Kommentar: Wasserstoff im Pkw ist Unsinn
Grüner Wasserstoff ist ein äußerst knappes Gut. Es sollte dort eingesetzt werden, wo fossile Energieträger anders nicht zu ersetzen sind – also nicht im Pkw.
Die Autoindustrie befindet sich im rasenden Wandel und jeder Akteur muss aufpassen, den entscheidenden Schritt in die richtige Richtung zum richtigen Zeitpunkt zu machen. Verpasst er ihn oder verzettelt er sich, geht er unter. Immerhin, die Politik sorgt ausnahmsweise für langfristige Planungssicherheit: Neuwagen, die mit Benzin oder Diesel auf Erdölbasis betrieben werden, können in der Europäischen Union nur noch bis Ende 2034 erstmals zugelassen werden. Die Industrie reagiert und entwickelt Pkw mit batterieelektrischem Antrieb. Gleichzeitig gedeiht die Ladeinfrastruktur zwar langsam, immerhin aber beschleunigend.
Doch Freiheitsprediger erweisen den Herstellern einen Bärendienst und trommeln lautstark für Alternativen zum batterieelektrischen Auto. Dazu gehört Wasserstoff, mit dem in einer Brennstoffzelle Strom erzeugt wird. Der Durchbruch im Pkw, so wird es seit Jahrzehnten kolportiert, stehe unmittelbar vor der Tür – doch niemand mag sie öffnen. Dabei ist das Nachfüllen von Fahrenergie im Vergleich zum batterieelektrischen Antrieb geradezu rasant möglich. Die Reichweite liegt bei einem gefüllten Sechs-Kilogramm-Tank locker bei mehr als 500 km. Eine der seltenen Tankstelle in der Nähe vorausgesetzt, ist der tägliche Umgang vergleichbar mit einem konventionellen Verbrenner.
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Enormer Energiebedarf
Die wesentlichen Probleme liegen allerdings nicht im Alltag, sondern in der Kette davor. So werden zur Wasserstoffproduktion enorme Mengen Strom benötigt. Rund 60 bis 80 kWh werden gebraucht, bis die 1 bis 1,3 kg Wasserstoff im Pkw nutzbar sind, die er auf 100 km ungefähr verbraucht. Damit die Rechnung im Sinne der Umwelt aufgeht, müssten die Produktionsanlagen durchgehend mit regenerativ erzeugtem Strom arbeiten. An dieser Stelle wird immer wieder darauf hingewiesen, man könne doch Strom aus regenerativen Quellen, der ansonsten abgeregelt wird – und vom Endverbraucher trotzdem bezahlt werden muss – lieber dafür nutzen, Wasserstoff zu erzeugen. Das klingt zunächst ganz wunderbar. Statt den Strom nicht zu nutzen, erzeugen wir mit ihm grünen Wasserstoff, den wir anschließend für allerlei einsetzen können.
Die Nutzung von "überschüssigem Ökostrom" ist allerdings alles andere als trivial. Denn dieser vermeintliche Überschuss tritt räumlich wie auch zeitlich extrem verteilt auf. Eine Anlage in Deutschland, wo auch immer sie stehen würde, die ausdrücklich nur mit dieser Art von Strom betrieben werden soll, stünde die meiste Zeit im Jahr still. Das liegt unter anderem daran, dass unser Stromnetz nicht in der Lage ist, Ökostrom jene Vorfahrt einzuräumen, die gesetzlich einmal festgezurrt wurde. Bestimmte Kosten laufen aber auch dann weiter, wenn eine solche Produktionsanlage steht – was diesen Wasserstoff dann nochmals deutlich teurer macht als konventionell erzeugten H2. Anders formuliert: Allein überschüssigen Ökostrom zur H2-Produktion zu nutzen, ist schon technisch herausfordernd, betriebswirtschaftlich auf deutschem Boden aber nahezu unmöglich.
