Daimler investiert kräftig in Elektrifizierung seiner Mercedes-Benz-Transporter

"Electric Versatility Platform": Mit einer neuen technischen Basis für seine elektrischen Mercedes-Benz-Transporter strebt Daimler in größere Dimensionen.

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Erste Einblicke in die geplante Technik für die neuen Transporter

(Bild: Daimler)

Lesezeit: 5 Min.
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Die Nutzfahrzeugabteilungen der Autohersteller ticken anders als die für Pkw, denn ihre Kunden aus dem Gewerbe stellen die Kosten-Nutzen-Rechnung über alle anderen Kaufkriterien. Zudem verlangen sie eine große Vielzahl verschiedener Aufbau- und Ausbauvarianten, dazu noch eine Versionsfülle, die im Pkw-Bereich undenkbar wäre.

Die Margen sind meist kleiner, dafür die Volumina größer. Fortschritte im Bereich des kommerziell getriebenen Verkehrs sehen daher manchmal ein bisschen anders aus. So soll sich das autonome Fahren – wenn es überhaupt kommt – vom Güterverkehr her ausbreiten. Mercedes-Benz Vans möchte nun mit einer eigenen technischen Plattform für batterieelektrische Transporter und Busse auf Basis des Sprinters das Angebot für seine Kunden und gleichzeitig die eigenen Kosten optimieren.

Eine Ankündigung mit langem Vorlauf, denn die technische Basis mit dem Namen "Electric Versatility Platform" soll mit der nächsten Generation des eSprinter eingeführt werden. Das wird nicht gleich übermorgen sein. Daimler Vans hat dazu den Elektroantrieb in drei Module unterteilt, um "größtmögliche Freiheit bei der Entwicklung und Gestaltung von verschiedenen Aufbauformen zu ermöglichen, wie sie bisher nur vom konventionell angetriebenen Sprinter bekannt sind". Dafür soll das "Versatility" im neuen Namen stehen. Auf den ersten Blick scheint die geplante Investitionssumme von 350 Millionen Euro in Anlagen für die Electric Versatility Platform üppig.

Nach den batterieelektrischen Transporter- und Van-Modellen eVito und eSprinter wird Mercedes-Benz Vans mit dem eCitan das E-Angebot in allen gewerblichen Transporter-Segmenten abdecken. Das Hochdachkombi-Modell eCitan entsteht durch "Badge-Engineering" aus einem Renault Kangoo und soll bereits 2021 erhältlich sein. Sollte er mit dem Elektroantrieb von Renault-Nissan gebaut werden, könnte er eine 52 kW leistenden E-Maschine und eine Reichweite um rund 400 Kilometer bekommen. Mit den größeren Modellen eVito und eSprinter wird erst rund vier Jahre später gerechnet, wie das Branchenmagazin Automobilwoche zwei Tage vor Daimlers heutiger Pressemitteilung mutmaßte, denn beide Modelle sind erst kürzlich erschienen respektive stark verbessert worden.

"Electric Versatility Platform": Neue technische Basis für elektrische Mercedes-Transporter (9 Bilder)

Erste Bilder der geplanten "Electric Versatility Platform" zeigen bereits Details: So soll (auch) die Hinterachse angetrieben werden können.
(Bild: Daimler)

Der eVito ist erst Mitte des Jahres deutlich aufgewertet worden (Fahrbericht), von 85 auf 150 kW Motorleistung, 295 auf 362 Nm Drehmoment, einer von 35 auf 90 kWh vergrößerten Batteriekapazität mit 110 kW Schnellladefähigkeit und einer auf maximal 421 km vergrößerten Reichweite. Der deutlich größere, vor einem Jahr in Produktion gegangene und seit Mai 2020 erhältliche eSprinter ist mit 41 kWh und 120 Kilometern Reichweite oder 55 kWh mit 168 Kilometern (alle Angaben nach NEFZ) erhältlich.

Der bislang größte Auftrag für batterieelektrische Transporter kam im August, als Amazon für seine Auslieferungen in Europa 600 Mercedes-Benz eVito und 1200 eSprinter bestellte. In Europa sei man bei der Elektrifizierung von Transporter-Modellen führend "mit jeweils über 30 Prozent Marktanteil im Midsize- und Large Van-Segment".

In den USA jedoch machte bei Amazon Rivian das Rennen und das bei dem ungleich umfangreicheren Auftrag, bis 2022 rund 10.000 und bis 2030 rund 100.000 batterieelektrische Lieferwagen bereitzustellen. Bei diesem Volumen lohnte es sich für den US-amerikanischen Elektroauto-Entwickler, eigens für Amazon einen Transporter zu entwickeln. Angesichts solcher Zahlen wirkt Daimlers Investitionsplan gar nicht mehr überdimensioniert.

Bei den Plänen für seine neue technische Basis stehen laut Mercedes-Benz Vans nun die "absatz- und margenstarke Märkte und Segmente" im Zentrum, was unter anderem bedeutet, dass Mercedes-Benz Vans außer in Europa sein Engagement verstärkt in der NAFTA-Region und Asien mit Fokus auf China ausbauen möchte, wie Daimler nun schreibt.

Technische Feinheiten sind noch nicht veröffentlicht, dazu wäre es heute angesichts der rasanten Entwicklung der Technik viel zu früh. Auf den bereits herausgegebenen Bildern jedoch erkennt man bereits, dass die Batterien sehr groß werden können. Sie reichen bis unter die Schweller der Karosserie statt sich auf den Raum zwischen den Rahmenträgern zu beschränken. Man sieht auch angetriebene Hinterachsen, was in Verbindung mit dem Frontantrieb wahlweise Antriebsmöglichkeiten bis hin zum Allrad verspricht. Bei Daimler traditionell eine Option für die größeren fossil angetriebenen Transporter und damit hoch wahrscheinlich für die elektrisch angetriebenen Versionen.

Dass die Bilder die heutigen Karosserien zeigen, muss nicht bedeuten, dass die Autos in voraussichtlich vier Jahren immer noch so aussehen werden. Was aber gleich bleibt, ist der Leiterrahmen und achsführende Blattfedern. Diese Konfiguration aus Zeiten vor den ersten Autos ist im Nutzfahrzeugbau immer noch die flexibelste und zugleich günstigste Lösung.

(fpi)