber ununterbrochen bis heute), gelang der Deutschen Jutta Kleinschmidt der Sieg auf einer 620 LC4 in der Damenwertung – es war das Jahr, wo die Rallye wegen Unruhen nicht nach Dakar, sondern nach Kapstadt führte. Kleinschmied sollte später noch viel von sich Reden machen, sie ist bis heute die einzige Frau, die je die Paris-Dakar im Auto gewonnen hat (2001).

Mehr Hubraum

Die 620er in der Enduro-WM und im Rallye-Einsatz von 1993 waren Prototypen, die es im nächsten Jahr zur Serienreife brachten. Ab 1994 wuchs der Hubraum der LC4 auf 609 cm3 und die Modellbezeichnung lautete daher 620 LC4. Endlich erhielt der Motor eine Ausgleichswelle, um die Vibrationen einzudämmen. Die 620 LC4 trug außerdem einen neuen Rahmen, einen Ventilator für das Kühlsystem, ein vergrößertes Pleuellager, eine verbesserte Schmierung der Getrieberäder und neue Schaltereinheiten. Es gab sie in den Ausführungen Enduro mit Zwei-Personen-Zulassung und als leichtere Competition.

Die Verkaufszahlen bei KTM wuchsen zwar erfreulich, aber die Geschäftsführung machte sich Gedanken, wie man neue Kunden locken könnte. Damals boomten gerade die Supermotos – umgebaute Motocrosser und Enduros mit 17-Zoll-Rädern, Straßenreifen bzw. Slicks, verkürzten Federwegen und einer vergrößerten Bremsanlage am Vorderrad. 1994 erblickte die Duke 620 das Licht der Welt und erschloss einen neuen Markt für die KTM Sportmotorcycle GmbH: Straßenmotorräder. Zwar war KTM schon in den 1950er Jahren erfolgreich im Straßenrennsport unterwegs gewesen, hatte aber in den letzten Jahren nur noch Geländemotorräder gebaut.

Das ungewöhnliche Design der Duke steuerte Gerald Kiska bei – bis heute Chefdesigner von KTM – und zum ersten Mal tauchte die neue Markenfarbe auf: Orange. Die Lampenverkleidung mit dem kleinen Doppelscheinwerfer hatte etwas insektenhaftes, aber die Fans waren sofort elektrisiert: Eine legale Supermoto direkt ab Werk. 153 Kilogramm Leergewicht angetrieben von einem 50 PS-Einzylinder in einem handlichen Fahrwerk – das musste einfach ein Erfolg werden. Tatsächlich wird die Duke-Baureihe bis heute von KTM fortgeführt. Für den Straßeneinsatz der Duke wurde 1994 das Getriebe anders abgestimmt, das Pleuel verstärkt, die Kupplung bekam Dämpfungselemente, der Auspuff bestand aus korrosionsfestem Edelstahl und vorne verzögerte ein Vierkolben-Festsattel von Brembo und eine riesige Bremsscheibe.

Der Hubraum wuchs über die Jahre

Im Laufe der Jahre wurden der LC4 stetig bessere Manieren anerzogen. Beim Generationswechsel 1996 verfügte die 640 LC4 über 625 cm3 Hubraum und legte an Kraft zu. Als Version LC4-E hatte sie sogar einen Elektro-Starter, was die hartgesottenen Enduristen zunächst als Verweichlichung abkanzelten und weiter zur Competition mit Kickstarter griffen. Heute würde keiner mehr im Endurosport auf das praktische Starterknöpfchen am Lenker verzichten, damals aber bedeutete eine E-Starter mit notwendiger großer Batterie etliche Kilogramm mehr Gewicht.

