Alternative Kraftstoffe aus Speisefett und Plastikmüll

In Hamburg destillieren Forscher aus Speisefettresten Treibstoffe. Sie wollen das Verfahren perspektivisch ausweiten auf Plastikabfälle.

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Treibstoff aus Speisefett
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Kraftstoffe werden derzeit fast ausschließlich aus Rohöl gewonnen, doch alternativlos ist das nicht. Es gibt verschiedene Verfahren, mit denen sie sich auch auf anderem Weg herstellen lassen. Sie alle haben allerdings eines gemeinsam: Sie sind Nischenlösungen, die absehbar kaum nennenswerte Anteile auf dem Markt erreichen werden. Das hat verschiedene Gründe, die wir in dieser Artikelreihe beleuchten wollen.

Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) hat in ihrer Forschungsgruppe Verfahrenstechnik eine Methode entwickelt, mit dem sich aus Speisefett Treibstoffe herstellen lassen. Keinesfalls verwechseln darf man diese Methode mit dem Einsatz aufbereiteter Speisefette in Dieselmotoren, wie es kurz vor der Jahrtausendwende aufkam. Ganz neue Vorteile entstehen, weil das Verfahren die Kohlenwasserstoffe der Speisefette gasförmig ausdestilliert und mit grünem Wasserstoff (also H2-Gas aus Strom aus erneuerbaren Quellen) zu neuen, hochreinen synthetischen Treibstoffen zusammengesetzt. Wie beim Fraunhofer-Verfahren zur Verarbeitung von Klärschlamm eignet sich die Technik damit auch dazu, die Petrochemie mit hochwertigen Rohstoffen zu versorgen.

Da der Reaktor obendrein Plastik verarbeiten kann, steht perspektivisch ein chemisches Recycling zur Verfügung, das Kunststoffe neu aufbaut. Bisherige Probleme im Kunststoff-Recycling mit sinkender Qualität der Kunststoffe durch verkürzte Polymerketten würden wegfallen. Alternativ könnten aus den Kunststoffabfällen auch neue Kraftstoffe entstehen.

Das Verfahren heißt "Reactive Distillation", kurz "READi". Es besteht in der Versuchsanlage aus einem kleinen Reaktor, der rund zwei Tonnen Ausgangsmaterial pro Woche verarbeitet. Die Destillation findet dabei kontinuierlich statt, es entstehen also laufend die Gase zur Weiterverarbeitung, es kann ständig neues Ausgangsmaterial hinzugegeben werden, und es werden fortwährend die Rückstände abgeschieden. Die Rückstände bestehen bei Speisefett aus Kohle. Da diese aufgrund der Quelle aus der Lebensmittelindustrie keine Schadstoffe enthält, kann sie zum Beispiel in der Bodenverbesserung zum Einsatz kommen oder einfach zur Kohlenstoffspeicherung vergraben werden. "Kohlenstoffabscheidung könnte je nach Gesetzgebung eine zusätzliche Einnahmequelle im kommerziellen Betrieb sein", so Prof. Dr.-Ing. Thomas Willner, Leiter des Projektes. Ansonsten eignet sich die Kohle aufgrund ihres Brennwerts auch zur Verbrennung und Stromerzeugung (z. B. in einem Müll- oder Kohlekraftwerk).

In diesem Reaktor findet die kontinuierliche Destillation der Speisefettreste statt.

(Bild: HAW)

Der Prozess kann mit Energie aus dem Ausgangsstoff betrieben werden, denn er benötigt nur Wärme. Zu deren Erzeugung kann das entstehende Abgas verbrannt werden. Laut Dr. Willner benötigt der READi-Prozess nur etwa fünf Prozent der im Ausgangsprodukt enthaltenen nutzbaren Energie. Es entsteht zusätzlich Abwasser mit Gehalten von Kohlenwasserstoffen, die es zur Biogasproduktion nutzbar machen. "Die Energiewende braucht eine Vielzahl von Lösungen, die miteinander vernetzt sind", mahnt der Wissenschaftler.

Das zum Prozess nötige Wasserstoffgas kommt von externen Quellen. Käme es aus Elektrolyse, bräuchte es nur etwa eine Kilowattstunde Strom pro Liter Otto- oder Dieselkraftstoff respektive Rohstofföl für Petrochemie. Auch hier wären Vernetzungen denkbar, zum Beispiel wäre statt Elektrolysegas auch H2-Überschussgas aus einem Prozess wie von Fraunhofer eine mögliche Quelle.

Die reinen Herstellkosten sollen laut Dr. Willner "unter dem aktuellen Marktpreis von Diesel oder Benzin" liegen und vergleichbar mit denen für HVO (hydrotreated vegetable oil, eine Form von Biodiesel) sein, das in Europa und Kalifornien schon in großen Mengen am Markt ist. Der Verkaufspreis von reinem HVO-Diesel (HVO100) lag bei Classic Oil in Hoya im Februar nur 18 Cent pro Liter über dem normalen Dieselpreis. Wie sich diese Preise entwickeln, hängt an vielen politischen und ökonomischen Parametern.

Das Team für Verfahrenstechnik an der HAW hofft auf eine große Bedeutung CO2-neutraler Kohlenwasserstoffkreisläufe.

(Bild: Jan Barow)

Der vielleicht größere Vorteil der neuen Methode aus Hamburg liegt jedoch darin, dass sie Plastikmüll durch chemisches Recycling in Neuplastik wandeln kann. Damit wäre der Destillationsprozess tauglich für eine Plastik-Kreislaufwirtschaft. Die Verarbeitung von Plastik ist ein zweiter Schritt, zu dem das Team noch forscht. Klar ist: Die Preise von Petrochemie-Produkten aus solchem Recycling können nicht mit denen fossiler Petrochemie konkurrieren. Das Team rechnet aber mit Marktnischen, in der Menschen beispielsweise für eine Kreislauf-Kunstfaser einen Aufpreis bezahlen. Ein anderes Kontrollinstrument wäre der CO₂-Zertifikatehandel, der in vielen Bereichen längst im Einsatz ist.

Wir haben Dr. Willner gebeten, seinen Antrieb als Schlusswort zusammenzufassen:

"Ziele bei der verfahrenstechnischen Entwicklung der Abfallumwandlung sind die Lösung von Abfallproblemen, die Schaffung geschlossener Kreisläufe sowie der Ersatz fossilen Öls durch grüne Moleküle für den Klimaschutz. Außerdem soll die Effizienz so weit gesteigert werden, dass die Verfahren auch in mittelständischen dezentralen Anlagen wirtschaftlich sind. Grüne Moleküle werden die wichtigste Säule der Energiewende in Deutschland sein, bei der es gilt, den knappen erneuerbaren Strom zu sparen und gleichzeitig den enormen Energieimportbedarf von rund 70 Prozent zu reduzieren. Am effizientesten werden grüne Moleküle direkt in stromunabhängigen Verbrauchern eingesetzt. Damit werden stromunabhängige Systeme wie etwa Verbrennungsmotoren oder Ölheizungen zur wichtigsten Säule der Verkehrs- und Wärmewende in Deutschland, was die Politik derzeit noch nicht verstanden hat."

(cgl)