"ĂśberschĂĽssiger" Ă–kostrom
Dazu gehört auch die Frage, warum überhaupt Strom aus regenerativen Quellen hierzulande nicht vollständig genutzt wird, während gleichzeitig Kohle, Gas und Öl als Lieferanten dienen. Die Antwort darauf gefällt zumindest mir nicht: Weil es derzeit einfacher und billiger ist, Strom aus Wind und Photovoltaik abzuschalten, als fossil betriebene Kraftwerke mit Regelkapazitäten auszustatten. Denn selbstverständlich möchte jeder Betreiber, dass sein Kraftwerk "unter Volldampf" liefert, was es kann. Aus ökologischer Sicht ist das eine grauenhafte Vorstellung, doch solche Fragen werden vorrangig anhand ihrer Wirtschaftlichkeit entschieden. Sieht jemand ein nachhaltig tragfähiges Geschäftsmodell beispielsweise für die Rückverstromung von H2, wird das früher oder später umgesetzt – simple Regeln der Marktwirtschaft. Als Privatperson kann man Fragen der Wirtschaftlichkeit beliebig gewichten und sogar ganz ausblenden. Ein schönes Beispiel dafür sind viele Batterien, die private Photovoltaik-Anlagen ergänzen. Stets werden sie mit Autarkie beworben, was gut funktioniert. Wenn die Unabhängigkeit aber mehr kostet als die Kilowattstunde vom Strombetreiber, ist sie letztlich teuer erkauft.
Ausweichen der H2-Produktion nach Afrika?
Energetisch betrachtet ist das ein reizvoller Gedanke und es ist keineswegs ausgeschlossen, dass er perspektivisch im großen Stil auch umgesetzt wird. Doch dieser Kontinent ist in den vergangenen Jahrzehnten vielerorts durch politische Instabilität aufgefallen. Wollen wir uns als Gesellschaft für die private Mobilität erneut in eine Abhängigkeit begeben, nur um teuer und energieintensiv dem batterieelektrischen Antrieb auszuweichen? Ich halte das für keine schlaue Idee. Denn selbst wenn dort Anlagen im großen Umfang entstehen würden, sollten die ersten Abnehmer jene sein, die anders kein CO₂ in ihrer Fertigungskette vermeiden können. Nur der Vollständigkeit halber sei hier nochmals erwähnt, dass auch regenerativ erzeugter Strom einen CO₂-Fußabdruck hat. Er ist klein, aber eben nicht Null. Für eine Verschwendung gibt es also auch hier keinen hinreichenden Grund.
Im Auto haben wir mit dem batterieelektrischen Antrieb eine Alternative, die mit einem Bruchteil der Energie eines H2-Pkw fährt. Das vorerst knappe Gut "grüner Wasserstoff" dort im großen Stil zu verschleudern, während anderswo darum gerungen wird, Prozesse mithilfe von H2 in der Industrie weniger energieintensiv, CO₂-ärmer und trotz allem gleichzeitig wirtschaftlich zu gestalten, ist ein aberwitziger Gedanke. Hinzu käme bei einer großflächigen H2-Nutzung im Pkw eine extrem teure Infrastruktur. In Deutschland gibt es derzeit etwas mehr als 100 H2-Tankstellen. Damit liegt dieses Land in der EU einsam an der Spitze. In vielen anderen Staaten ist kaum absehbar, woher das Geld für eine halbwegs flächendeckende H2-Infrastruktur kommen sollte. Ein Land wie Deutschland, noch immer eine der weltweit führenden Wirtschaftsnationen, könnte das vielleicht irgendwie finanziell stemmen. In den meisten anderen Ländern ist das nicht einmal ansatzweise vorstellbar. Ziehen diese aber nicht mit, fehlen Skalierungseffekte. Dabei ist eine gewisse Tankstellendichte ein wesentlicher Grundbaustein, denn ohne sie braucht man über H2 im Pkw erst recht nicht nachzudenken.
Grüner Wasserstoff ist auf dem Weltmarkt äußerst knapp und begehrt. Das wird vorerst auch so bleiben. Mit ihm lassen sich zahlreiche Prozesse dekarbonisieren. Wir brauchen Wasserstoff als Baustein der Energiewende, und zwar zuverlässig und in großen Mengen. Weil er aber auf absehbare Zeit kaum im Überfluss verfügbar ist, sollten wir ihn sorgsam dort einsetzen, wo wir anders nur schwer von fossilen Energieträgern loskommen. Der Pkw gehört nicht dazu.
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(mfz)