Ab 1997 wurde die Tourenfraktion mit der LC4 Adventure beglückt. Sie hatte eine Frontverkleidung, einen vergrößerten Tank, ein Koffersystem und sah der Werks-Rallyemaschine nicht zufällig ähnlich. Der Motor hatte ein neues Motorgehäuse und eine zweite Ölpumpe bekommen, was die Haltbarkeit verbesserte. Die Modellpalette wuchs stetig, es gab neben der Standard-Enduro noch die Competition, Adventure, Supermoto und Duke. Man versuchte, einem möglichst breiten Spektrum an Kunden gerecht zu werden, vom Tourenfahrer bis zum Hard-Enduristen. Für Leistungshungrige bohrte KTM den LC4-Motor sogar bis auf 654 cm3 auf und setzte ihn zunächst in den Rallye-Motorrädern ein, ehe er auch eine Heimat in der Supermoto 660 SMC fand. Sie war für rund 60 PS gut und beschleunigte das relativ leichte Motorrad vehement.

Ablösung durch die EXC

Doch die Tage der LC4 im Geländesport waren gezählt, denn zur Jahrtausendwende präsentierte KTM mit der 520 EXC und 400 EXC eine überlegene Sportenduro-Generation: Ein neu entwickelter, kompakter und leistungsstarker Motor in einem Motocross-Fahrwerk. Trotz serienmäßigem E-Starter wog das Gerät nur knapp über 120 Kilogramm, der Einzylinder lief fast ohne Vibrationen und drehte blitzschnell hoch. Diese Talente kannte man von der alten LC4 nicht. Die Enduristen rissen den KTM-Händlern den neuen Überflieger aus den Schaufenstern.

Als 2003 auch noch die zweizylindrige KTM 950 Adventure auf den Markt kam, entstand für die Einzylinder-Adventure auch noch Touren-Konkurrenz im eigenen Haus. So überrascht es nicht, dass die LC4 immer mehr in die Rolle des Allrounders gedrängt wurde. Doch aufgeben wollte KTM den LC4-Motor nicht. 2007 zeigte er sich gründlich überarbeitet als 690 SM und 63 PS stark, die Optik mit dem Entenschnabel und steil aufragenden Auspuffrohren stieß jedoch bei vielen KTM-Fans auf Ablehnung.

Aber in Mattighofen lernte man schon immer schnell und brachte schließlich eine bildschöne 690 Enduro R und eine heiße Supermoto-Variante 690 SMC R auf den Markt. Beide Modelle verfügten in der finalen Ausbaustufe über echte 690 cm3 und 67 PS. Vor zwei Jahren legten die Entwickler noch eine Schippe drauf und präsentierten die 690 Duke mit überarbeitetem Motor, der es nun auf satte 73 PS und 74 Nm Drehmoment bringt.

Stärkster Einzylinder der Welt

Wer jetzt glaubt, dass der LC4-Motor nach 30 Jahren bei den Kunden nur noch ein Nischendasein führt, hat weit gefehlt. Die Supermoto 690 SMC R war in den letzten Jahren die meistverkaufte KTM in Deutschland. Ausgerechnet das Modell, das nun zugunsten der Husqvarna 701 Supermoto eingestellt wird – die schwedische Marke wurde 2012 eingekauft und ihre Modelle werden ebenfalls in Mattighofen gefertigt. Zwar wird der stärkste Einzylinder der Welt auch weiterhin in der Duke und Duke R vor sich hinstampfen, aber just in diesen Tagen wurde der Reihenzweizylinder 790 Duke und 790 Adventure von KTM präsentiert. Auf lange Sicht wird der Zweizylindermotor wohl den Big Single endgültig ablösen, aber eilig haben es die Österreicher damit nicht.

Es steht außer Frage, dass ohne den LC4-Motor die Marke KTM heute nicht mehr existieren würde. Als der wassergekühlte Einzylinder Mitte der 1980er Jahre entwickelt wurde, hatte man nur den Sporteinsatz im Auge. Dass ausgerechnet dieses sportliche Image mit dem Slogan „Ready to Race“ nach der Insolvenz den Erfolg bringen sollte, hatte vorher sicher niemand erwartet. Heute ist KTM nach den Stückzahlen der größte europäische Motorradproduzent, den Roller-Konzern Piaggio mit Vespa mal ausgenommen. Der LC4-Motor ist mit 690 cm3 am Limit angelangt. Der riesige Single ist eigentlich nicht mehr zeitgemäß und dennoch hält KTM ihm immer noch die Treue – vielleicht auch aus Dankbarkeit für den Markenretter. (fpi)